Rot-grünes Konzept für den Arbeitsmarkt

Jetzt oder nie - Flexicurity!

Gib dem Arbeitsamt keine Chance, denn es könnte sein, dass es dir einen schlecht bezahlten Arbeitsplatz verschafft. Zumindest wenn es nach Rot-Grün geht.

Drin? Schon drin? Das ist ja einfach. Doch so mühelos klappt es nur mit dem Einstieg in einen Artikel oder ins Internet. Anderenorts ist der Zugang schwerer, insbesondere auf den Arbeitsmarkt. Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen (ABM, SAM) scheinen die falsche Software zu liefern, Arbeitslose verwenden die falschen Kennworte, die Arbeitsvermittlung bietet einen unzureichenden Support.

Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Kerstin Müller und Rezzo Schlauch, sowie ihre arbeitsmarktpolitische Sprecherin, Thea Dückert, sehen darin ein zentrales gesellschaftliches Gerechtigkeitsproblem. »Gerechtigkeit heißt heute auch Recht zur Teilhabe an Arbeit, Bildung und demokratischer Gestaltung - und damit: Zugangsgerechtigkeit«, schreiben sie bereits im Mai in einem Papier, das wie fürs Sommerloch geschaffen scheint.

»Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik - Zugangsberechtigung und Flexicurity« ist das keineswegs so neue Konzept überschrieben. Die Logik ist denkbar einfach. Man nehme zwei zentrale Begriffe der aktuellen sozialpolitischen Debatte, Flexibilität und Sicherheit, grenze sich von Strukturkonservativen und Neoliberalen ab und mische Vorschläge von New Labour und Arbeitnehmerverbänden. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten, es nennt sich Flexicurity.

Auf andauernd hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse und neue Beschäftigungsformen, kurz auf das Verschwinden des so genannten Normalarbeitsverhältnisses müsse der Staat reagieren, lautet die These der Grünen. Während in Zeiten fordistischer Prosperität auf kontinuierliche Erwerbs- und Lebensverläufe gesetzt wurde, bedarf es nun einer staatlichen Regulation der Diskontinuitäten und Brüche.

Während die Grünen der achtziger Jahre noch die historische Chance zu erkennen glaubten, die sozialpolitische Koppelung von Lohnarbeit und Existenzsicherung aufzulösen, zielen die aktuellen Pläne des grünen Trios vordringlich auf eine Modernisierung dieser Verbindung. Der biblische Imperativ »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« lautet heute in etwa so: »Hallo Arbeitsloser, wir bieten dir einen Eingliederungsvertrag, der dir die Chance auf eine Chance ohne Erfolgsgarantie gibt und erfüllen damit unsere Pflichten. Du hast die Freiheit, die Chance zu ergreifen, um auf dem ersten Arbeitsmarkt dein Glück zu finden. Lehnst du ab, bist du draußen.«

Zurecht weisen Müller, Schlauch und Dückert darauf hin, dass eine weitere Verschärfung der Sanktionen nicht notwendig sei, »weder beim Arbeitslosengeld noch bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe«. Es reiche schließlich, die Tatbestände auszuweiten, bei denen Sanktionen verhängt werden.

In der Sozialhilfefalle

Bei der Konzeption der Flexicurity haben sich die Grünen unterschiedlicher Vorschläge bedient, die seit Mitte der neunziger Jahre kontrovers diskutiert werden. Lohnsubventionen, die die Arbeitgeber finanziell entlasten, werden von dem sozialdemokratischen Wissenschaftler Fritz W. Scharpf seit langem empfohlen, sie fanden Eingang in den 1998 veröffentlichten Zukunftsbericht der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung. Durch eine zeitliche Begrenzung der Zuschüsse wollen die Grünen verhindern, dass ein staatlich subventionierter Niedriglohnbereich entsteht, den es in der Praxis jedoch bereits gibt.

Im Fall der Langzeitarbeitslosen, die Mittel aus der Arbeitslosenversicherung oder der Sozialhilfe beziehen, folgt das Grünen-Papier einer Forderung des Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt. Mit der als Kombilohn bezeichneten Kombination von Transfereinkommen und »selbstverdientem« Arbeitseinkommen sollen den Arbeitslosen schlecht bezahlte Jobs schmackhaft gemacht werden.

Bisher, so die Theorie der Grünen, exisitiere eine Art »Sozialhilfefalle«, die verhindere, dass sich Sozialhilfebezieher um Arbeit bemühten. So zitieren sie den Altbundeskanzler Helmut Kohl und postulieren: »Arbeit muss sich lohnen.« Denn bisher wurden zusätzliche Einkommen nahezu vollständig auf die Sozial- oder Arbeitslosenhilfe angerechnet, sprich: abgezogen. Mit der Folge, dass sich kaum jemand mehr um solche Niedriglohnjobs bemüht. Warum sollte man arbeiten, wenn der Lohn sowie-so von der Sozialleistung subtrahiert wird?

Empirisch lässt sich die Anreizfalle jedoch kaum nachweisen. Nach dieser Argumentation müssten etwa Familien mit zwei und mehr Kindern überproportional häufig und lange Sozialhilfe beziehen, da bei ihnen das Lohnabstandsgebot nicht eingehalten wird. Der bedarfsorientierten Sozialhilfe wird eine existenzsichernde Funktion zugeschrieben, deshalb erreicht sie bei Familien manchmal sogar das Niveau des unteren Lohnsektors.

Ein längerer Sozialhilfebezug von Familien lässt sich aber nicht belegen, und wenn es ihn gäbe, wäre er für die Argumentation zugunsten eines Niedriglohnsektors auch nicht relevant. Es geht letztlich um ordnungspolitische Vorstellungen und eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Dass diese Regelung einen Quasi-Mindestlohn förderte, der Lohndumping verhindern sollte, wissen wahrscheinlich nur noch Traditionalisten. Dass damit die Tarifautonomie ausgehebelt wird, dürfte auch den Grünen klar sein.

CDU und FDP reagierten verzückt auf den Vorschlag, die bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente, wie etwa die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), durch Lohnsubventionen und Kombilöhne zu ergänzen. Auch der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, argumentierte in diesem Sinne. Der Sozialdemokrat verlangte, das Prinzip »Fordern und Fördern« entschiedener umzusetzen. Bessere Arbeitsanreize als mit ABM könnten durch die effizientere Anwendung von Sanktionsinstrumenten und mit Lohnkostenzuschüssen erreicht werden.

Einen aktuellen wissenschaftlichen Beistand liefert das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das den bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie ABM durchweg schlechte Noten gibt. »Durch ABM steigen nicht die Chancen einer erfolgreichen Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt, sie sinken eher«, heißt es in dessen Bestandsaufnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Gleichzeitig wird darin bemängelt, dass ausreichendes Wissen über die »Wirksamkeit und die (Kosten)-Effizienz« der einzelnen Maßnahmen »in keinster Weise« bestehe.

Bei den Gewerkschaften stoßen solche Äußerungen dagegen auf Unmut. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer forderte die Wissenschaft auf, »konstruktiv zu helfen und sich unqualifizierter Störfeuer zu enthalten«. Sie hält ABM und SAM vor allem für Ostdeutschland weiterhin für notwendig.

Aktivierender Staat

Jenseits der Kosteneffizienz zielt die derzeitige Debatte auf eine Optimierung der Arbeitskraftverwertung unter neuen Bedingungen. Nach der Sommerpause will die Regierungskoalition den seit Anfang Juli vorliegenden Gesetzentwurf »Job-Aqtiv« (Aktivieren - Qualifizieren - Trainieren - Investieren - Vermitteln) in den Bundestag einbringen. Zwar wird darin auf den Kombilohn verzichtet und die ABM bleiben weitgehend unangetastet, doch sollen Lohnkostenzuschüsse stärker in der Arbeitsförderung verankert werden.

Bereits Ende 1999 fasste die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluss unter dem Titel: »Moderner Staat - Moderne Verwaltung. Leitbild und Programm der Bundesregierung«. Zentrale Begriffe des darin wie in dem »Job-Aqtiv«-Gesetz enthalten Leitbilds des »aktivierenden Staates« sind: Adaptability als vorausschauende Qualifizierungsmaßnahmen; Employability als Beschäftigungsfähigkeit durch Qualifikation und Life Long Learning; Entrepreneurship als Aufbau neuer Unternehmen sowie Empowerment als Vermeiden sozialstaatlich induzierter Abhängigkeit.

Die im Job-Aqtiv-Gesetz vorgesehenen Eingliederungsvereinbarungen setzten ein »Vermessen« der Qualitäten der Arbeitslosen voraus. Profiling nennt es die Koalition. Der Begriff erinnert an die psychologische Profilerstellung in der Kriminalistik. Sofern eine Profilerstellung nicht möglich sei, würden die arbeitslosen Integrationsobjekte in ein so genanntes »Assessment«-Verfahren geschickt, wohl zur anderweitigen Überprüfung ihrer Fähigkeiten. Ebenso konsequent humankapitalistisch wird die Umsetzung des auf europäischer Ebene vorgegebenen Gender-Mainstreaming begründet: »Angesichts des raschen wirtschaftlichen, technologischen und strukturellen Wandels kann es sich kein Staat leisten, Fähigkeiten und Fertigkeiten seiner Bevölkerung ungenutzt zu lassen.«

Der Arbeitskraftunternehmer

Grundsätzlich neu sind diese staatlichen Aktivitäten nicht. Der französische Philosoph Louis Althusser hat schon in den siebziger Jahren die Reproduktion der Ware Arbeitskraft als eine zentrale Funktion des Staates bezeichnet, die bezüglich der Qualifizierungserfordernisse »in Formen der ideologischen Unterwerfung« und insbesondere in den Institutionen des ideologischen Staatsapparates - und hier wiederum vor allem im Bildungssektor - erfolgten. Während damals zunächst die materielle Reproduktion im Vordergrund stand, scheint in der derzeitigen Umbruchphase, die nur notdürftig mit dem Begriff Postfordismus umschrieben wird, die ideologische Reformulierung der Reproduktion und ihrer Bedingungen dominant zu sein. Im Zentrum steht die inzwischen totale Erfassung der Arbeitskraft und ihrer Träger als Waren.

Der aktivierende Staat verfolgt das Ziel, die Figur des so genannten Arbeitskraftunternehmers zu stützen. Für die Individuen folgt daraus eine verstärkte Selbstwahrnehmung als zu veredelnder bzw. halbveredelter Rohstoff, oder kurz: als Humankapital. Konsequent bezeichnen Müller, Schlauch und Dückert Qualifizierung als eine »zentrale Frage der Zugangsgerechtigkeit«. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Wolfgang Clement (SPD), sowie der Arbeitgeberpräsident Hundt postulieren »Bildung als soziale Frage des 21. Jahrhunderts«.

Dass der Qualifikationsimperativ vor allem durch Zwang, wie etwa durch Sperrzeiten in der Arbeitslosenversicherung oder Regelsatzkürzungen in der Sozialhilfe durchgesetzt wird, ist die eine Seite. Repressionen sind ein grundlegendes Merkmal jeglicher Staatlichkeit, die gegenwärtig sowohl auf der Ebene sozialer Rechte als auch auf der Ebene der Bürgerrechte autoritärer wird.

Andererseits wirkt bereits ein kultureller und moralischer Wandel, zu dem die Neuen Sozialen Bewegungen mit ihrer ökologischen, antikapitalistischen und feministischen Ausrichtung beigetragen haben. Diskurse um »Befreiung in der Arbeit«, um ein größeres Maß an Zeitautonomie sowie eine Kritik an dem staatsbürokratisch regulierten Lebenslauf Ausbildung-Arbeit-Rente, oft mit dem Euphemismus vom »lebenslangen Lernen« umschrieben, sind Bestandteile des so genannten »Wertewandels«, auf den eine neoliberale Hegemoniepolitik zurückgreifen und aufbauen kann.

Statt einengender Sicherheit und Stabilität herrscht Ungewissheit: »Das Individuum muss aus sich heraus jeweils von neuem mit der Kontingenz, also der Tatsache, dass auch alles andere möglich sein könnte, fertig werden«, beschreibt der Soziologe Alex Demirovic diesen Prozess. Schwerer als die Hoffnung, diese neuen Freiräume nutzen zu können, wiegt jedoch die Einsicht, dass weder betriebliche Herrschaftsverhältnisse noch Ausbeutung so schnell überwunden werden dürften.