Neue Compilation von ABC

Der Glamour ist fort, die Lüge bleibt

Falsches Versprechen wird dumme Hoffnung. Eine Compilation präsentiert das Gesamtwerk von ABC.

Soeben ist eine »Best of«-Compilation der Achtziger-Popband ABC herausgekommen. Sie ist erschienen, weil Martin Fry, der Kopf von ABC, mit einer Band als Vorgruppe für Robbie Williams auf dessen letzter Tour spielen durfte. Zudem glauben momentan alle Lifestyle-Magazine und die sie beratenden kulturindustriellen Unternehmen an ein Revival der achtziger Jahre. Wie interessant muss es also sein, wenn man noch einen der Protagonisten von damals unter Vertrag hat, der sich nie sonderlich gewandelt hat. Human League haben vor kurzem ein neues Album veröffentlicht, bei Martin Fry reichte es nur für zwei brandneue Stücke, die nun zusammen mit der »Best of«-Platte erscheinen, und übrigens nicht besonders aufregend sind. Das soll nicht heißen, dass Martin Fry nicht in einer angemessenen Zeit ein Album zusammenbekommen hätte, sondern vielmehr, dass die Plattenfirma ganz offensichtlich an neuem Material nicht interessiert war.

Die Strategie der Industrie ist klar: Der Jugend soll erklärt werden, dass die Musik, die ihnen überall nachgeworfen wird - sei es Electro, sei es »There Must Be An Angel« von den No Angels -, schon mal da war, sodass man nun die Rechte an der Musik quasi doppelt verwerten kann. Den älteren Semestern wird außerdem das angenehme Gefühl vermittelt, schon früher ganz modern gewesen zu sein.

Bleibt die Frage nach dem Star von damals, in diesem Falle die Frage nach Martin Fry. Schlägt man das Booklet der Platte auf, so sieht man sowohl Ausschnitte aus dem früheren Cover-Artwork als auch auf einer Doppelseite - als Miniposter gewissermaßen - den gealterten Martin Fry, der sich in einem gülden schimmernden Paillettenanzug auf einem edlen roten Kinosessel drapiert hat. Er sieht nicht glücklich aus, wenn er cool aussehen will, sondern etwas blöd. Warum, das wird er am besten wissen - es ist jetzt einfach die falsche Zeit.

1982, zum Zeitpunkt des größten Erfolges von ABC, wäre eine solche Selbstinszenierung goldrichtig gewesen. Doch seit 1982 ist eine Menge passiert. Die Mauer ist gefallen, der Ostblock ist zusammengebrochen, die Idee des Nationalen hat sich sogar in der britischen Popmusik durchgesetzt, die regionale Zersetzungspolitik, der jetzt durch keine konkurrierende Großmacht mehr Einhalt geboten wird, ist in vollem Gange. Die Achtziger sind lange vorbei. Wenn sich heute Bands wie etwa Zoot Woman oder auch Kylie Minogue betont wavig oder stylish geben, so ist das nichts weiter als der Ausdruck einer Sehnsucht nach besseren Zeiten - das, was Heaven 17, ABC oder auch Spandau Ballett damals machten, formulierte eine Utopie.

Waren die Achtziger besser? Sie waren es zumindest für den Pop. Anfang der Achtziger arbeiteten so verschiedene Bands wie The Specials, The Human League oder Dexy's Midnight Runners an einer Art europäischer Antwort auf den amerikanischen Soul und die amerikanischen Discoentwürfe. Da vor allem in Großbritannien das Moment des Klassenbewusstseins bis heute zählt, schafften sie es - egal ob sie von einer höheren Schule kamen oder Arbeiterinnen und Arbeiter waren -, ein Konzept des Glamour zu entwickeln, in dem sich die Sehnsucht nach einem Leben ohne materielle Sorgen manifestierte. Sie gaben ihrem Publikum Kraft, indem sie Möglichkeiten entwarfen.

Die neue, die Pop-Welt, wurde dabei niemals für eine reale ausgegeben, sondern war eine Art Perspektive, die man einnahm, um aus ihr heraus die Verhältnisse zu kritisieren. In dieser Welt des Pop gab es als Problem das der Liebe und das des besseren Lebens, andere Probleme konnte man sich einfach verbieten: »We don't need this fascist groove thang.«

ABC spielten in diesem Kontext die Rolle derjenigen, die die Überhöhung auf den Gipfel trieben, indem sie sich selbst zu Popfiguren machten. An ihnen war nichts echt, nicht einmal ihre Gefühle. Wenn Martin Fry behauptete, jemand habe sein Herz gebrochen, schickte er dem ein so perfekt inszeniertes »You did, you did« hinterher, dass man wusste, wie sehr sich die von Fry geschaffene Sprechfigur daran weidete, betrogen worden zu sein. Alles bei ABC drehte sich um eine sorgenlose Welt, in der es um große Liebe, dem Wunsch, Millionär zu werden, oder große Sänger ging, und nie darum, dass man morgen einkaufen musste, dass Verträge eingehalten werden wollten oder dass man auf die Toilette geht. Es war eine Welt voller Geigen, die zu beschwören nur Sinn machte, weil es sie nicht gab. Ein intelligentes Disneyland wurde suggeriert, im Namen der Ironie, und immer im Bewusstsein, dass dieses Land nicht real werden könne. Ein Zauberland. Nie wieder hatte die Mainstream-Popkultur sich so stark den schwulen Kunst- und Traumwelten angenähert.

Doch mit der Zeit setzte auch im britischen Pop die Anpassung ein. 1987 waren die neuen Songs von ABC noch gut, aber schon kein Ereignis mehr, und 2001 fallen sie nicht mal mehr auf. Das Gesamtwerk von ABC zeugt von einer immer größeren Anpassung, eines Hereinfallens auf die eigene Lüge, und am Ende ist das, was einst eine bewusst falsche Versprechung war, plötzlich die Formulierung einer dämlichen Hoffnung. Damit ist es das ewig nicht erfüllte Versprechen des Kapitalismus.

Dass Martin Fry inzwischen im Vorprogramm von jemandem auftreten muss, der dieses Versprechen quasi permanent neu anbietet, der sogar damit kokettiert, dass er allein sich die Träume, die er anderen anbietet, erfüllen kann, sagt viel über die Wahrscheinlichkeit aus, mit der sich die gegebenen Versprechen erfüllen werden. Obendrein beraubt er eben jenen Martin Fry, der in seinem Vorprogramm auftritt, nochmals seiner Gesten und Tricks. Fry sieht mit der Vorband auf der Bühne wahrscheinlich genau so blöd aus wie im güldenen Anzug auf den roten Sesseln. Wenn er heute »Look of Love« singt, dürfte es traurig sein, ihm dabei zusehen zu müssen, wie er sich produziert. Der Glamour ist fort, zurück bleibt die Lüge.

ABC: »Look Of Love - The Very Best Of ABC« (Mercury)