My Mobile Internet

Ich war ein New Economy-Junkie. Aus dem Herzen eines Start-Up

Man muss alles mal ausprobieren, sagt meine Mutter. Ihr zweiter Lieblingssatz: Du musst sehen, dass du irgendwo unterkommst. »RedakteurInnen gesucht für Internetprojekt«, steht eines Tages in der taz. Bewerben bei Michael Rediske. E-Mail hin mit Lebenslauf, vielleicht holt mich ja der ehemalige taz-Chef aus dem Spind beim Eulenspiegel, wo ich so vor mich hindämmere.

Vorstellungsgespräch, mir gegenüber sitzen Klaudia, auch Ex-taz, und Alexandra, Ex-»Liebe Sünde«-Produzentin. Wir sollen einen mobilen Stadtführer schreiben, mit permanentem Update. Aber Internet, das ist uns viel zu uncool. Das benutzen wir nur zum Runterladen. Unser Stadtführer ist für Handys und mobile Kleincomputer - Palm, Windows CE, Psion. Ich: »Zwölf Stunden Arbeit am Tag?« Alex: »Mmmh.« - »Auch am Wochenende?« - »Mmmh.«

Wenig später fangen wir in der New Economy an, mit uns noch zwei Redakteurinnen und die Büromanagerin, alles eher linke Zecken. Sollte es jenseits der Politik einen Platz geben, wo die Lumpenintelligenz - Assi-Intel inside - Karriere macht? Ein 50-Quadratmeter-Büro in der Köpenicker, Berlin-Kreuzberg. Tapeziertische als Schreibtische, düsenjet-laute Serveranlage, Hitze, Enge, zack, zack, Übersetzer hier, Techies da, Autoren checken - die halten uns ganz schön auf Trab. Da leidet dann schon mal der kollegiale Umgang, aber nicht die Chef-Allüren. Wir aquirieren jeden guten Schreiber in Berlin. Denn Geld ist da. Unser Unternehmen, ansässig in Stockholm, London und Paris, hat zwölf Millionen Dollar bei internationalen Geldgebern aufgetrieben. Goldgräberstimmung. Fenster auf, Geld raus: Knete spielt keine Rolle.

Ein Pizza-Restaurant in der Nähe? Kein Problem: Via Satelliten-Ortungssystem zeigt dir unser Dienst, wo du das nächste findest. Dabei kann's auf dem Handy auch schon mal ein bisschen länger dauern. Aber scheiß drauf, wer ein Wap-Handy hat, hat auch Kohle. Ziad, 26, hatte die Idee. Sushant baut die Firma auf. Wir sind multicultural, und bevor irgendwas aus der Zentrale kommt, ist eine E-Mail-Richtlinie da: Wer rassistischen oder sexistischen Scheiß versendet, fliegt.

Auf einen Arbeitsvertrag warte ich vergebens. Das Führungspersonal sei sich nicht grün über die stock options. Wir verändern uns. Schnell werden wir New Economy Class. Das Ortungssystem heißt GPS. GPRS ist die neue Handy-Generation. UMTS kommt sicher. IPO ist Börsengang. Raus aus der abgewetzten Breitkordhose, rein in den dreiteiligen Anzug (Kaufhof, 199 Mark), 1. Klasse nach Paris, nach London. Geil. Grinskapitalismus!

All unser Arbeiten hat nur einen Zweck: den Launch, der Tag, an dem wir ins Netz gehen, der D-Day für jede Internetfirma. Bei uns ist es am 11. Juli 2000 soweit. Wir stellen unser Programm der Presse vor. Alex hat das Restaurant Käfer im Bundestag gemietet, Ziad ist gekommen und eine Menge Journalisten. Sushant bleibt zu Haus. Die Kinder-statt-Inder-Debatte tobt.

Sushant ist indischer Herkunft. Schau an, da kommt der Inder und schafft Arbeitsplätze in Deutschland. Und bleibt, wo er ist, das macht er alles per E-mail! Obwohl wir fitte Leute sind: Das kann dem Mann keiner verklickern.

»Sex and Games«, daraus besteht das Internet, sagt Ziad. Das nehmen wir wörtlich. Ein Themenbereich unseres Programms heißt »Adult Entertainment«. Die 275-Zeichen-Kommentare stammen von Ingo, Autor des Buchs »Berlin von hinten« und bei Prinz. Mit dem hab ich verhandelt: »Wenn du bei uns einsteigst, kriegst du die Privatnummer von Dagobert!« Das Ergebnis ist umwerfend. »Adult entertainment« ist der Renner, und ich weiß jetzt, wo ich in Berlin für 100 Mark eine Stunde ficken kann. Später werden die Texte beim Rechtsanwalt liegen.

Die Pressestrategie geht auf. Den ersten schlechten Artikel bringt Richard Rother in der taz. Der Tagesspiegel zieht nach. Gut 30 weitere Artikel in FTD, stern, Amica, B.Z., FR folgen. Michael kriegt eine ganze Seite in der Welt. Klar, der Alternativling wird Internetchef. Ein Märchen, Baby. Wir kommen ins Fernsehen. Ich hab 3 000 Visitenkarten. Man kann sich nicht über die Berufsbezeichnung einigen. Eigentlich bin ich Redakteur. Erst steht Content Editor drauf, dann Subeditor oder andersrum - nee: Subeditor, das kannste in Deutschland keinem verklickern. Die glauben ja, ich wär Bürobote. Bei einem Satz Karten färbt die Hinterseite ab. Gerade, als wir einen neuen Board-Vorsitzenden bekommen. Bei dem färben sie auch ab. Ian, der neue, ist ein Pfund. Er war Manager Europe bei Lucent Technologies.

Dumm nur, dass der auch rechnen kann. »We need fresh money«, stellt er fest, ansonsten ist Christmas die Sause vorbei. Alle Updates stopp, Wa(r)p-Antrieb raus, Däumchen drehen. Der Businessplan sah anders aus als die Realität. 8,8 Millionen Dollar Revenues im Geschäftsjahr 2000. Aber es sind nur 100 000. Von wegen, Knete egal.

Es ist schlichtweg vergessen worden, wie man Geld verdienen soll. Denen fiel nur Banneraustausch ein und ein bisschen Kooperation (wir bringen in Madrid die Gelben Seiten ins Netz). »Fire all business developpers!« findet Martin, der Marketingchef. Es soll dennoch ein letztes großes Firmentreffen geben. In London, in der Einflugschneise des Flughafens Gatwick. Der Tagungssaal hat den schönen Namen »Concorde«. Manuel, mein Kollege aus Paris, sieht unglücklich aus. Was Wunder: Sein Vater war Bordingenieur im Unglücksjet von Paris.

Es wird eine erstklassige Party. Am nächsten Tag schlagen wir vor, Anzeigen zu aquirieren, wir, die Redaktion. Das finden die Londoner Chefs eine echt gute Idee. Allein, es wird nichts draus. Es kocht in der Gerüchteküche: Zehn Prozent der investierten Summe sollen für die Londoner Zentraler draufgegangen sein, zehn andere als Provision für Headhunter. Bilder von Ian kursieren im Intranet: der Board-Vorsitzende als Sensenmann. The money runs out, Pleite, Kündigung, Sozi.

Wie ging's weiter? Alex ging zu einer Fernsehsendung, die nach drei Wochen eingestellt wurde. Kollegin Sonia wurde arbeitslos, aber schwanger. Doro blieb im Büro sitzen, der neue Mieter aus den USA kaufte sie und die Möbel. Von IT zu IG: Michael wurde Redaktionsleiter beim Gewerkschaftsmagazin. Ich lernte Claudia, Jugendsekretärin beim DGB, kennen. Die gibt die Zeitschrift Soli aktuell heraus, ich soll den Verteiler überarbeiten. Eine Woche später sagt sie: »Du kannst das Ding ganz haben, die Redakteurin ist davongelaufen.«

Dabei ist es geblieben. Ich schreibe jetzt Artikel über die New Economists von Pixelpark. Monate lang wollten die einen Betriebsrat gründen. Als sie's geschafft hatten, kriegten sie gleich was zum unterschreiben: ihr Einverständnis, dass 300 Leute gekündigt werden. The end of the new - Katzenjammer am neuen Markt. Aber UMTS wird kommen, ich schwör's!

Glossar
Board: Firmenleitung; anders als hierzulande sitzen in England Aufsichtsrat und Vorstand in einem Gremium; GPRS: bessere Internettechnologie; Headhunter: privater Stellenvermittler; IPO: Börsengang; Revenues: Einkünfte; Stock options: Aktienoptionen; UMTS: noch bessere Internettechnologie; Update: neue Auflage; Venture capital: Risikokapital; Wap-Handy: internetfähiges Handy