Neue Beweise im Fall Mumia Abu-Jamal

Ein, zwei, viele Eide

Im Fall des zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal hat die Verteidigung neues Beweismaterial vorgelegt.

Ich habe den Polizeibeamten Daniel Faulkner nicht erschossen. Ich habe nichts mit dem Tod von Faulkner zu tun. Ich bin unschuldig.« Mit diesen Worten hat sich der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal zum ersten Mal öffentlich zu der Anklage geäußert, wegen der er seit nunmehr über 19 Jahren in der Todeszelle sitzt.

Abu-Jamals Aussage wurde am Freitag vorletzter Woche von seinem neuen Verteidigerteam während einer Pressekonferenz auf den Stufen des Bundesgerichts von Philadelphia präsentiert. Die Anwälte legten der überraschten Öffentlichkeit noch zwei weitere eidesstattliche Erklärungen vor, die beweisen sollen, dass der heute 45jährige im Sommer 1982 zu Unrecht wegen Mordes an Daniel Faulkner in Philadelphia zum Tode verurteilt wurde.

Im damaligen Prozess hatte Abu-Jamal auf eine Aussage zu den Tatvorwürfen verzichtet, da er zu Recht davon ausging, dass mit dem als »Henker von Philadelphia« berüchtigten Richter Albert F. Sabo ein faires Verfahren ohnehin nicht möglich war. Auf Anraten seiner Anwälte schwieg Abu-Jamal dann auch in den vergangenen Jahren zu den Details. »In einem Fall, in dem Staatsanwaltschaft und Polizei alles unternommen haben, um Beweise und entlastende Aussagen zu unterdrücken und zu verfälschen, präsentiert jeder vernünftige Strafverteidiger die Aussage seines Mandanten im Prozess und nicht vorher in den Medien«, lautete das Credo des Rechtsanwalts Len Weinglass, der Abu-Jamal in den letzten zehn Jahren vertrat.

Seitdem Abu-Jamal das Anwaltsteam um Weinglass im Februar diesen Jahres feuerte, weil einer der Mitverteidiger ein nicht autorisiertes Buch mit internen Informationen aus der Prozessstrategie veröffentlicht hatte, hat sich die juristische Strategie offenbar geändert. Nach Ansicht unabhängiger ProzessbeobachterInnen befürchtet das neue Anwaltsteam, dass der momentan für den Antrag auf ein neues Verfahren zuständige Bundesrichter William Yohn gegen Abu-Jamal entscheiden wird. Deshalb hätten sich die vier neuen VerteidigerInnen für den Schritt in die Öffentlichkeit entschieden.

In seiner eidesstattlichen Erklärung schreibt Abu-Jamal u.a.: »Jetzt habe ich zum ersten Mal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen, was mir in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1981 widerfahren ist: Als ich die Straße überquerte, sah ich, wie sich ein uniformierter Polizeibeamter mit einer Pistole in der Hand zu mir umdrehte. Dann sah ich ein Aufblitzen und ging in die Knie. (...) Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich fühlte, dass ich getreten, geschlagen und aus meiner Regungslosigkeit geweckt wurde. Als ich meine Augen öffnete, sah ich überall um mich herum Polizeibeamte.«

Nach Aussagen von Krankenschwestern und Medizinern wurde der durch einen Schuss lebensgefährlich verletzte Abu-Jamal vor und während seiner Einlieferung ins Krankenhaus von Polizeibeamten schwer misshandelt.

Abu-Jamals Aussage wird durch die eidesstattliche Erklärung seines Bruders William Cook untermauert. Cook war vor den tödlichen Schüssen von Faulkner auf der Straße angehalten und geschlagen worden. Nach Morddrohungen war er im Prozess 1982 nicht als Zeuge aufgetreten und hatte sich - schwer traumatisiert von anhaltenden Drohungen durch Polizeibeamte - in den letzten Jahren als Obdachloser versteckt gehalten.

Bereits vor der Veröffentlichung dieser Aussagen lagen neue Beweise und Zeugenaussagen vor, die die Flucht eines bis dato unbekannten Mannes vom Ort des Geschehens ebenso bestätigten wie die Tatsache, dass Abu-Jamal nicht auf den Polizeibeamten geschossen hat. Für die meisten seiner UnterstützerInnen bestätigen Abu-Jamals Unschuldserklärung und die Aussage seines Bruders, dass Abu-Jamal von einer rassistisch motivierten, mehrheitlich weißen Geschworenenjury schuldlos zum Tode verurteilt wurde.

Allerdings sorgt eine dritte eidesstattliche Erklärung derzeit für Überraschung, Verunsicherung und hämische Berichterstattung in den US-amerikanischen Medien. Darin erklärt ein Mann namens Arnold Beverly, er sei von Mafiakreisen als Killer angeheuert worden, die Faulkner aus dem Weg schaffen wollten. Der Polizeibeamte habe Drogen-, Prostitutions- und illegalen Glücksspielgeschäften im Wege gestanden, weil er sich im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen nicht bestechen lassen wollte und mit der Strafverfolgung der Beteiligten gedroht habe. Beverly gab an, er habe Faulkner »aus nächster Nähe« erschossen. Dabei seien andere Polizeibeamte zugegen gewesen; einer von ihnen habe dafür gesorgt, dass er nach der Tat an einen sicheren Ort gebracht wurde.

Nach Angaben von Abu-Jamals ehemaligem Mitverteidiger Dan Williams lag Beverlys Aussage auch dem alten Verteidigerteam vor. Len Weinglass und Dan Williams verzichteten allerdings darauf, diese Aussage in ihren Antrag auf ein neues Verfahren vor dem Bundesgericht aufzunehmen. Beverly bestand einen Lügendetektortest und fiel beim zweiten Mal durch.

Dass sein momentaner Aufenthaltsort nicht preisgegeben wird und seine Aussage von Abu-Jamals bisherigem Verteidigerteam nicht präsentiert wurde, wird von den Medien und der Staatsanwaltschaft ausgeschlachtet. Diese eidesstattliche Versicherung sei »so eindeutig lächerlich, dass es für jeden offensichtlich sein sollte, dass sie eine Erfindung ist«, lautete der Kommentar der Staatsanwaltschaft nach der Pressekonferenz.

Unabhängige ProzessbeobachterInnen bewerten den Einsatz von Beverlys Aussage einerseits als einen Versuch des neuen Verteidigerteams, sich gegenüber den bisherigen Anwälten Abu-Jamals abzugrenzen und zu profilieren. Zum anderen verweisen sie darauf, dass es in vergleichbaren Fällen wegen der geringen Chancen auf ein Wiederaufnahmeverfahren durchaus üblich sei, so viel Entlastungsmaterial wie möglich öffentlich vorzulegen.

Einige UnterstützerInnen Abu-Jamals sind jedoch besorgt, dass Beverlys Aussage vom eigentlichen Kern des Falls ablenken könnte. Es sei unnötig, sich auf die Suche nach dem Täter zu begeben, da die Beweise für Abu-Jamals Unschuld überzeugend seien.

Fraglich bleibt, wie Bundesrichter William Yohn, der seit eineinhalb Jahren die Entscheidung über Abu-Jamals Wiederaufnahmeantrag hinauszögert, auf die neuen eidesstattlichen Versicherungen reagieren wird. Für den Fall einer Ablehnung des Antrags bereiten UnterstützerInnen weltweit Aktionen vor.

Sollte Abu-Jamal vor dem Bundesgericht verlieren, muss damit gerechnet werden, dass Gouverneur von Pennsylvania, John Ridge, den Hinrichtungsbefehl unterzeichnet. Abu-Jamal bliebe dann noch der Gang vor ein Bundesberufungsgericht, das den Hinrichtungsbefehl aussetzen und über ein neues Verfahren entscheiden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er der Hinrichtungsmaschinerie entkommt, ist nach Ansicht von juristischen Experten dann jedoch nicht mehr allzu groß.