Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

So etwas geht selten gut

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung scheitert daran, gleichzeitig Tages- und Wochenzeitung sein zu wollen.

Eine Werbeanzeige der neuen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) zeigt rechts, auf blauem Untergrund eine gefaltete Ausgabe und darüber steht: »So sieht ab sofort ein perfekter Sonntag aus.« Daneben, in hellen Farbtönen, die Illustration eines solchen, perfekten Sonntags: ein aus einer Telefonbuchse gezogenes Kabel. Das Telefon steht still, man hat Zeit, zu lesen.

Seit Ende September ist also nun die mit großem Tamtam beworbene und von 50 Redakteuren - so viele hat keine andere Wochenzeitung in Deutschland - hergestellte FAS auf dem Markt. Sie soll wirklich sonntäglichen Lesestoff bieten, denn dieser Tag sei doch »die wertvollste Zeit, die die Menschen haben«. So verkündet es der Mitherausgeber der FAZ Frank Schirrmacher, der zugleich für die Sonntagszeitung verantwortlich ist.

Fürs Erste hat sie eine Auflage von 600 000 Exemplaren, einpendeln soll sie sich auf eine Abonenntenzahl um die 250 000, was etwa derjenigen der FAZ entspricht. Deren Bezieher erhalten das neue Produkt während der ersten vier Wochen kostenlos, dann müssen sie 16 Mark zusätzlich zahlen. Das entspricht dem Einzelpreis von vier Mark pro Ausgabe, den die Käufer am Kiosk bezahlen.

Das zentrale Problem der FAZ-Gruppe mit ihrem neuen Produkt FAS ist der Vertriebsweg, den sie sich selbst aufbauen muss, denn der unmittelbare ökonomische Konkurrent der FAS ist die Welt am Sonntag aus dem Hause Springer, und Springer ist der einzige Konzern in Deutschland, der ein auch sonntags funktionierendes Vertriebsnetz unterhält. Für alle anderen - auch für die FAZ-Gruppe - lohnen Zeitungsausträgerdienste nur in sehr großen Städten, andere FAS-Abonnenten erhalten dann Gutscheine, mit denen sie ihr Blatt am Sonntagmorgen abholen können. Vorausgesetzt in ihrer Nähe ist ein mit der FAS belieferter Kiosk, eine Bäckerei oder eine Tankstelle. Der Vertrieb ist das größte und teuerste Problem der neuen Zeitung, und ist es wenig verwunderlich, dass Gewinne erst im Jahr 2006 erwartet werden.

Am Sonntag, vermutet man in Frankfurt, haben die Menschen viel Zeit und wollen längere Texte lesen. Warum man aber eine Wochenzeitung, die am Sonntag gelesen werden soll, nicht der Einfachheit halber am Samstag ausliefert, wäre zu fragen, wenn man nicht wüsste, dass die FAS eben nicht nur eine Wochenzeitung ist, sondern auch eine Tageszeitung - und an jedem anderen Wochentag würde eine Wochenzeitung aus dem Hause FAZ ja dem täglichen Produkt FAZ Konkurrenz machen. Eine sonntags erscheinende Tageszeitung hingegen hat ja auch eine aktuelle Daseinsberechtigung. Schließlich gibt es manchmal Aktuelles aus der Politik, oft aus der Kultur und immer aus dem Sport zu berichten.

Dass nur sonntags eine Daseinsberechtigung für ein neues Produkt aus dem Hause FAZ existiert, beschreibt gleichzeitig das Dilemma, in dem das neue Blatt steckt. Es soll eine tagesaktuelle Wochenzeitung sein: Sie soll mit Reportagen und Essays und vor allem der Distanz einer Wochenzeitung aufwarten, aber auch den Boxkampf und das Fußballspiel, die am Vorabend stattfanden, auf eine Weise behandeln, die das Niveau der übrigen Zeitung nicht beschädigt. So etwas geht selten gut, und wegen des Versagens vor solchen aktuellen Zwängen haben die meisten deutschen Wochenzeitungen keinen Sportteil: Der Spiegel und die Jungle World sind die Ausnahmen. Und die anderen Sonntagszeitungen - relevant sind ja ohnehin nur Bild und Welt am Sonntag - beschränken sich darauf, in allen Ressorts Mist zu bieten, damit der Sport wenigstens etwas hervorsticht.

Werktags hat die Frankfurter Allgemeine dieses Dilemma gut gelöst. Sie hat einen großen Stamm von 900 Mitarbeitern, fast alle exzellente Journalisten, aber da ist sie - auch in der Wahrnehmung ihrer Leser - Tageszeitung. Doch sobald die sonntägliche FAS in allen Teilen geworden ist, was sie im Sportteil beispielsweise sein muss, eine siebte Ausgabe der werktäglichen FAZ nämlich, hat die Montags-FAZ ein Problem, das man sich im Sportteil jetzt schon erkennen kann. Die Bundesligaberichterstattung in der Montagsausgabe inklusive des in etwa sechzig Prozent aller Fälle grandiosen FAZ-Liga-Kommentars wird beinahe überflüssig, denn alles Wichtige ist ja scheinbar bereits am Sonntag gesagt worden.

In der Sonntagsausgabe aber leidet die Qualität unter dem Zwang, so schnell produzieren zu müssen. Roland Zorn, der zu den kenntnisreichsten Fußballjournalisten der Republik zählt, begann seinen Ligakommentar in der ersten FAS so: »Die Letzten werden die Ersten sein. Manchmal bestätigen sich alte Weisheiten.« Solches Banalitätengebimmel kommt heraus, wenn das Seitenkonzept einen Kommentar vorsieht, der eine halbe Stunde nach Spielschluss fertig sein muss. Hätte man Zorn die üblichen 24 Stunden mehr gegeben, es wäre ein gewohnt exzellenter Kommentar des Fußballexperten geworden.

Die Ausgabe, die am 30. September unter die Leute gebracht wurde, zeigt dieses Dilemma einer unter tagesaktuellem Druck produzierten Wochenzeitung auf beinah jeder Zeile. Auf Seite eins wird getitelt: »Der Terror zwingt den Bund zu höherer Neuverschuldung«, eine Überschrift, die enthält, was eine aktuelle Tageszeitung bringen soll, nämlich die Information, was der Finanzminister im Moment so plant, und die gleichzeitig den staatsmännischen Wochenzeitungsmeinungswust bietet, dass der arme Mann genötigt sei, so zu handeln.

Solche Unentschlossenheit zieht sich durch das ganze Blatt. Die Headline zu möglichen Attentaten in Deutschland heißt etwa: »Nichts ist unmöglich«. Ein Leitartikel zu George Bush ist übertitelt: »Erst denken, dann schießen«, im Sportteil fällt den Redakteuren zum Schalker Stürmer Ebbe Sand nur die 1 047. Variation eines von Weserkurier, Schwarzwaldbote und Neubrandenburg Kurier schon origineller dargebotenen Sprachspiels ein: »Sand-Sturm in der Arena«, und im großen, ganzseitigen Interview mit Daimler-Chrysler-Vorstandschef Jürgen Schrempp darf der Befragte gleich zu Beginn mit solch originellen Antworten zur Bekämpfung des Terrorismus brillieren: »Einen absoluten Schutz gibt es nicht. Trotzdem tun wir alles für die Sicherheit unserer Mitarbeiter.«

Wesentlich ergiebiger waren die Interviews in den anderen Ressorts auch nicht - die Politik griff sich Gerhard Schröder, der Sport Franz Beckenbauer, das Feuilleton Christian Kracht, dessen neues Buch gerade erscheint. Die gut ausgebildeten Journalisten kriegen die Produktion einer tagesaktuellen Wochenzeitung nicht in den Griff, das ist die vielleicht verblüffendste Erkenntnis der neuen FAS.

Nochmal ein Blick auf die Werbeanzeige: Ein perfekter Sonntag wäre ein mit FAS-Lektüre verschönter Ruhetag, wird suggeriert. Das erscheint eher als Margarine-Werbung denn als Botschaft einer Zeitung, in der die liberale und neoliberale Politik, wonach die Leute dem Arbeitsmarkt immer zur Verfügung stehen sollten, ideologisch begleitet wird.

Ein ruhiger, ungestörter und also perfekter Tag entstünde dann, wird weiter suggeriert, wenn man den Telefonstecker aus der Buchse zöge. Als ob nicht längst Anrufbeantworter und Mailboxsysteme existierten, als ob nicht längst weit über die Hälfte der FAZ- und FAS-Leser Mobiltelefone besäßen, weil sie entweder durch die Verhältnisse dazu gezwungen sind, stets erreichbar zu sein oder, was häufiger sein dürfte, dem Fetisch erliegen, erreichbar sein zu wollen und das noch chic zu finden.

Prinzipiell ist es gewiss möglich, eine gute Wochenzeitung, die am Sonntag auch aktuelle Samstagsereignisse journalistisch behandelt, zu erstellen. Prinzipiell ja, nur die FAZ mit ihrer FAS wird es nicht können.