Stromkrise an der Westküste

Californian Nights

Die Deregulierung des Strommarktes in Kalifornien hat ihre Tücken - von Preissteigerungen bis zum aktuellen Stromnotstand.

Als in Rumänien der Strom abgeschaltet wurde, war das ein Indikator für die marode Substanz des Realsozialismus. Wenn jedoch im Silicon Valley der Stromnotstand ausgerufen wird, ist weniger die marode Substanz das Problem als vielmehr die Tatsache, dass bezahlbare Preise und Wärme für alle in der Deregulierungslogik nur am Rande vorkommen. Was in Kalifornien, dem mit 33 Millionen Einwohner bevölkerungsreichsten Staat der USA, durchgezogen wurde, ist ein gigantisches Sanierungsprogramm für Versorgungsunternehmen, von dem Menschen und Umwelt nur Nachteile erleiden.

Seitdem 1996 die entscheidenden Gesetze zur Deregulierung des Strommarktes verabschiedet wurden, ist das Wort »Energiekrise« in den Sprachschatz der Bewohner des Küstenstaates eingegangen. Bereits 1998 musste während einer Hitzewelle für einige Kunden der Strom ausgeschaltet werden. Es kam zu Stromknappheit in der Bay Area und zu gigantischen Preissteigerungen in anderen Regionen wie San Diego. Von Juni bis August stiegen die Energiepreise im Schnitt um 270 Prozent. In einer einzigen Juniwoche gaben die Kalifornier ein Achtel der Gesamtsumme des Vorjahrs für Energie aus.

Natürlich bezahlen Kalifornier mehr für Energie als die Bewohner benachbarter regulierter Staaten. Selbst der California Independent System Operator (Casio), die Behörde, die das gesamte kalifornischen Stromnetz koordiniert, hat den Einwohnern von San Diego geraten, zeitweilig nur den Teil der Stromrechnung zu bezahlen, den sie für angemessen hielten. Und bereits am 4. August 2000 warnte ein Report der Kommission für öffentliche Güter und der Elektrizitätsregulierungsbehörde vor den Problemen, die dann auch auftreten sollten: »Kalifornien hat große Probleme in der Energieversorgung und im Preissystem. (...) Wenn keine Kurskorrektur vorgenommen wird«, hieß es, »könnte dies nur ein Vorspiel davon sein, was Kalifornien in den nächsten 30 Monaten erwartet.«

Kaliforniens Gouverneur Gray Davis hielt »bisher noch nicht dagewesene Maßnahmen, um eine nichtakzeptable Situation anzugehen« für nötig. Aber abgesehen davon, dass er eine Task Force schuf und diverse Untersuchungen anordnete, ließ er den Dingen ihren Lauf. Profiteure der deregulierten Versorgungskrise sind die großen Stromversorger. Sie standen Anfang der neunziger Jahre vor dem Problem, dass ihre industriellen Großkunden drohten, Strom selbst zu erzeugen, während sie sich mit den aufgelaufenen Kosten für alte Atomkraftwerke herumzuschlagen hatten. Sie mussten also in der Lage sein, für Großkunden die Preise zu senken und die Kosten möglichst auf andere Institutionen abzuwälzen. Der politisch unterstützte Masterplan bestand darin, die Stromerzeugung von der Versorgung der Kunden zu trennen.

Oft genug geschah diese Trennung jedoch nur auf dem Papier. Die Kraftwerke wurden einfach an die Mutterfirmen verkauft. Die Deregulierung kostete die Kunden 20 bis 28,5 Milliarden Dollar an Ausgleichszahlungen für »aufgelaufene Kosten«. Anders ausgedrückt: Dieses Geld tauchte als »Übergangszahlung« und in Form anderer Extra-Gebühren in den Rechnungen der Kunden wieder auf.

Die Stromversorger wurden vom Staat dafür entschädigt, dass sie in den Jahren zuvor in marode AKW investiert hatten. Sempra Energy, die Mutterfirma von San Diego Gas and Electric, erwirtschaftete ein Rekordergebnis. Der Jahresgewinn stieg 1999 um 34 Prozent. Paul Fenn, Direktor der NGO American Local Power Project aus der Bay Area, benennt es klar: »Die Stromversorger erzeugen Panik, indem sie mit gigantischen Verlusten auf dem Papier den Bankrott androhen. Die Mutterfirmen jedoch erwirtschaften unauffällig riesige Gewinne, während sie ihre Investitionskosten abgewälzt haben. In der Zwischenzeit bekommt die Öffentlichkeit keine Gegenleistungen für die Subventionen. Es ist ein beeindruckender Betrug.«

Schon bei ihrer Einführung im Jahr 1996 war die Deregulierung umstritten. Der kalifornische Staat zahlte 89 Millionen Dollar, um die Kampagne ins Laufen zu bringen. Trotzdem konnte eine Volksabstimmung gegen das entsprechende Gesetz durchgesetzt werden; die Unternehmen sahen sich genötigt, weitere 40 Millionen für Werbung aufzubringen, um das Referendum an ihrer massiven Propaganda scheitern zu lassen.

Die Tatsache, dass die Preise in die Höhe schnellen, könnte zumindest noch den einen oder anderen Wirtschaftsökologen beruhigen. Aber selbst hier besteht keine Hoffnung. Nicht nur, dass die Programme zum Energiesparen und zur Förderung alternativer Energien in den neunziger Jahren um 70 Prozent zurückgingen. Gerade die Großverbraucher des Silicon Valley wünschen sich die völlige Freigabe der Strompreise. Dank ihrer Marktmacht konnten sie billige Langzeitverträge mit den Anbietern aushandeln. Der Energiebedarf zur Serverkühlung ist weder gefährdet noch besteht die geringste Chance, dass er zurückgehen wird.

Auch politisch ist nichts zu erwarten. George W. Bush stammt aus der Machtelite der US-Ölbarone. Einer seiner Hauptunterstützer im Wahlkampf war der größte US-Erdgasversorger Enron. Folglich lautet das aktuelle Statement von Bushs Sprecher Art Fleisher: »Wir müssen unser Angebot aus heimischen Quellen vergrößern. Das heißt Öl, es heißt Erdgas, es heißt Kohle, es heißt sauber verbrennende Kohle.«

Die Gefahr, ausgerechnet in Kalifornien zu erfrieren, ist ziemlich gering. Aber nicht nur dieser sonnenverwöhnte Staat ist von der Deregulierung betroffen, insgesamt 24 Staaten befassen sich mit entsprechenden Plänen. In den Staaten, die weiter nördlich liegen oder regelmäßig von Schneestürmen heimgesucht werden, könnte das kalifornische Szenario zu großen Problemen führen. Auch wegen dieses Beispiels denkt jetzt ungefähr die Hälfte von ihnen, darunter der Staat New York, darüber nach, die Realisierung der Pläne einzustellen oder zumindest zu verlangsamen.

Selbst in Staaten, in denen die Deregulierung angeblich erfolgreich war, kommen ihre Befürworter in Erklärungsnot. In Massachusetts scheiterte am gleichen Tag wie in Kalifornien ein Referendum gegen die Deregulierung. Hauptargument der Deregulierer: Die Preise werden sinken. Heute sind die Preise dort neben denen im Westküstenstaat die höchsten in den USA.