Labour-Parteitag in Brighton

Totale Freiheit

Es ist zehn Jahre her, dass der ehemalige US-Präsident George Bush sen. eine »Neue Weltordnung« ausrief. Während der heutige Amstinhaber George W. Bush in seiner Reaktion auf die Anschläge vom 11. September mit Anspielungen auf die umstrittene Vision seines Vaters auskommt, ist es der britische Premierminister Anthony Blair, der mit einer kompletten Neuauflage der Freiheitsdoktrin aufwartet.

In seiner bisher wohl eindrucksvollsten Rede, die er vor dem Labour-Parteitag in der vergangenen Woche in Brighton hielt, bereitete Blair die Bevölkerung und seine Partei auf den kommenden Krieg gegen Afghanistan vor. Das Taliban-Regime stellte er vor die Wahl: »Übergebt die Terroristen oder kapituliert!« Damit ging der britische Regierungschef sogar noch weiter als Bush in seiner Rede an den amerikanischen Kongress vom 20. September, kommentierte die Washington Post.

Blair bediene sich der Rhetorik eines »gerechten Krieges«, die nicht großartig um Legalität bemüht sei, so die an der London School of Economics lehrende Konfliktforscherin Mary Kaldor. Dabei schaffe er es, das Wort Krieg kaum in den Mund zu nehmen und stattdessen über den »Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit« und eine »Schlacht um Werte« zu sprechen, die nur ein Ergebnis haben könne: den Sieg.

In der Manifestation einer neuen Werteordnung bedient sich Blair des Vokabulars seiner Kritiker. Es brauche mehr Internationalismus und Verantwortung, um Globalisierungsprobleme wie die soziale Ungleichheit und die Klimaveränderung bewältigen zu können. Sorgen, die im Zuge der Liberalisierungsmaxime von New Labour und Third Way jahrelang links liegen gelassen wurden, sollen nun wieder thematisiert werden.

Die Parteibasis zollte ihm zwar höflichen Respekt, doch gibt sie sich abwartend angesichts seines moralischen Ausbruchs. Parteilinke und Gewerkschafter bemängeln Blairs »Messianismus« und zweifeln an seinem Willen, sich der angesprochenen Probleme anzunehmen. »Alles schön und gut«, so ein Beobachter, »aber was macht Tony am achten Tag?« Offenen Widerspruch gab es in der Parteitagsdebatte kaum. Lediglich der linke Parteiveteran Tony Benn verlangte, dass jede militärische Aktion vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet werden müsse.

»In seiner Rolle als Feldmarschall Blair«, schrieb Simon Hoggart in der linksliberalen Tagszeitung The Guardian, »konnte er Dinge sagen, für die die Delegierten ihn in jeder anderen Situation mit Eiern beworfen hätten.«

In seinem Rundumschlag weitete Blair seine Angriffe noch aus und entledigte sich ganz nebenbei des sozialistischen Teils der Parteigeschichte: »Unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik schuldet der liberalen sozialdemokratischen Tradition Lloyds, Georges, Keynes' und Beveridges genauso viel wie den sozialistischen Prinzipien der Regierung von 1945.«

Drastische Folgen wird der »Krieg gegen den Terrorismus« auch im Innern haben. Neue Maßnahmen gegen den Terrorismus, so Innenminister David Blunkett, werden eine schnellere Auslieferung von Verdächtigen einschließen, notfalls auch in Länder wie die USA, wo ihnen die Todesstrafe droht. Des Terrorismus Verdächtige sollen auf unbestimte Zeit festgenommen werden können. Neben der Einführung der Ausweispflicht ist vor allem die geplante Verwehrung des Asylrechts im Falle mutmaßliche oder verurteilter Terroristen umstritten. Nach diesem Gesetz hätte beispielsweise Nelson Mandela in Großbritannien, das immerhin eine maßgebliche Rolle in der Anti-Apartheidsbewegung gespielt hat, keinen Schutz vor Verfolgung erhalten dürfen.