Repressalien gegen afrikanische Migranten

No Exit Istanbul

In der Türkei werden manche MigrantInnen aus Afrika trotz gültiger Papiere abgeschoben, andere werden an der Ausreise gehindert.

Seit Ende Juli empfängt die Menschenrechtsorganisation IHD in Istanbul eine neue Klientel. Täglich kommen ImmigrantInnen aus verschiedenen afrikanischen Staaten und berichten von Menschenrechtsverletzungen der türkischen Behörden.

Am 17. Juli wurden bei einem Großeinsatz an verschiedenen Orten in Istanbul über 300 AfrikanerInnen festgenommen. Die Ausländerpolizei verhaftete sie auf der Straße oder in ihren Wohnungen und hielt sie sieben Tage lang fest. »Sie gaben uns nichts zu essen und zu trinken, und in den fensterlosen Kellerzellen mussten wir auf dem Boden schlafen«, schilderte einer der Betroffenen.

Vielen wurden die Papiere abgenommen, einigen wurde einfach die Seite im Pass, auf der sich ein gültiges Visum für die Türkei befand, herausgerissen. Allein die schwarze Hautfarbe reicht für eine Verhaftung. Wegen der Haftbedingungen und der Misshandlungen durch die Ausländerpolizei kam ein Mensch zu Tode, eine schwangere Frau verlor ihr Kind.

Fast alle MigrantInnen wurden zur türkisch-griechischen Grenze gebracht. Wie Metin Corabatir, Sprecher des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Ankara, berichtet, begründen die Verantwortlichen die Abschiebungen damit, dass die MigrantInnen illegal aus Griechenland eingereist seien. »Sie haben uns mit Schlägen gezwungen, ein Papier zu unterschreiben, das besagt, wir seien über Griechenland in die Türkei eingereist und wollten freiwillig dorthin zurückkehren«, beschrieb dagegen einer der Deportierten die Vorfälle.

Das Grenzgebiet von Ipsala ist eine militärische Sperrzone. Einer vom IHD in Ankara entsandten Kommission, die sich ein Bild von der Situation der deportierten MigrantInnen machen wollte, wurde der Zutritt verwehrt. Bülent Peker, Sprecher für den Bereich Migration des IHD, erklärt, dass sich in dem Gebiet Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern aufhalten und verstecken, die immer wieder versuchen, die Grenze nach Griechenland zu überqueren. Am Rande der Sperrzone hat die IHD-Kommission einen Friedhof mit rund 200 Gräbern von Unbekannten entdeckt, die auf der Flucht umkamen.

Die türkischen Militärs verschleppen die in Istanbul festgenommenen Flüchtlinge in dieses sumpfige und zum Teil verminte Gebiet. Sie sollen sich nach Griechenland durchschlagen, um dort Asyl zu beantragen. Man droht ihnen, dass sie im Falle einer Rückkehr erschossen würden.

An der griechischen Grenze wurden die Ankömmlinge zunächst wieder festgenommen, bis zu fünf Tage inhaftiert und dann in die Türkei zurückgeschickt. Die Flüchtlinge erzählen, dass einige von ihnen fünfmal zwischen den Grenzen hin- und hergelaufen sind, bis es ihnen gelang, den türkischen Militärs zu entwischen und sich auf den Weg nach Istanbul zu machen.

Diejenigen, die nach dieser Odyssee die Istanbuler Zweigstelle des IHD erreichen, berichten von Misshandlungen, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen durch die türkische Ausländerpolizei. Das Geld, das sie bei sich trugen, wurde ihnen abgenommen. Mindestens zwei Menschen sind im Grenzgebiet umgekommen.

Bei ihrer Rückkehr nach Istanbul finden viele ihre Wohnungen zerstört und von der Polizei, den Nachbarn oder Vermietern geplündert. Ein Mann aus Togo berichtet: »Alle meine Sachen, meine Papiere, der Führerschein, die Zeugnisse sind weg. Ich hatte nie vor, in der Türkei zu bleiben und war nur auf der Durchreise. Aber nun kann ich nirgendwo mehr hin.«

Bereits 1993 schickte die türkische Polizei mehr als 100 MigrantInnen aus Afrika von Istanbul in ein Lager nach Zentralanatolien. Ihre Pässe wurden zerstört und die Festgenommenen weiter zur irakischen Grenze gebracht. Die meisten von ihnen kehrten auf Umwegen nach Istanbul zurück. 1997 scheiterte ein Versuch, MigrantInnen mit schwarzer Hautfarbe nach Syrien abzuschieben. Die syrischen Behörden forderten die Flüchtlinge auf, nach Istanbul zurückzugehen.

Die Abschiebepraxis des türkischen Staates widerspricht dem Umgang mit Ausreisewilligen afrikanischer Herkunft. So berichtet ein Mann von einem Freund, der wegen der ausweglosen Situation in der Türkei nach Nigeria zurückfliegen wollte. Er wurde am Flughafen verhaftet und eingesperrt, bis er sich ohne Geld und Pass, vielfach misshandelt, Wochen später in Istanbul wiederfand. Trotz der Einreise mit gültigen Papieren wird die Ausreise häufig mit der Begründung verweigert, die Pässe seien gefälscht. Die Flucht aus der Türkei erscheint unmöglich.

Ebenso unmöglich gestaltet sich das Leben in Istanbul. »Sie wollen, dass wir hier zugrunde gehen«, leitet ein Betroffener seinen Bericht über die alltägliche Schikane durch die Polizei und über die Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt ein. »In den Fabriken lassen sie uns ohne Anleitung an den ältesten Maschinen für zehn US-Dollar in der Woche arbeiten. Häufig werden wir gar nicht oder nur in Naturalien bezahlt.«

Ein Asylrecht existiert in der Türkei nicht. Der Flüchtlingsstatus kann nur über den UNHCR direkt erlangt werden. Vielen MigrantInnen ist jedoch die rechtliche Lage nicht bekannt, die Polizei gibt keine Auskunft und in Istanbul finden sich keine Organisationen zur Unterstützung von Flüchtlingen.

Der IHD beschäftigt sich in diesen Tagen das erste Mal mit der Situation von MigrantInnen in der Türkei. Gedächnisprotokolle werden aufgenommen und eine medizinische Betreuung organisiert. »Die Fälle sollen beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht werden. Außerdem stellen wir Strafanzeige gegen die Vollstreckungsbeamten vor den türkischen Gerichten«, erklärt Eren Keskin, die Vorsitzende des IHD Istanbul und Anwältin der Verletzten.

Insgesamt überfordern die Vorfälle jedoch den IHD. »Es wäre notwendig, hier im IHD-Istanbul eine spezielle Kommission einzurichten, die sich mit der Problematik befasst,« meint das Vorstandsmitglied Mehmet Inci.

Auch zu einer Selbstorganisation der MigrantInnen aus afrikanischen Ländern kam es in der Türkei bislang nicht. Öffentlich könnnen sie sich nicht treffen, weil es sofort zu Verhaftungen kommen würde. Nur eine Istanbuler Kirchengemeinde bietet den Flüchtlingen ihre Räume an, in denen sich diese gelegentlich austauschen können.