Der Israel-Palästina-Konflikt und die deutsche Linke

Geschichte wird ethnisiert

Nicht nur die deutschen Unterstützer der Palästinenser, auch einige Freunde Israels sind dem Furor teutonicus verfallen.

Die Freunde der palästinensischen Nation haben während der letzten Monate an der deutschen Debatte über die Al-Aqsa-Intifada bemängelt, dass die Solidarität mit den Palästinensern ausbleibe. Der in Deutschland lebende palästinensische Journalist Abed Othman erklärte: »Die Deutschen wollen ihre schmutzigen Hände mit unserem Blut waschen.« Die Angst vorm Vorwurf des Antisemitismus hindere die Deutschen an der Kritik an Israel. Doch mit dieser Interpretation liegt Othman vollkommen falsch. Denn israelfeindliche Töne sind allenthalben zu vernehmen. Sie fallen nur subtiler aus als während der ersten Intifada von 1987 bis 1991, als noch zum Boykott Israels aufgerufen wurde und Bilder israelischer Soldaten mit Hakenkreuzen bemalt wurden.

Heute hingegen schrecken manche Soligruppen nicht davor zurück, die NS-Vernichtungspolitik als Begründung heranzuziehen, um die Nachkommen der Opfer zur Ordnung zu rufen. So schrieb beispielsweise der Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V. an die israelische Botschaft in Berlin: »Wir können und wollen nicht länger schweigen. Gerade auch aus unserer deutschen Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen heraus glauben wir, die Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk nicht länger tolerieren zu dürfen.«

Der zur Al-Aqsa-Initifada reaktivierte Antizionismus eines leider nicht ganz unbedeutenden Teils der deutschen Linken verdient ohne Zweifel jene scharfe Kritik, wie sie Justus Wertmüller in der vergangenen Woche an dieser Stelle geäußert hat. Ebenso berechtigt ist die Rede vom islamischen bzw. palästinensischen Antisemitismus und seiner Tradition, die von den antiimperialistischen Freunden der Intifada immer empört zurückgewiesen wird. Schon lange vor der Teilung Palästinas im Jahr 1948 gab es im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika Vertreibungen und Diskriminierungen von Juden, deren Ausmaß von der Missgunst oder dem Wohlwollen des jeweils zuständigen Imam oder Kalifen abhing.

Spätestens als der europäische und insbesondere der deutsche Antisemitismus im 20. Jahrhundert seinen Schatten auf die arabischen Länder warf, transformierte sich auch dort der Judenhass zum modernen Antisemitismus. In Ägypten kam es während des NS wiederholt zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden, die Tausende das Leben kosteten. Nach 1948 wurde in vielen Fällen jüdisches Eigentum konfisziert, was die Flucht von über 20 000 Juden nach Israel zur Folge hatte. Der panarabische Nationalist Gamal Abdel Nasser verschärfte diesen Prozess noch, so dass ab 1970 die jüdische Bevölkerung nur noch wenige Hundert Personen zählte. Aus seiner Bewunderung für den Nationalsozialismus machte Nasser kein Hehl, als er 1964 erklärte: »Unsere Sympathie war mit den Deutschen.«

In anderen Ländern erging es den Juden nicht viel besser. Ob in Algerien nach der Unabhängigkeit 1962, in Syrien oder im Jemen, antijüdische Gesetze und Pogrome erzwangen die Flucht der Juden nach Israel. Wegen dieses Zusammenspiels von islamischem Antisemitismus und NS-Vernichtungspolitik wurde der bereits vor 1933 legitime Wunsch von Juden nach einem staatlich verfassten Refugium zur unumgänglichen Notwendigkeit.

Nach 1948 wurde die Vertreibung eines Teils der palästinensischen Bevölkerung durch israelische Soldaten und Siedler, ein profaner Konflikt um Land und Ressourcen, einem geläufigen antisemitischen Denkmuster entsprechend zu einer Weltverschwörung der Juden und ihrer US-Freunde umgedeutet, deren Ziel die Unterminierung der arabischen Nation und des gesamten Islam sei. Dass der arabische Antisemitismus, gleich ob säkular oder religiös, den palästinensischen »Befreiungskampf« zu einem in der Wahl seiner Mittel nahezu rücksichtslosen Kampf gegen alles »Zionistische« und »Jüdische« hat werden lassen, wird von denen, die sich den Palästinensern solidarisch verpflichtet fühlen, gerne übersehen.

Als Randerscheinungen abgetan werden auch Prediger wie Ahmed Abu Halabiya, die die Gläubigen aufpeitschen: »Habt kein Mitleid mit den Juden, egal, wo ihr seid, in welchem Land auch immer. Bekämpft sie, wo immer ihr seid. Wo immer ihr sie trefft, tötet sie« (vgl. konkret, 12/00). Solche Morddrohungen und ihre Folgen kann man den deutschen Fürsprechern der palästinensischen Nation nicht oft genug vorhalten. Sie legen die Vermutung nahe, dass die antisemitische Hetze mit der Errichtung eines palästinensischen Staates keineswegs beendet wäre.

Die Debatte über die Al Aqsa-Intifada wäre aber keine deutsche, wenn nicht auch manche Widersacher der Israelfeinde dem Furor teutonicus verfielen. So wird die Anklage des arabisch-palästinensischen Antisemitismus von einigen Antideutschen mit Argumenten und Zuschreibungen vorgetragen, die nicht unwidersprochen bleiben können. Am weitesten vergaloppiert hat sich wohl der Bahamas-Redakteur Horst Pankow. Sah sich die Bahamas bislang bemüßigt, all jene, die das Singuläre von Auschwitz tatsächlich oder vermeintlich durch Vergleiche in Abrede stellten, scharf zu kritisieren, so geht Pankow umstandslos zur Gleichsetzung über. Oder wie sonst ist ein solcher Satz zu verstehen: »Ähnlich wie der nationalsozialistische Vernichtungs-Antisemitismus scheut auch dessen aktuelle palästinensische Variante kein persönliches Opfer (...)«? Abgesehen davon, ob solche Aussagen nicht auch als Relativierung des NS gelesen werden könnten, legt Pankow mit keinem Wort seine Kategorien offen, die ihn zu einer solchen Aussage bewegen.

Problematisch ist auch die antideutsche Neigung, die ethnisierende Propaganda panarabischer Nationalisten und Islamisten für gesellschaftliche Realität zu halten. Der Zusammenhalt des vermeintlich festgefügten arabisch-islamischen Kollektivs hat immer schnell ein Ende, wenn es nicht mehr um Ideologie, sondern um Verteilungsfragen geht. Viele der in Syrien, Jordanien oder anderen arabischen Staaten lebenden Palästinenser - und nicht nur jene, die ihr Dasein in Flüchtlingslagern fristen müssen -, sind ausgestoßen und als Staatenlose entrechtet.

Die unreflektierte Rede von »arabischen Blutsbrüdern« und »völkischen Stämmen« (Antideutsche KommunistInnen Berlin), von den »unterwürfigen und leidensbereiten Moslems« (Jürgen Elsässer) birgt zudem die Gefahr, sich in die Nähe kolonialer Weltbilder zu begeben, die auch aus antideutscher Sicht nicht erwünscht sein kann. Weit übers Ziel hinaus schießt schließlich die Darstellung der Palästinenser als »zum unterschiedslosen Unmenschen gegen sich und den Feind herabgesunkenen Volksgenossen«, dem »die Leidenschaft des Mordens zur ständigen Gefühlsäußerung« gerät und dessen Gebaren nurmehr »Signum roboterhafter Gleichheit« (Wertmüller) sei.

Demgegenüber ist darauf zu beharren, dass die palästinensische Bevölkerung in vielen Fragen nicht das geschlossene nationale Kollektiv ist, zu dem es manche Antideutsche machen. An den innerpalästinensischen Konflikten anzusetzen, erscheint im Sinne einer umfassenden friedlichen Lösung erfolgversprechender, als militärische Gewalt gegen die Palästinenser zur einzig möglichen Handlungsoption Israels zu erklären. Denn ob dem Interesse Israels damit gedient ist, dass man die israelischen Falken rechts überholt und wie Pankow apodiktisch verkündet, der »palästinensischen Vernichtungswut« könne sich der israelische Staat »nur durch äußerste Härte erwehren«, ist mehr als fraglich.

Nicht nur bei den Rufen nach hartem Durchgreifen drängt sich die Vermutung auf, dass der Nahostkonflikt der deutschen Linken vor allem als Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen dient. Für die einen ist die Intifada ein sozialrevolutionärer Aufstand gegen den von Israel verkörperten Imperialismus. Die anderen dämonisieren umgekehrt die Palästinenser und sehen in Israel einen Staat, der stellvertretend gegen die Barbarei bzw. gegen den Antisemitismus kämpft. Der Nahostkonflikt ist jedoch eine denkbar schlechte Arena für Auseinandersetzungen, die Deutsche besser in und über Deutschland zu führen hätten.

Eine der wenigen praktischen Formen von Solidarität, die deutsche Linke ausüben könnten, wäre es daher, den kritischen Stimmen auf beiden Seiten mehr Gehör zu verschaffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die wenigen nonkonformistischen palästinensischen Intellektuellen derzeit Repression seitens der palästinensischen Behörden oder des Mobs zu befürchten haben. Dennoch wäre genau hier anzusetzen, wenn man all jene schützen und stärken will, die sich dem Antisemitismus, dem Hass und der Gewalt verweigern. Ansonsten sollten deutsche Linke sich, wie es bereits Stefan Vogt dargelegt hat, aller Ratschläge an Israel oder die Palästinenser enthalten. Denn näher liegt allemal die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland sowie die radikale Kritik an deutscher Außenpolitik.

Dass deutsche Soldaten im Rahmen einer »Friedensmission« der Uno auf die Golan-Höhen oder in den Gaza-Streifen marschieren, ist schließlich die übelste Vision, die einem von Rot-Grün aufgenötigt wird. Über die Notwendigkeit, dies zu verhindern und die Existenz Israels uneingeschränkt anzuerkennen, sollte doch innerhalb der deutschen Linken ein Konsens herbeigeführt werden können.

Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift iz3w (www.iz3w.org)