SPD gegen Freizügigkeit

Schröders Sieg

Arbeit zuerst für Deutsche - diese Forderung ist Kern der Überlegungen deutscher Politiker zur Öffnung der EU-Arbeitsmärkte gewesen. Als letzte Woche Erweiterungskommissar Günther Verheugen (SPD) den offiziellen Vorschlag der EU bekanntgab, konnte die FAZ kommentieren: »Schröder kann zufrieden sein ... Die Sonderwünsche Deutschlands und Österreichs wurden bedient.«

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen Deutschland und die übrigen EU-Staaten das Recht erhalten, ihre Arbeitsmärkte auch nach der Ost-Erweiterung noch sieben Jahre lang abzuschotten. Wenn Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland beitreten, soll dem Vorschlag zufolge die Freizügigkeit erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren gelten. Wenn ein EU-Land am Ende dieser fünf Jahre aber immer noch »erhebliche Störungen auf dem Arbeitsmarkt befürchtet«, darf es die Frist nochmals um zwei Jahre verlängern.

Die Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen kann von Brüssel und Berlin »bedarfsorientiert« geregelt werden. Nach zwei Jahren findet eine Überprüfung statt. Die EU-Mitglieder müssen einstimmig beschließen, ob die Übergangsfrist verkürzt oder ausgesetzt wird, wobei unter Umständen »Schutzklauseln« eingeführt werden. Dank der erforderlichen Einstimmigkeit hat Deutschland ein Vetorecht.

Diese Regelungen betreffen nicht nur die neue Zuwanderung, sondern ebenso Osteuropäer, die heute schon in EU-Staaten leben. Sie bleiben weiterhin völlig rechtlos. Für manche Branchen bietet das optimale Bedingungen: Die arbeitsrechtlich Illegalisierten müssen sich mit niedrigsten Löhnen abfinden, wegen der rassistischen Ausgrenzung können sie nicht mit Solidarität rechnen. Deutsche und österreichische Gewerkschaften haben im Bündnis mit Handwerkskammern und Kleingewerbetreibenden sogar Übergangsfristen bis zu 15 Jahren gefordert. Schon vor zwei Jahren warteten sie mit wissenschaftlichen Gutachten auf, die paranoide Überflutungsphantasien rationalisierten. Mehrere Millionen Osteuropäer säßen auf gepackten Koffern.

Vor allem die SPD setzte die Regelung durch, die wahrscheinlich Ausnahmen für hochqualifizierte Arbeitskräfte nach dem Modell der Green Card zulassen wird. Das von Verheugen vorgebrachte Argument, die osteuropäischen Staaten seien selbst an Übergangsfristen interessiert, da sie sonst mit einem brain drain rechnen müssten, wäre damit hinfällig. Selbst wer sich auf die bevölkerungspolitischen Rechnereien einlassen will, muss davon ausgehen, dass in den ersten Jahren nach der Erweiterung jährlich nur zwischen 70 000 und 150 000 osteuropäische Arbeitskräfte in der EU arbeiten würden, vier Fünftel von ihnen in Deutschland - so die Schätzung Verheugens. Im letzten Jahr kehrte über eine halbe Million Arbeiter aus Westeuropa nach Polen zurück.

Die Politiker der Beitrittskandidaten reagierten verärgert auf Verheugens Vorschlag. Selbst der sonst in Brüssel eher servil auftretende polnische Unterhändler Jan Kulakowski teilte mit, er erachte die Übergangsfristen »für unnötig«, und ließ durchblicken, sie eher als Verhandlungsgegenstand denn als Ergebnis zu betrachten. Was die Beitrittskandidaten Malta und Zypern betrifft, deren Arbeitslosenrate unter dem europäischen Durchschnitt liegt, so möchte die EU von Anfang an auf Übergangsfristen verzichten. Von Malta erwartet Verheugen, dass es selbst eine Schonfrist verlangen wird, weil es »Angst davor habe, von sizilianischen Arbeitnehmern überschwemmt« zu werden.