Schulbücher verherrlichen Kriegsverbrechen

Ein wahrer Pazifist

Trotz chinesischer und südkoreanischer Widerstände will Premier Koizumi Schulbücher, die japanische Kriegsverbrechen leugnen, nicht zurückziehen.

Premierminister Yunichiro Koizumi ist ein wahrer Pazifist«, teilte der Generalsekretär der japanischen Liberaldemokratischen Partei (LDP), Taku Yamasaki, den erstaunten chinesischen Gastgebern bei seinem offiziellen Besuch Mitte Juli in Peking mit. Die Regierung der Volksrepublik sah das anders. Sie kritisierte Koizumis angekündigten Besuch des Tokioter Yasukuni-Schreins scharf.

Dort werden alle japanischen Soldaten wie auch Hideki Tojo und fünf andere ebenfalls hingerichtete Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs verehrt. Am 15. August, dem Tag der Kapitulation des kaiserlichen Japan, pilgern alljährlich tausende Konservative und Nationalisten zum Tempel, um Räucherstäbchen zu Ehren der Soldaten anzuzünden. Mit dabei sind immer einige Minister, Koizumi ist allerdings seit Yasuhiro Nakasones Besuch 1985 der erste Premier, der dort erscheinen will. Seine Handlungen würden den nationalen Willen Japans repräsentieren, erklärte der chinesische Außenminister Tang Jiaxuan, er müsse die Bedeutung seines Besuches bedenken.

Der vorangegangene Besuch dreier Generalsekretäre der japanischen Regierungsparteien in Südkorea hingegen war weniger glimpflich verlaufen. Südkoreas Präsident Kim-Dae-Jung weigerte sich schlicht, die hochrangigen Besucher zu empfangen, während hunderte DemonstrantInnen die japanische Botschaft in Seoul mit Steinen und Molotow-Cocktails attackierten. Zahlreiche offizielle Kontakte auf lokaler und militärischer Ebene wurden abgesagt. Der erst vor einigen Jahren erlaubte Import von japanischen Kulturgütern wurde gestoppt.

Anlass war die Weigerung Japans, einige in diesem Jahr veröffentlichte Geschichts-Schulbücher zu verändern. 35 Korrekturen verlangte die Regierung Südkoreas, vor allem die japanische Aggression gegen Korea und China in den Jahren 1910 bis 1945 betreffend. Geändert wurden lediglich zwei Passagen über das Ende der Neusteinzeit in Korea und über lange untergegangene Königreiche. Alle anderen Texte waren nach Ansicht der zuständigen Kommission im Tokioter Erziehungsministerium nicht falsch.

Die liberale Tageszeitung Asahi Shimbun schrieb dazu, dass nicht ausdrückliche Fehler das Problem seien, sondern gezielte Auslassungen. So heißt es in einem Schulbuch: »Bürgerwehren und andere ermordeten nach dem großen Kanto-Erdbeben in Tokio 1923 Sozialisten, Chinesen und Koreaner.« Die südkoreanische Regierung forderte, dass die Beteiligung staatlicher Autoritäten an den Morden im Text erscheinen müsse. Als Antwort erhielt sie den Bescheid, dass mit der Formulierung »und andere« auch der Staat gemeint sei.

Südkorea und die Volksrepublik China sind zu sehr von der Wirtschaftsmacht Japan abhängig, als dass sie ihren Drohungen ernsthafte Sanktionen folgen lassen könnten. Immerhin aber haben ihre Proteste die Debatte neu entfacht. Noch bis in die neunziger Jahre hinein wurden in den weitaus meisten Schulbüchern die Kriegsschuld und die Kriegsverbrechen Japans nicht erwähnt. Vor allem wegen jahrzehntelanger Proteste der Volksrepublik China wurden die Schulbücher schließlich geändert. Eine Kommission des Erziehungsministeriums muss nun alle Bücher vor dem Gebrauch in der Schule genehmigen - doch sie zeigt sich sehr tolerant gegenüber der nationalistischen Geschichtsinterpretation.

Eine national-konservative Geschichts-Schulbuchreform-Gesellschaft schrieb das provokanteste Buch, auf das auch die meisten Beschwerden folgten, welches aber ebenfalls für Schulen genehmigt ist. Diese Gesellschaft will dem angeblich von den amerikanischen Siegern aufoktroyierten Geschichtsbild die »wahre« Geschichte entgegensetzen, in der es keine japanische Kriegsschuld gibt, sondern einen asiatischen Befreiungskampf unter japanischer Führung.

Dieses Buch wurde im großen Verlag Fuso-sha herausgegeben, einem Teil des Fuji-Sankei-Medienkonzerns, der die größten TV- und Radiostationen sowie die fünftgrößte Zeitung besitzt. Dort wird der Schulbuchreform-Gesellschaft regelmäßig Platz eingeräumt, ihre Meinung zu verbreiten - die nicht etwa nur rechtsaußen, sondern auch in wichtigen Fraktionen der regierenden LDP geteilt wird. Eine Folge dieser Kampagne war 1999 die Anweisung der Regierung, an den Schulen täglich die Nationalhymne unter der japanischen Flagge singen zu lassen.

Auch die Notwendigkeit einer Entschädigung für die Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wird von Konservativen und Nationalisten bestritten. Mitte Juli entschied erstmals ein japanisches Gericht, dass der japanische Staat einem Chinesen eine Entschädigung in Höhe von 20 Millionen Yen (umgerechnet etwa 180 000 Euro) zu zahlen hat. Mittlerweile liegen 50 Klagen von ehemaligen Zwangsprostituierten aus Korea und China vor. Neben einer finanziellen Entschädigung fordern sie auch eine offizielle Entschuldigung für die erlittenen Qualen. Erstmals klagen acht Frauen nicht wegen körperlicher Schäden, sondern wegen lang andauernder psychischer Traumata.

Rund 25 000 US-amerikanische Kriegsgefangene mussten für verschiedene japanische Firmen Zwangsarbeit leisten. Nach inoffiziellen Schätzungen kamen jeder Siebte von ihnen ums Leben. Bisher hat sich Japan mit dem Hinweis auf den Friedensvertrag von 1951 geweigert, Entschädigungen zu zahlen. Damals verzichteten die Alliierten auf alle Ansprüche gegen Japan auch im Namen ihrer Staatsbürger. Alle US-amerikanischen Gerichte haben sich bisher darauf berufen. Eine Gruppe von 45 US-Kongressabgeordneten aus beiden Parteien unterstützt nun die 5 500 noch lebenden ehemaligen amerikanischen Zwangsarbeiter in ihrem Bemühen um Wiedergutmachung. Es ist dabei nicht zu übersehen, dass Weiße - vor allem aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden - eine weitaus stärkere Lobby als die asiatischen Opfer der japanischen Aggression haben.

Die Asahi Shimbun fragte jüngst in einem Kommentar, wieweit Koizumi mit seinen Handlungen die nationalistische Stimmung anheizen wolle. Sie sieht mit seinem geplanten Besuch am Yasukuni-Schrein den »totalen Kollaps« der Beziehungen zu Südkorea voraus. Auch westliche Medien staunen mittlerweile über den Nationalismus des zunächst als Reformer gelobten Koizumi. Der will nun auch die pazifistische Nachkriegsverfassung ändern, um die hochgerüstete Armee weltweit einsetzen zu können.