Gewerkschaften diskutieren über den Rechtsextremismus

Eine Führung, bitte!

Nur allmählich kommt in den Gewerkschaften die Debatte über den Rechtsextremismus in den eigenen Reihen in Gang.

Wenn es stimmt, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft kommen, dann muss es auch in den Gewerkschaften Mitglieder mit rechtsextremem Gedankengut geben. Um über dieses Problem zu diskutieren, lud kürzlich die Otto Brenner-Stiftung der IG-Metall Gewerkschafter zur Tagung »Rechtsextremismus und Gewerkschaften - Vorurteil oder Realität?« nach Berlin ein. Gewerkschafter seien nicht per Mitgliedsbuch ausländerfreundlich, es gebe »Kolleginnen und Kollegen, die mit rechtsextremen, ausländerfeindlichen und antisemitischen Parolen zumindest sympathisieren«, musste der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, einräumen.

Allerdings fällt es den Gewerkschaften nicht leicht, sich mit dem Thema zu beschäftigen, da es »bei uns keine Kultur der offenen Fehlerdiskussion gibt«, wie Dieter Scholz, der Landesbezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin-Brandenburg sagte. Scholz verwies auf eine Studie, die der DGB bei der Freien Universität Berlin in Auftrag gegeben hat und die demnächst veröffentlicht werden soll. Danach neigten in der Region Berlin-Brandenburg 16 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zu rechtsextremem Gedankengut, innerhalb der Gewerkschaften steige der Anteil sogar auf 18 Prozent.

Auf der Tagung herrschte keine Einigkeit darüber, wie Rechtsextremismus genau definiert werden soll. Es handele es sich um ein »Konglomerat von Einstellungen« wie Antisemitismus, Wohlstandschauvinismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Autoritarismus. Zu einfach sei auch die These, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Globalisierung, sozialen Problemen und Rechtsextremismus gebe.

Im Gegenteil seien es oft gerade hoch qualifizierte Facharbeiter, die für rechten Populismus anfällig seien. Das Bestreben, die »Wohlstandsinsel Deutschland« vor »fremden« Ansprüchen zu schützen, stehe im Zentrum des neuen Nationalismus, behauptete der Sozialwissenschaftler Klaus Dörre vom Forschungsinstitut Arbeit, Bildung und Partizipation aus Recklinghausen in seinem Eröffnungsreferat. In einer Situation, in der die soziale Integrationskraft der Erwerbsarbeit nachlasse, würden auch diejenigen geschwächt, die dem »reaktiven Nationalismus« entgegenwirken könnten.

»Nicht nur im Wohngebiet, auch am Arbeitsplatz verlieren immunisierende Ideologien der Arbeiterbewegung an Bedeutung«, meinte Dörre. Deshalb sei »eine offensive Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus auch und gerade in den eigenen Reihen für die Gewerkschaften zu einer existenziellen Frage« geworden. Unterbleibe eine solche Auseinandersetzung, liefen die Gewerkschaften Gefahr, dass die gewerkschaftliche Solidarität durch eine »rechtspopulistische Unterströmung in den eigenen Reihen zunehmend ausgehöhlt« werde.

Mit einer gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, die zur »Entwicklung demokratischer Orientierung und sozialer Kompetenz« beitragen soll, wollen die Gewerkschaften dem Rechtsextremismus begegnen. Es ist aber zu bezweifeln, ob sie mit einem Bildungsanbebot, das sich in erster Linie an Gewerkschaftsmitglieder in betrieblichen Funktionen, wie etwa Betriebsräte oder Vertrauensleute, richtet, die breite Masse erreichen können.

Zudem müssen sich Gewerkschaftsfunktionäre fragen lassen, ob sie mit ihrer Standortideologie nicht rechtem Gedankengut Vorschub leisten. »Hier haben wir vielleicht übers Ziel hinausgeschossen«, gestand Norbert Vogelmair von der IG Metall Augsburg ein. Er glaubt einen Wunsch nach »starker Führung« bei den Menschen zu erkennen, die von den negativen Auswirkungen der Globalisierung betroffen seien. Seine Schlussfolgerung ist allerdings bedenklich: »Wenn das so ist, müssen wir die starke Führung sein.«

»Stehen Entlassungen an, trifft es oft Ausländer«, erklärte ein Betriebsrat die verschärfte Konkurrenz in den Betrieben. Noch sei es so, dass die »niedrige Arbeit« in der Regel von Ausländern verrichtet werde oder dass Ausländer am unteren Ende der Gehaltsskala stünden, ergänzte ein anderer. »Das ist ein Feld, wo wir als Betriebsräte für mehr Gerechtigkeit sorgen können«, gab Peter Klein vom Opel-Betriebsrat in Rüsselsheim zu.

Das Problem mit dem Rechtsextremismus in den Gewerkschaften ist nicht völlig neu. Eine im Frühjahr 1998 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Auftrag gegebene und von infratest/dimap durchgeführte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass in Deutschland 13 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder zum Wählerpotenzial rechtsextremer Parteien zu rechnen seien. Doch statt sich offensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, gingen die Gewerkschaften auf die Medien los. »Die Medien griffen die Umfrageergebnisse dankbar auf und zeichneten ein ebenso sensationslüsternes wie unzutreffendes Bild. In den Schlagzeilen löste der rechtsradikale Gewerkschaftsjugendliche den rechtsradikalen Skinhead ab; die Gewerkschaften selbst gerieten in den Verdacht, Urheber rechtsextremer Einstellungen zu sein«, schrieb ein Autorenkollektiv im Mai 2000 im Schlussbericht der Kommission Rechtsextremismus, die der DGB nach einem Beschluss seines Bundeskongresses vom Sommer 1998 eingesetzt hatte.

Dennoch gibt auch dieser Bericht einigen Gründe zum Nachdenken. Es wird festgestellt, dass die fremdenfeindlichen Einstellungen vieler Gewerkschaftsmitglieder gewissermaßen im Trend lägen und die Ausbreitung derartiger Orientierungen in der politischen Mehrheitskultur widerspiegelten. Mit der ihnen aufgezwungenen Standortdebatte hätten die Gewerkschaften einer betrieblichen Konkurrenzlogik das Wort geredet.

Zudem wird in dem Bericht gefragt, inwiefern die »aushöhlende Wirkung der Modernisierungsprozesse auf Sozialstrukturen und die kollektive Identität ihrer Mitglieder« den Gewerkschaften geschadet habe. Bereits 1992 schrieb der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in den Gewerkschaftlichen Monatsheften des DGB: »Die Umstellung der Mitgliedermotivation von Gemeinschaftsgefühlen auf Nutzenkalküle erweist sich für die Ausprägung der Sozialbeziehungen in Betrieb und Gesellschaft zunehmend als zweischneidiges Schwert.« Dass sich die Gewerkschaften allerdings demnächst von der Standortdebatte und dem nationalistischen Bündnis für deutsche Arbeit verabschieden, ist kaum anzunehmen.