Machtkampf in Palästina

Schuhe statt Mörsern

Arafats Politik hat Islamisten und nationalistische Extremisten gestärkt. Die palästinensische Autonomiebehörde scheint nun einen Waffenstillstand zu befürworten.

Ich sah, dass er eine Tasche trug, aus der Drähte herausragten, und ich wusste, was das bedeutet«, erklärt der israelische Busfahrer Menashe Nuriel. Er trat auf die Bremse und drängte den 17jährigen Palästinenser, der am vergangenen Donnerstag auf der Route Jerusalem-Kiryat Shmona zugestiegen war, aus dem Bus. Später stellte sich heraus, dass die Tasche drei Mörsergranaten und genug Sprengstoff enthielt, um die meisten der 46 Passagiere zu töten, falls die Bombe im Bus explodiert wäre.

Am Dienstag vergangener Woche hatten israelische Kampfhubschrauber ein von der Hamas benutztes Gebäude in Nablus mit Raketen beschossen, unter den acht Todesopfern waren auch zwei Kinder. Die Islamisten hatten daraufhin Rache geschworen, aber auch Vertreter der Fatah-Bewegung sprachen von einer Kriegserklärung. Einen Tag nach dem nur knapp verhinderten Anschlag bei Jerusalem folgte ein weiterer Attentatsversuch. In der zentralen Busstation von Tel Aviv entdeckte ein Sicherheitsbeamter bei der Kontrolle einer 23jährigen Palästinenserin aus Nablus einen Sprengsatz.

Am selben Tag veröffentlichte die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa einen Kommentar mit dem Aufruf, bewaffnete Aktionen einzustellen. »Nur mit politischen Mitteln können wir unsere Ziele erreichen.« Auf den Gebrauch von Schusswaffen und auf Angriffe in Israel soll verzichtet werden. Steine oder, wie bei den Auseinandersetzungen nahe der Al-Aqsa-Moschee am vorletzten Wochenende, Schuhe auf israelische Soldaten zu werfen, sei »wirksamer als der Mörserbeschuss israelischer Siedlungen«. Da Wafa die offizielle Nachrichtenagentur der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ist, wurde der nicht namentlich gezeichnete Kommentar des politischen Redakteurs als Stellungnahme Arafats gewertet.

Der bisher klarste Aufruf zu einem Waffenstillstand deutet darauf hin, dass die PA ihre Position durch eine weitere Eskalation gefährdet sieht. Im Rahmen einer Politik der »nationalen Einheit« hatte Arafat bisher auch terroristische Anschläge islamistischer Gruppen innerhalb Israels zumindest geduldet. Die Hamas und der Islamische Jihad haben ihre bewaffneten Gruppen ausbauen und ihre politische Position stärken können. Auch die Loyalität von Arafats Fatah-Partei und ihrer Tanzim-Milizen ist fraglich. Ein PA-Vertreter, der nicht namentlich identifiziert werden will, erklärte der Nachrichtenagentur Reuters: »Neue bewaffnete Gruppen, die aus der Fatah mit unserer Billigung hervorgingen, haben das Gesetz in die eigene Hand genommen, weil die Menschen das Vertrauen in die Regierung verloren haben.«

Eine fatale politische Konstellation: Die berechtigte Kritik an der autoritären Politik Arafats, der Korruption und der repressiven Politk der PA wird fast auschließlich von Organisationen vorgetragen, die jeden Kompromiss mit Israel ablehnen. Ähnlich verläuft die Konfrontationslinie in Jordanien und Ägypten, deren Regierungen Friedensverträge mit Israel geschlossen haben. Ihnen kam es bislang gelegen, dass sich oppositionelle Proteste nicht gegen die autoritäre Herrschaft und die soziale Misere, sondern allein gegen Israel richten. Bei einer weiteren Eskalation aber könnten die Proteste außer Kontrolle geraten. Am vergangenen Freitag versammelten sich nach der Predigt in der Moschee der Kairoer Al-Azhar-Universität und in mehreren jordanischen Städten antiisraelische Demonstranten. Sie wurden von der Polizei daran gehindert, die Grundstücke der Moscheen zu verlassen.

Um die Wogen zu glätten, bedienen sich die Regierungen der staatlich kontrollierten islamischen Institutionen. Theologische Argumente werden bemüht, um zumindest die extremen Mittel des Kampfes gegen Israel zu delegitimieren. So erklärte Mohammad Sayed Tantawi, Großimam an der Al-Azhar-Universität in Kairo, Selbstmordanschläge seien zwar legitim, dürften sich jedoch nicht gegen Frauen und Kinder richten.

In den Predigten regimetreuer ägyptischer und jordanischer Geistlicher wird immer wieder zur Mäßigung aufgerufen. Doch da den staatlich besoldeten Geistlichen der Inhalt ihrer Predigten von der Regierung vorgeschrieben wird, misstrauen ihnen weite Teile der Bevölkerung. Populärer sind die Vertreter des so genannten Volksislam, die Selbstmordanschläge meist rechtfertigen. Der ägyptische Prediger Sheikh Youssef al-Qaradawi etwa vertritt die Ansicht, nur »Menschen, die der Scharia und der Religion entfremdet sind«, könnten sich gegen Selbstmordanschläge aussprechen.

In Sweileh, einem Vorort der jordanischen Hauptstadt Amman, wurde in der Predigt am vergangenen Freitag gefordert: »Bekämpft die Israelis, wo immer sie sind.« Die Verbreitung solcher Positionen geht weit über die Kreise des organisierten Islamismus hinaus, auch Prediger von der PA kontrollierter Moscheen verbreiten häufig antisemitische Hassparolen.

Diese Dominanz extremistischer Positionen lässt auch viele Anhänger der israelischen Friedensbewegung daran zweifeln, dass ein territorialer Kompromiss mit den Palästinensern möglich ist. Die Strategie der Al-Aqsa-Intifada orientierte sich am Zermürbungskrieg der islamistischen Hisbollah im Libanon, die ihren Kampf zunächst mit der israelischen Besetzung des Südlibanon begründet hatte. Doch nach dem Rückzug der israelischen Armee im Mai des vergangenen Jahres schob die Hisbollah, unterstützt von den Regierungen des Libanon und Syriens, weitere Forderungen nach.

Im Kommentar der Wafa wird nun festgestellt, dass der Zermürbungskrieg gegen Israel gescheitert ist: »Wir müssen zugeben, dass, egal wie hohe Verluste wir den Israelis zufügen, wir den Krieg gegen sie nicht gewinnen können.« Die israelische Regierung zweifelt jedoch daran, dass die PA den Waffenstillstand durchsetzen wird. Nicht Worte, sondern Taten seien entscheidend, erklärte Raanan Gissin, der Sprecher des Premierministers Ariel Sharon.

Einige Vertreter des rechten Flügels in Sharons Koalitionsregierung fordern, die politischen und militärischen Strukturen der PA zu zerstören. Doch Sharon scheint weiterhin an der Strategie begrenzter Militärschläge festzuhalten, sein Justizminister Meir Sheetrit erklärte, ein allgemeiner Krieg gegen die PA »wäre ein schrecklicher Fehler«. Außenminister Shimon Peres dagegen kritisiert, unterstützt von Kommentatoren der linken und liberalen Presse, Sharons Prinzip »keine Verhandlungen unter Feuer«. Am Samstag fand in Tel Aviv die mit etwa 10 000 Teilnehmern seit Monaten größte Demonstration der israelischen Friedensbewegung statt.

»Die Trommelschläge der israelischen Friedensbewegung, so willkommen sie sein mögen, klingen hohl, wenn es kein antwortendes Echo von der anderen Seite gibt«, kommentierte am folgenden Tag Uzi Benziman in der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Zwar bestehe weiterhin Hoffnung, dass sich auch auf palästinensischer Seite eine Friedensbewegung entwickeln könnte, Ende Juli hatten Politiker und Intellektuelle aus den palästinensischen Gebieten und Israel in einer gemeinsamen Erklärung für die Wiederaufnahme von Verhandlungen plädiert. Doch »die Bereitschaft einer Handvoll palästinensischer Intellektueller, eine symbolische Geste zu machen«, sei nicht ausreichend.