Gründung des Nationalen Ethikrates

Auf dem Weg in die Räterepublik

Mit einem dritten Ethikrat will Kanzler Schröder kritische Stimmen zur Gentechnik übertönen.

Als die Vorsitzende des Ethikbeirats beim Bundesgesundheitsministerium, Regine Kollek, Mitte des Monats gefragt wurde, ob kritische Expertinnen wie sie nach dem Wechsel der Gesundheitsministerin weniger Gewicht haben würden, antwortete sie mit sicherem Zeitgefühl: »Vielleicht fragen Sie mich das in ein paar Wochen noch einmal.«

Denn seit der Amtsübernahme durch Ulla Schmidt (SPD) im Januar ruht die Arbeit des Ethikbeirats. Oder, in der offiziellen Version: Der Ethikbeirat, in den die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) im November 1999 ausgewiesene Kritikerinnen und Kritiker der roten Gentechnik wie Therese Neuer-Miebach, Klaus Dörner oder eben Regine Kollek berufen hatte, wird demnächst seine Arbeit in den so genannten Nationalen Ethikrat »einbringen«. Vielleicht aber wird er auch einfach aufgelöst. Gerhard Schröders Vorschlag jedenfalls, einen Nationalen Ethikrat einzurichten, geht in diese Richtung.

Diesen neuen Ethikrat gibt es zwar noch gar nicht als arbeitsfähiges Gremium, doch bereits Wochen vor seiner Schaffung schlagen die Wellen hoch. Denn der Nationale Ethikrat - dem schon mit dem Titel die Verkündung einer bundesdeutschen Einheitsethik aufgetragen scheint - soll direkt beim Bundeskanzler angesiedelt sein. Obendrein werden seine Mitglieder von Schröder selbst berufen. Damit dürfte dann garantiert sein, dass die ewigen Nörgeleien über die Risiken der Biomedizin ein Ende haben werden. Der Ethikbeirat der Gesundheitsministerin, dessen Reflexionsniveau für die Standort-Logiker immer schon reiner Luxus war, wird durch eine Kanzler-Truppe ersetzt, der offenes, zukunftsfähiges, eben modernes Denken aufgegeben ist.

Im Gesundheitsministerium zeigte sich diese neue Offenheit bereits darin, dass mit dem Ministerinnenwechsel die Entwürfe zu einem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz, das ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik, also von Gen-Checks an Embryonen, festschreiben sollte, erst einmal in der Schublade landeten.

Doch der neue Nationale Ethikrat stellt nicht nur den modernisierungsträgen Ethikbeirat kalt. Gleichzeitig macht er auch der beim Bundestag angesiedelten Enquêtekommission Recht und Ethik in der Medizin - noch einem deutschen Ethikrat - Konkurrenz. Die Abgeordneten Monika Knoche (Grüne) und Hubert Hüppe (CDU), die beide als Parteivertreter in der Enquêtekommission sitzen, nannten Schröders Pläne daher einen Affront gegen die Kommission. Diese war vor einem Jahr durch den Bundestag eingesetzt worden, um die Parlamentarier in Sachen Gendiagnostik und Reproduktionsmedizin zu beraten, die Entwicklung des biomedizinischen Fortschritts zu beobachten und Empfehlungen vor allem zu dessen rechtlicher Steuerung abzugeben.

Diese Aufgabe hat die Enquêtekommission in der Zwischenzeit insofern erfüllt, als sie die Präimplantationsdiagnostik für unvereinbar mit dem Embryonenschutz deklarierte und zugleich den Bundestag aufforderte, eine Regelung zu schaffen, um diese ethisch heikle Frage nicht etwa der ärztlichen Standespolitik zu überlassen. Was nichts anderes als eine schlecht getarnte Aufforderung an die Bundesregierung sein dürfte, die Ärzteschaft zu zügeln. Schließlich war die Bundesärztekammer bereits vor einem Jahr mit einem Richtlinienentwurf vorgeprescht, der für die Freigabe von Gentests an künstlich gezeugten Embryonen plädierte - ohne auf den eklatanten Widerspruch zur geltenden Rechtslage in der Bundesrepublik überhaupt einzugehen.

Immer wieder gegen den Kurs des Kanzlers geschossen hatten einzelne Mitglieder der Enquêtekommission auch dann, wenn sich dessen banale Nutzenlogik als höhere Philosophie aufspreizte. So wurde auch der Schröder direkt unterstellte Kulturstaatsminister und Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin attackiert, weil er im Zusammenhang mit der Zulassung des therapeutischen Klonens durch die britische Regierung erklärt hatte, das Kriterium der Menschenwürde lasse sich nicht auf Embryonen ausweiten. Schließlich fehle bei Embryonen schlicht die Voraussetzung für Selbstachtung. Damit macht Nida-Rümelin die Menschenwürde - ganz im Sinne der utilitaristischen Bioethik - von empirischen Fähigkeiten abhängig. Diese SPD-Werbung für das Klonen, die das eigene Anbiedern an den Zeitgeist gern als »Tabubruch« verkauft, stieß nicht nur bei Kommissionsmitglied Hüppe auf Kritik.

Kurz gesagt: Die Enquêtekommission hatte sich auf dem von Schröder für Deutschland ausgeschilderten Weg zum Gentech-Standort als nicht gerade kooperativ erwiesen. Schließlich debattiert in dieser Kommission seit einem Jahr ein buntes Häuflein von radikalen Bioethik-Kritikerinnen wie der Juristin Theresia Degener, den Politologinnen Kathrin Braun und Ingrid Schneider und umtriebigen Lebensschützern wie Hüppe.

Mit der Einberufung eines Nationalen Ethikrats, der dem Kanzler unterstellt ist, signalisiert Schröder, dass die ethische Supervision der Medizin zwar schön und recht ist, sich jedoch irgendwann einmal in barer Münze auszahlen muss. Die kritische Bedenkenträgerei der verfügbaren Ethikräte hat offensichtlich einen Punkt erreicht, an dem der Kanzler seine Geduld verliert. Deshalb soll ein neuer Ethikrat die Forschung auf Touren bringen. Und die anderen Ethikgremien ausschalten: Nachdem der Ethikbeirat des Bundesgesundheitsministeriums paralysiert wurde, steht nun die Relativierung der Arbeit der Enquêtekommission auf dem Programm.

Schröders Projekt eines Nationalen Ethikrats legt zudem den Verdacht nahe, dass Ethik in Zukunft anstelle kritischer Reflexion jene biedere Hausmannskost liefern soll, die der Kanzler gern hat. Seine eigene Ethik hat er erst neulich pointiert zum Besten gegeben, als er in der Woche gegen eine »Politik ideologischer Scheuklappen und grundsätzlicher Verbote« polemisierte. Soll heißen: Der Anschluss an die Gentechnik als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts darf nicht versäumt werden, und: Die Zeiten eines deutschen Sonderwegs sind vorbei, die deutsche Ethik soll deshalb nicht länger mit dem Schatten der Nazi-Eugenik ringen, sondern sich endlich positiv auf die medizinischen und ökonomischen Potenziale der Gentechnik beziehen.

Deutschland, so die Kanzlerbotschaft, dürfe sich nicht weiter als Weltmeister in Sachen Bauchschmerzen hervortun, sondern müsse im internationalen Genom-Rausch endlich selbst die Nuggets fischen. Denn vorerst haben - mit der Freigabe des therapeutischen Klonens und der Embryonenforschung - die Briten in Europa die Nase vorn.