Debatte um Gentechnik

Im Zweifel für das ewige Leben

Ein Ethikrat von Kanzlers Gnaden, der unter immensem Zeitdruck über die Moralität der Forschung an embryonalen Stammzellen entscheiden soll. Ein wildentschlossener Wolfgang Clement, der im Alleingang den Durchbruch zur Stammzellen-Züchtung in Deutschland erzwingen will. Zwei Bonner Gehirnforscher, deren offizielle Forschungspläne die Ziele des nach wie vor gültigen Embryonenschutzgesetzes karikieren. Ein den Ethikrat unter Druck setzendes Plädoyer der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Embryonenforschung. Und vorneweg ein deutscher Kanzler, der vor übertriebener Zurückhaltung in Sachen Gentechnik warnt und die Kritik daran auf ein wirtschaftlich verträgliches Maß reduzieren möchte.

Schnell bekommt man den Eindruck, dass die Weichen für den biomedizinischen Fortschritt in erster Linie durch präzise kalkulierte Tabubrüche von karrierebewussten Wissenschaftlern und technikeuphorisierten Politikern gestellt werden. Sie alle setzen auf Tempo. Denn sie sehen einen sich international extrem verschärfenden Wettlauf um Know-how und Kompetenz in der Biotechnologie, der Schlüsseltechnologie der Zukunft. Für Bedenken, so ihre Botschaft, sei die Zeit zu kostbar. Wer zögert und zaudert, versündige sich am Wohl der Nation.

Dieser Faktenpolitik scheint die Ethik hilflos ausgeliefert zu sein. Gerade die zuletzt so engagiert geführte Bioethik-Debatte im Bundestag verstärkt diesen Eindruck. Die Inszenierung einer neuen Nachdenklichkeit im Kontext der gentechnischen Herausforderungen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass politische Konsequenzen sehr schnell gezogen werden dürften, wenn die Debatte erst einmal abgeflaut ist.

Der sorgfältige und bedächtige Abgleich längst bekannter Positionen schien seine Bedeutung in erster Linie darin zu haben, dass die Parlamentarier sich gegenseitig einer funktionierenden Debattenkultur versicherten. Denn alle Argumente, pro und contra, sind - nicht zuletzt im Vorlauf des von Schröder gestoppten Fortpflanzungsmedizingesetzes unter Andrea Fischer - bereits gehört und unzählige Male wiederholt worden. Die Standpunkte sind bekannt. Hier Schröder, dort Rau, hier Clement, dort Däubler-Gmelin, hier die Ethik des Standorts, dort die Ethik der Menschenwürde. Eine Aussicht darauf, dass diese Differenzen jemals in konsensuell getragene Lösungen überführt werden können, besteht nicht.

Die ethischen Fragen, die die Gentechnik aufwirft, werden daher für einen dauerhaften Dissens sorgen, in dem Visionen und Verheißungen den rationalen Diskurs durchlöchern und den Fortschritt als einen Erfolg der besseren Marketingstrategie erscheinen lassen. Eine neue Eugenik durch gentechnische Selektion? Nein, mehr Arbeitsplätze durch Gentechnik! Eine intensivierte Ausbeutung von Frauen als Embryonenspende-Maschinen? Ach was, passgenaue Organe und lebensrettende Frischzellen für Herz- und Hirnkranke! Im Zweifelsfall für den Traum vom ewigen Leben!

Weil die Chancen und Risiken der Gentechnik in der Zukunft liegen und letztlich nicht gegeneinander aufgerechnet werden können, gibt es für die Politik nur einen Ausweg: Es muss Vertrauen hergestellt werden. Und genau darum geht es auch in der Debatte um die Embryonenforschung. Deren Subtext lautet: Wenn die Parlamentsdebatte derart verantwortungsbewusst geführt wird, ist nicht zu erwarten, dass die neue Praxis so verantwortungslos sein wird, wie es die Kritiker fürchten. Entscheidungen werden derweil in außerparlamentarischen Aktionen à la Clement präfabriziert.