Gott ist groß

Die arabischen Staaten suchen seit dem Beginn der US-Militäraktionen nach einem gemeinsamen Standpunkt.

Das ägyptische Fernsehen berichtete noch von den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Oktoberkrieges von 1973, als die ersten Bilder von den Militärschlägen gegen Afghanistan und die aufgezeichnete Rede von Ussama bin Laden eingespielt wurden: »Ich schwöre bei Gott, dass Amerika nicht in Frieden leben wird, bevor nicht Frieden in Palästina herrscht und alle ungläubigen Truppen vom Boden Mohammeds verschwunden sind.«

Bereits wenige Stunden nach dem Angriff signalisierte Jordanien als erstes arabisches Land seine Unterstützung der Militäraktion, während der Iran und der Irak sie sofort verurteilten. Die ägyptische Regierung mochte sich hingegen nicht eindeutig festlegen. Allein die Oppositionspresse brachte ihre Ablehnung deutlich zum Ausdruck: »Afghanistan brennt!«

Ebenso wie die ägyptische Regierung scheint auch die palästinensische Autonomiebehörde auf einen gemeinsamen Standpunkt der arabischen und islamischen Staaten zu hoffen. Ihr Informationsminister Abd Rabbo sagte noch am Sonntagabend, er erwarte, dass auf der bevorstehenden Konferenz der islamischen Staaten in Doha eine gemeinsame Linie gefunden werden könne. Yassir Arafat erklärte zudem, er sei über die Rede bin Ladens und dessen Aufruf zum »Heiligen Krieg gegen Juden und Christen« entsetzt.

In der arabischen Bevölkerung wird der Angriff jedoch vehement kritisiert. Ein Interviewpartner des ägyptischen Fernsehsenders Nile TV brachte am Abend der Angriffe die Stimmung zum Ausdruck. Allein die Prostituierten freuten sich hier über die Anwesenheit der Amerikaner.

Dabei werden in den arabischen Medien gegenwärtig die jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten George W. Bush über die Schaffung eines palästinensischen Staates durchaus kontrovers diskutiert. Zudem zeichnte es sich in den letzten Wochen immer mehr ab, dass die USA ihre Allianz gegen den Terrorismus nur mit weit reichenden Konzessionen an verschiedene arabische Staaten erkaufen können.

Die Aufhebung der Sanktionen gegen das Regime im Sudan war eine der bitteren Pillen, die die US-Regierung zu schlucken bereit war. Die Tatsache, dass die palästinensischen Terrorgruppen Hamas und Islamischer Djihad nicht in die Liste der zu bekämpfenden Gruppierungen aufgenommen wurden, eine andere. Das muss die Israelis alarmieren, zumal bin Laden ausdrücklich zum Kampf gegen die Juden aufgerufen hat. Hinzu kommt, dass nun ausgerechnet ehemalige Schurkenstaaten wie Syrien und der Iran für die Allianz gewonnen werden sollen, während von Israel nicht mehr die Rede ist.

Mit Genugtung hat man zudem in Ägypten wahrgenommen, wie zurückhaltend Bush und sein Außenminister Colin Powell auf den Widerstand gegen die Nutzung von Militärbasen in Saudi Arabien reagierten. Der jüngste Konflikt um die Äußerungen des israelischen Premierministers Ariel Sharon, dessen Warnungen vor einer Wiederholung der Appeasement-Politik von 1938 deutlichen Unmut in den USA auslösten, dürfte diesen Eindruck einer konzessionsbereiten US-amerikanischen Regierung weiter verstärkt haben.

Darüber hinaus sind einige arabische Regierungen durchaus an der Zerschlagung bestimmter terroristischer Gruppen interessiert. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat bereits kurz nach den Anschlägen in den USA auf die Probleme des Terrorismus in den arabischen Ländern hingewiesen. Der Ende letzter Woche begangene 20. Jahrestag der Ermordung seines Vorgängers Anwar al-Sadat durch Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Djihad führte vor Augen, welche Gefahr auch den Regimes selbst droht.

Nicht überraschend sind deshalb die zahlreichen Berichte in ägyptischen Zeitungen über Ayman al-Zawaheri, den Führer der heutigen Djihad-Gruppe. Der in Abwesenheit in Ägypten zum Tode verurteilte Zawaheri, dem großer Einfluss auf bin Laden nachgesagt wird, soll an verschiedenen Anschlägen auf Mubarak und ägyptische Einrichtungen beteiligt gewesen sein.

Ähnliche Überlegungen dürften auch hinter der ausdrücklichen Unterstützung der Anti-Terror-Koalition durch das jordanische Königshaus stehen. Seit Anfang der neunziger Jahre gab es in Amman mehrere Verfahren gegen Unterstützer bin Ladens, denen die Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen auf jordanische und ausländische Politiker vorgeworfen wurde.

Doch ebenso wie die palästinensische Autonomiebehörde und das jordanische Königshaus sieht sich auch die ägyptische Regierung mit einer Bevölkerung konfrontiert, deren Stimmung immer ablehnender wird. Der verbitterten Klage Muhammad Ali Farahats in der in London erscheinenden liberalen Tageszeitung al-Hayat, »die Zerstörung Amerikas bedeute die Zerstörung des menschlichen Traumes in der Welt«, mochten sich nur wenige anschließen. So rief der von den palästinensischen Behörden eingesetzte Mufti Sheikh Ikrima Sabri ausdrücklich zum Widerstand gegen die Koalition auf. In einer Freitagspredigt warnte er davor, den Kampf gegen Muslime gutzuheißen oder gar zu unterstützen.

Der einflussreiche ägyptische Mufti Yussif al-Qardawi äußerte sich in einer Talkshow ähnlich. Der Islam verbiete es, den Forderungen der USA nachzugeben, denn »die Teilnahme an einem Bündnis, das Muslime tötet, heißt, mit der Sünde und der Gewalt zu kollaborieren«.

Äuch andere islamische Autoritäten schließen sich dieser Meinung an. Der Imam Nazim Abu Salim aus dem israelischen Nazareth erklärte beispielsweise, dass die Welt in »ein Lager, das den Islam will, und eines, das ihn ablehnt« aufgeteilt sei. »Aber wer sind die Guten und wer sind die Bösen? Die Guten sind jene, die nach Gerechtigkeit und Gnade streben, die gläubigen Muslime.«

Die Anschläge von New York und Washington werden mittlerweile selbst in der Regierungspresse als Ergebnis einer zionistischen Verschwörung beschrieben und viele Kommentatoren sehen in den Militärktionen den Beginn einer langwierigen Konfrontation zwischen dem Westen und den islamischen Ländern. Bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung handle es sich »in Wahrheit um einen arabischen Konflikt mit dem westlichen, und gerade dem amerikanischen Kolonialismus«, schreibt etwa die regierungsnahe Tageszeitung al-Akhbar.

Man müsse, schreibt die Wochenzeitung al-Midan, den Zusammenbruch Amerikas erzwingen, so »wie in der Geschichte alle Reiche der Unterdrückung« zerstört wurden. Die nationalistische Zeitung al-Arabi, schrieb vom »ersten Schritt auf der 1 000 Meilen langen Reise zum KO-Sieg über Amerika«.

Angesichts dieser Stimmen stellt sich für Mubarak bereits das Problem, seine Forderung nach einer UN-Konferenz über den Terrorismus der ägyptischen Öffentlichkeit zu erklären. Sie dürfe sich, das machten viele Kommentatoren in der letzten Wochen deutlich, nicht allein mit islamischen Gruppen beschäftigen. Die Konferenz müsse, folgt man diesen Stimmen, »den Terror in Washington ebenso bekämpfen wie den israelischen Staatsterror in Dschenin«.