Blutige Fehden unter den korsischen Nationalisten

Der gehäutete Leguan

Flügelstreitigkeiten und mafiöse Strukturen sorgen für blutige Fehden unter den ohnehin zerstrittenen korsischen Nationalisten.

Manche Sätze können schwerwiegende Folgen haben. So wie im Fall des korsischen Aktivisten François Santoni. Wegen seines Gesichtsausdrucks und seiner Glatze »der Leguan« genannt, avancierte Santoni in den vergangenen Monaten zu einem der prominentesten Vertreter des korsischen Nationalismus.

Doch am 17. August dieses Jahres wurde er in dem südkorsischen Dorf Maunacia d'Allène nach einer Hochzeit von Unbekannten erschossen. Kaum jemand in der Region war überrascht, vielmehr hatten man seinen Tod schon am 7. August erwartet. Im Vorjahr war an jenem Tag Santonis ebenfalls prominenter Genosse Jean-Michel Rossi auf der Terrasse eines Cafés im nordkorsischen L'Ile-Rousse erschossen worden (Jungle World, 34/00). Seitdem hatte »der Leguan« immer wieder lautstark Beschuldigungen gegen die vermeintlichen Attentäter und den französischen Staat, der sie angeblich decke, vorgebracht.

Der Wirbel um die beiden Morde zeigt vor allem, wie weit ein Großteil der korsischen Nationalisten mittlerweile heruntergekommen ist. Vor gut einem Jahr bildete Rossi zusammen mit Santoni, der noch Mitte der neunziger Jahre zu den Militaristen in den Reihen der korsischen Untergrundbewegung FLNC (Nationale Befreiungsfront Korsikas) zählte, eine Art Reformfraktion der korsischen Nationalisten.

Beide sprachen sich öffentlich dafür aus, endlich eine ernst zu nehmende politische Bewegung aus dem korsischen Nationalismus zu formen und prangerten die »mafiöse Verkommenheit« der bestehenden nationalistischen Fraktionen an. Mitunter verbanden sie diese Kritik mit einer Ablehnung der »ethnischen Tendenz«. Im Juni des vergangenen Jahres, wenige Wochen bevor Rossi ermordet wurde, erschien zu diesem Thema von Santoni und Rossi das Buch »Pour solde de tout compte« (»Die Abrechnung«).

Ihre Beweggründe für die öffentliche Abwendung vom Mainstream des korsischen Nationalismus waren keineswegs nur intellektueller Natur. Santoni, früher einer der Köpfe des bewaffneten Flügels, hatte von Ende 1996 bis Ende 1998 wegen eines Erpressungsfalls in Paris in Untersuchungshaft gesessen. In dieser Zeit wurde er von Charles Pieri, seinem einstigen Kollegen in der FLNC-Abspaltung Canal historique sowie in deren legaler Vorfeldorganisation Cuncolta indipentista (Sammlung für die Unabhängigkeit), kaltgestellt.

Santoni reagierte, indem er nach seiner Entlassung aus der Haft öffentlich die »mafiöse Verirrung der Bewegung« anprangerte. Zugleich gründeten er und Rossi im Juni 1999 eine neue bewaffnete Bewegung, die Armata Corsa, die sich inzwischen zu drei Morden und rund 20 Attentaten bekannt hat.

Obwohl Santoni immer leugnete, der Armata Corsa anzugehören, haben nach Polizeiangaben verschiedene Hausdurchsuchungen nach seiner Ermordung ergeben, dass er der Kopf dieser Organisation und zugleich in eine Reihe undurchsichtiger Geschäfte in Afrika verstrickt gewesen sein muss.

So wurden umfangreiche Unterlagen über Geschäftsbeziehungen und »Dokumentationen über afrikanische Länder wie Gabun und die Côte d'Ivoire« beschlagnahmt, schreibt die Pariser Abendzeitung Le Monde. Vermutlich war Santoni unter anderem an der Kontrolle des Glücksspiels in diesen Ländern beteiligt, in das korsische Mafiagruppen, darunter die Protégés des Clans um den früheren französischen Innenminister Charles Pasqua, investiert hatten.

Nach der Ermordung von Jean-Claude Rossi forderte die Armata Corsa, die 50 bewaffnete Mitglieder zählen soll, die Verhaftung der Schuldigen, denn die Verantwortlichen seien dem französischen Staat bekannt. Er schütze sie jedoch, weil die Regierung die im Dezember 1999 begonnen Verhandlungen mit den korsischen Nationalisten, an dem sich die Fraktion um Santoni nicht beteiligte, nicht gefährden wolle.

Das behauptete jedenfalls Santoni und beschuldigte dabei auch seinen Widersacher Charles Pieri, der sich allerdings seit Ende 1998 in Paris in Haft befindet. Er habe aber Santoni zufolge den Mordbefehl per Handy aus der Zelle heraus erteilt. Auch Jean-Guy Talamoni, den wichtigsten Gesprächspartner der Pariser Regierung, beschuldigte Santoni öffentlich als Mordkomplizen.

In den Wochen nach dem Mord an Santoni, Ende August und Anfang September, starben weitere Mitglieder der Armata Corsa bzw. ihrer legalen Vorfeldorganisation, der Presenza Naziunale, durch Attentate bislang nicht identifizierter Todeskommandos. Daraufhin begann die französische Anti-Terror-Justiz den Hinweisen von François Santoni nachzugehen und verhaftete am 22. und 23. September neun Angehörige des Mehrheitsflügels der korsischen Nationalisten. Unter den Verhafteten befand sich auch ein Führungsmitglied der Partei Indipendenza, die seit dem Mai dieses Jahres den größeren Teil der außerparlamentarischen Nationalisten einschließlich der Cuncolta versammelt, während die Koalition Corsica Nazione den parlamentarischen Flügel bildet und die Verhandlungspartnerin der französischen Regierung ist.

Zugleich wurde Jean-Guy Talamoni, ein Abgeordneter von Corsica Nazione, in den vergangenen beiden Wochen mehrmals zu Untersuchungsterminen vor die Richter der Antiterrorismusjustiz geladen. Allen Verlautbarungen nach haben diese Ermittlungen, die auf direkte Hinweise Santonis auf die angeblichen Mörder Rossis zurückgehen, nichts ergeben.

Einige Ermittler gehen inzwischen auch davon aus, dass Rossi und Santoni möglicherweise nicht von Kommandos aus dem nationalistischen, sondern aus dem kriminellen Milieu ermordet wurden. Zumindest versetzte die Verhaftung der neun korsischen Funkionäre Ende September die nationalistischen Organisationen in Empörung.

Als Konsequenz beschloss die Koalition Corsica Nazione am 26. September, ihre Unterstützung des Abkommens mit der Pariser Regierung vorerst auszusetzen. Dieses Abkommen sieht einen Übergangsprozess vor, der bis zum Jahr 2004 zu einem weitgehenden Autonomiestatut für Korsika führen soll. Und die Partei Indipendizia erklärte am vorletzten Wochenende, sich dieser Entscheidung anzuschließen.

Am gleichen Wochenende wurden die Polizeikasernen in den korsischen Städten Borgo und Ajaccio beschossen. Kurz danach wurde einer der Heckenschützen, Cédric Courbey, verhaftet. Der 23jährige gehörte auch zu denjenigen, die Santoni beschuldigt hatte, an der Ermordung Rossis beteiligt gewesen zu sein.

Darüber hinaus haben die korsischen radikalen Nationalisten jedoch offenbar keine ernst zu nehmende strategische Alternative zur Fortsetzung des politischen Prozesses zu bieten, den die Regierung in Paris betreibt. So verlangten die Mitglieder von Indipendizia, dass die französische Regierung nun endlich Garantien für den Ausgang des Übergangsprozesses im Jahr 2004 geben solle, was wohl eher als symbolische Forderung zu verstehen ist. Die nationalistischen Abgeordneten des Territorialparlaments haben indessen zurzeit kein Interesse an einer längeren Aussetzung der Verhandlungen mit dem französischen Staat.