Berlinale

Wie man stirbt

Hannibal lauert überall: Das Verhältnis des Kinos zur Gewalt war eines der Themen auf der Berlinale.

Im Kino wird traditionell viel gestorben. Auch auf renommierten Filmfestivals wie der Berlinale kann man nicht unbedingt damit rechnen, dass alle, die zu Beginn eines Films noch wohlauf sind, sein Ende tatsächlich erleben.

Beim Eröffnungsfilm, »Duell - Enemy at the Gate«, war klar, dass ein exakter Bodycount kaum möglich sein würde. Dass dabei die verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkriegs nur als pittoreske Elendskulisse dienen sollte, konnte man vielleicht vorher schon ahnen, aber dass der 180 Millionen Mark-Film auf allen Ebenen kapitulieren würde, angefangen bei der dümmlich-plumpen Handlung bis hin zu den grandios fehlbesetzten Rollen, hätten wohl selbst notorische Mainstreamfilmhasser nicht erwartet. Völlig grotesk wirken vor allem die verschiedenen Englisch-Akzente sowohl der russischen als auch der deutschen Protagonisten, während im Hintergrund quasi nur für die Nazi-Atmo echt deutsch gebrüllt wird.

Dabei können reale Kriege ganze Genres und Regisseur-Generationen beeinflussen. Der im Forum gezeigte Dokumentarfilm »An American Nightmare« müht sich redlich damit ab, nachträglich die politischen Ereignisse der sechziger und siebziger Jahre, hauptsächlich Vietnamkrieg, Bürgerrechts- und Studentenbewegung, als eindeutig prägende Faktoren für etliche große Filme des Horror-Genres herauszuarbeiten.

Tom Savini, der erste Star unter den Splatter-Special-Effects-Experten, wurde durch seine realistisch inszenierten Metzeleien bei »Dawn of the Dead« (1978) in den einschlägigen Kreisen berühmt und war selbst als junger GI in Vietnam. »Dort habe ich alles gelernt, was ich später brauchen sollte«, sagt er rückblickend über seine Zeit dort, die er hauptsächlich »vor Angst zitternd« verbrachte. Splattermovies als Therapie. Auch der sadistische »Last House on the Left« scheint vom Schock über das My-Lai-Massaker zu zeugen, erzählt er doch von dem, was ganz normale Menschen in Extremsituationen zu tun in der Lage sind. »Wir haben wohl erst jetzt langsam gemerkt, was wir damals geschaffen haben«, erkärt Tobe Hooper, der Regisseur des »Texas Chainsaw Massacre«.

Promptere Erkenntnisse haben die Macher der beiden Filme, die sich mit dem weltweiten Boom der Reality-Shows beschäftigen. Die zunehmende Hemmungslosigkeit der Erfinder immer spektakulärerer Real-Life-Formate wird in »Series 7« und »Battle Royal« konsequent zu Ende gedacht: Die ultimative Reality-Show gipfelt im Töten von Menschen vor laufender Kamera. Dass solch quotenfördernder Zynismus schon längst Realität ist, beweist der Erfolg von US-Shows wie »Cops« und »America's Most Wanted«, wo Verbrecherjagden meist live übertragen werden und wo am Ende auch gern der Gejagte erschossen wird. Auch die Austrahlung von Hinrichtungen wird in den USA von Zeit zu Zeit diskutiert.

So wird denn auch in Daniel Minahans »Series 7« das Abschlachten vor laufender Kamera erst gar nicht in Frage gestellt. Jede Woche stellen sich in einer amerikanischen Kleinstadt sieben bis an die Zähne bewaffnete Bürger der »Herausforderung«, die darin besteht, die anderen Kandidaten umzulegen. Wer übrigbleibt, hat gewonnen. Mit Digital-Video-Kameras gedreht, schafft Minahan es, den Stil der Reality-Shows zu imitieren, die verwackelte Handkamera suggeriert Authentizität, ein Off-Kommentator sorgt für Dramatik, und alle zehn Minuten wird der Film von schnell geschnittenen Trailern unterbrochen, die sensationsheischend den weiteren Verlauf ankündigen. Vom Regisseur wurde »Series 7« als »sehr schwarze Medien-Satire« bezeichnet, aber in den fünf Jahren zwischen Planung und Entstehung des Films wurde die Satire von der Realität eingeholt.

In Japan führte der Film »Battle Royal« sogar zu einer Gewaltdebatte im Parlament. Die lang andauernde Wirtschaftskrise hat bei vielen Japanern zu einer Infragestellung des bisherigen streng hierarchisch gegliederten Gesellschaftmodells geführt, vor allem Jugendliche, die nun nicht mehr mit der früher obligatorischen Lebensstellung rechnen können, reagieren panisch. So wundert es nicht, dass im letzten Jahrzehnt eine Vielzahl japanischer Filme, die vor allem unter Teenies stark angestiegene Gewalt und Kriminalität thematisieren. Takeshi Kitano, bekannt als Regisseur gewaltätig-melancholischer Gangster-Dramen und als Gameshow Host (»Takeshi's Castle«) spielt einen Schüler hassenden Ex-Lehrer, der zum Gottschalk einer Show auf Leben und Tod geworden ist.

Jedes Jahr wird eine komplette Schulklasse betäubt und auf einer Insel ausgesetzt. Sieger wird, wer nach drei Tagen überlebt hat. Die mit unterschiedlichen Waffen ausgerüsteten Kids brauchen nicht lange, um das zu kapieren, und fangen an, einander umzubringen. Was wie eine faschistoide Rachephantasie eines von aufsässigen Schülern gepeinigten Lehrers wirkt, wird von einem autoritären Regime als brutale »Erziehungsmaßnahme« für renitente Schüler gepriesen. »Battle Royal« erweckt die bei Jugendlichen beliebten Hit-and Run-Computerspiele zu grausiger Realität, und die krude Ironie des Films gipfelt darin, dass wie beim Computerspiel die Bodycount-Anzeige mitläuft und bei jedem Exitus auf der Leinwand eingeblendet wird. Fuksaku Kinji hat vordergründig ein brutales Action-Splatter-Movie geschaffen, dessen Anleihen beim reaktionären Slasher-Movie der achtziger Jahre, in dem monströse Killer Sex und Drogen konsumierende Jugendliche abschlachten, nicht zu übersehen sind.

Andererseits zeigt der Film auf, wie schnell mit gezieltem staatlichen Terror die Entsolidarisierung und Brutalisierung einer Gruppe erreicht werden kann. Der Niedergang des japanischen Kapitalismus - die derzeitige Arbeitslosenquote von 15 Prozent ist ein für japanische Verhältnisse extrem hoher Wert - wird hier rigoros zu Ende gedacht, die Gesellschaft befindet sich in apokalyptischer Auflösung. Wie viele B-Movies hat auch »Battle Royal« das Verdienst, sich frühzeitig mit Themen zu beschäftigen, die vom Mainstream- und Kunst-Kino gemieden werden.

Im wirklichen Leben sterben die meisten Menschen aber nicht an Zombiebissen, sondern unspektakulär in Krankenhausbetten. Zum Beispiel an Krebs: »Wit« von Mike Nichols erzählt die Geschichte einer Literaturprofessorin (Emma Thompson), die an Eierstockkrebs erkrankt ist und trotz geringer Heilungschancen eine Chemotherapie beginnt. Ihr langsames Sterben wird minutiös dargestellt - und das ist schwerer zu ertragen als die Hirnfresser-Szene in »Hannibal«.

Vor der völlig überlaufenen Pressevorführung von »Hannibal« kam es zu einer kleineren Tätlichkeit, verübt von einem verzweifelten Kritiker, der den Film unbedingt sehen wollte. Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen: Hannibal Lecter ist zur Comicfigur geworden, und Hirnessen ist gar nicht so spektakulär, wie man vermuten könnte.