2. Berlin-Biennale

Der große Shop der kleinen Utopien

Auf der 2. Biennale geht es soft und leise zu. Die Kunst hat die Wellness-Ideologie entdeckt.

Berlin ist eine größenwahnsinnige Kulturmetropole, aber wenn es um zeitgenössische Kunst geht, leidet sie an einem kleinen Minderwertigkeitskomplex. Trotz des Galerien-Booms in Mitte - die Kunstszene ist immer anderswo, zum Beispiel in Köln oder London. Damit sich das ändert, wurde die Biennale erfunden, die 1998/99 zum ersten Mal unter dem Kurator Klaus Biesenbach stattfand. Er verpasste der kreativen Szene der Stadt das Label »Generation Berlin« und machte die Ausstellung unter dem Titel »Berlin/Berlin« zum spektakulären Event, das die Hauptstadt als »pulsierende Metropole« vermarktete. Underground rocks. Standortpolitik rules.

Das fanden auch die CDU und ihr Kultursenator Peter Radunsky, der das Projekt enthusiastisch unterstützte. Was in London gelungen war, musste schließlich auch in Berlin klappen. Nicht nur die Kunstzeitschrift Art in America verstand die Biennale als einen Versuch, dem Markenzeichen »Made in Berlin« zu ähnlicher Popularität zu verhelfen wie dem Label »Young British Artists«.

Das von der Niederländerin Saskia Bos erarbeitete Konzept der 2. Biennale verweigert sich dieser Fixierung auf die Hauptstadt und sucht stattdessen Zuflucht in der globalisierten Kunstszene. Die Kuratorin möchte Positionen zeigen, die in Berlin bisher selten zu sehen waren. International soll die Ausstellung sein, 49 KünstlerInnen aus 31 Ländern sind vertreten. Dabei nimmt sich der Versuch, Internationalität zu importieren und zum verbindenden Element der Ausstellung zu machen, etwas bemüht aus. Neue Impulse jedenfalls soll die Biennale in die Stadt bringen, die Leitbegriffe sind, so Saskia Bos, »Empathie« und »Denken in Beziehungen«. Deshalb habe sie Kunstwerke ausgewählt, die die direkte Begegnung mit dem Publikum suchen.

Das klingt ein bisschen nach »All together now«, nach Museumspädagogik in Zeiten der Globalisierung. Dan Petermans in den Kunst-Werken gezeigte Installation »Bottle Cap Pasta« führt einen dann auch folgerichtig in eine Küche. Hier wird Pasta mit Hilfe von Flaschenverschlüssen ausgestanzt, dann wird gekocht und serviert. Verwöhnt wird das Publikum auch von Surasi Kusolwong. »Happy Berlin (Free Massage)« im Postfuhramt sucht den taktilen Kontakt zum Publikum mit Thai Massage zwischen bunten seidenen Stoffen. Und Alicia Framis hat mit ihrer »Minibar (Just for Women Only)« einen Ort geschaffen, an dem Frauen ihrem »comforter« begegnen können. Die Installation ist ein quadratisches, fensterloses Gebäude aus dunklem Holz, das optisch zwischen Pavillon und Beichtstuhl changiert. Eine Treppe führt auf das Dach, wo »women only« sitzen dürfen. Hinein gehen sie einzeln.

Was der von Framis erfundene »comforter« eigentlich ist, weiß niemand so recht. Der junge Mann im Seidenmantel, der ein Aphrodisiakum bereithält, wie es heißt, ist von außen nicht sichtbar. In der Führung durch die Ausstellung wird er der Einfachheit halber als »eine Art Gigolo« vorgestellt. Die Reaktion kommt, wie sie zu erwarten war: Es wird ein wenig gekichert, und ein Mittvierziger fühlt sich bemüßigt, markig die Gleichberechtigung einzufordern. Dabei liegt der Reiz der Installation in der Offenheit der Situation. Im Gegensatz zu denen, die darüber sprechen, hat Framis nicht definiert, was ein »comforter« ist. Das Neue wird mit Begriffen des Bekannten bezeichnet und so zu dem, was man schon kennt. Dabei wird Erfahrung zur verfügbaren Variable zwischen dem Jetzt und einem bereits bekannten Später.

»Es geht nicht um die großen ideologischen Gedanken der sechziger und siebziger Jahre«, so Saskia Bos, »sondern eher um Eins-zu-Eins-Beziehungen, um kleine, realisierbare Utopien.« Man kann die Utopien in den Arbeiten von Peterman, Framis und Kusolwong lesen als Essen, Kuscheln, Sex. Dabei geht dann allerdings verloren, dass Petermans Recycling-Installation Teil eines Projekts in Chicago ist, das sich als social laboratory begreift, und dass Framis »Minibar« nicht zuletzt die Ökonomie des Begehrens problematisiert.

Damit die Haltung der KünstlerInnen nicht so affirmativ gelesen wird, betont die Kuratorin das Gegenteil. Die Kritik richte sich »beinahe gegen die Organisation selbst«, etwa wenn die KünstlerInnen sagen: »Moment, wo sind wir denn hier, mitten in einer Machtstruktur?« Dass es im Feld von Künstlern, Kuratoren, Galeristen und Sponsoren Machtstrukturen gibt, dafür ist die Biennale ein ziemlich anschauliches Beispiel. Da die Stadt kein Geld hat, ist die 2. Biennale, die einen Teil ihrer Gelder aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds bezieht, noch stärker als die erste Veranstaltung auf Sponsoring angewiesen.

Die Förderer der 2. Biennale heißen Deutsche Genossenschaftsbank, Firmengruppe Mayntz und Allianz Kulturstiftung. In die Rolle des Mäzens, der sich dezent im Hintergrund hält, wollte sich diese Stiftung nicht fügen. Sie ist eine der Hauptgeldgeberinnen und will das auch demonstrieren. Deshalb wird ein Teil der Ausstellung in den Allianz Treptowers gezeigt. Das dreißigstöckige Hochhaus bilde einen »gelungenen Gebäudekomplex am Ostrand der Berliner Innenstadt«, heißt es über die einsam aufragenden Treptowers an der architektonisch eher kargeren Peripherie Berlins.

Um die »funktionale Architektur« des Gebäudes zu beleben, sind die Künstler eingeladen worden, »direkt auf die Innenräume zu reagieren«. Das entspricht dem Wunsch des Unternehmens, sich durch »gezieltes Kultursponsering nach außen wirksam in Szene zu setzen«, wie es in der Firmenbroschüre heißt. Das entspannte Nebeneinander von Kunst und Kapital wirft Fragen auf, die die Biennale aber nicht zu beantworten weiß. Ist es für die Rezeption von Kunst wirklich unerheblich, ob sie in Galerien oder in Firmengebäuden ausgestellt wird? Auf der Biennale-Webpage heißt es lapidar, die Ausstellung beleuchte kritisch »das Kunstsystem mit seiner Selbstbezogenheit, mit all seinen Verstrickungen und Codes«.

Mit der Abkehr von den großen ideologischen Entwürfen hat sich auch das Verständnis von Macht verändert. Wenn Macht erst einmal als Diskurs statt als Abhängigkeitsverhältnis begriffen wird, hat das Konsequenzen für Ort und Strategie von Opposition. Wo Unkonventionalität zur Norm geworden ist und der Markt auch das Abweichende umarmt, verändert sich zugleich die Gestalt von Subversion. Saskia Bos setzt auf den Entwurf von »Gegen-Kartografien«. Das soll heißen, den Marktstrategien entkommen, fiktionalisieren, analysieren, verändern. Gleichzeitig aber soll die zeitgenössische Kunst als Marketinginstrument der Kulturstadt Berlin fungieren. Das sei doch »toll«, wenn Berlin die Kunst zu diesem Zweck entdeckte. Eine recht verwirrende Aufgabenvielfalt.

Wie sich der Markt anfühlt, davon jedenfalls geben Markus Muntean und Adi Rosenblum eine Ahnung. Mit ihrer Plastik-Installation/Performance »Where Else« haben sie eine verlassene, klinisch reine Hamburger-Filiale geschaffen. »Please do not sit«, steht auf den Sitzgruppen, alles ist rot oder gelb, und mit sehr langsamen Bewegungen dreht die rot gekleidete Reinigungskraft den gelben Mop auf dem roten Plastikboden, während die Musik im Hintergrund wie weichgespült von einer Harmonie in die andere fließt.

Die Bilder an der Wand zeigen junge Menschen, deren Haltungen an Posen aus der Werbefotografie erinnern. Ihr Blick geht ins Leere. Auch ihre Gesten sind leer, bedeuten nichts mehr. Muntean und Rosenblum verstehen ihre Installation als »Arbeit am post-poststrukturalistischen Subjektbegriff«, als Suche nach einem anderen Verständnis von Subjektivität. Irgendwo muss die sein, irgendwann auftauchen. Wo ist eigentlich der Comforter?

Die 2. Berlin-Biennale findet in den Kunst-Werken, im Postfuhramt, im S-Bahnhof Jannowitzbrücke und in den Treptowers statt. Bis 20. Juni