Surfen auf Riesenwellen

Viele feuchte Träume

Eine Million Dollar setzt der australische Surfbretthersteller Billabong für den ersten Menschen aus, der auf einer 30-Meter-Welle surft - und überlebt.

Das nennt man wohl einen feuchten Traum: »Die Meere sind voller riesiger Wellen. Sie zu suchen, ist ein ultimatives Mann-gegen-Mann-Abenteuer.« Der Träumer heißt Bill Sharp, er ist 40 Jahre alt und hat einen Arbeitgeber. Billabong heißt der und ist einer der größten Surfbretthersteller der Welt. Die australische Firma veranstaltet jetzt die »Billabong Odyssee«: In einem auf drei Jahre angelegten Projekt soll auf den Ozeanen der Welt nach den höchsten Wellen gesucht und darauf gesurft werden.

Die erste der geplanten acht Expeditionen beginnt im Oktober vermutlich vor den Küsten Kaliforniens und Alaskas, doch Billabong macht noch ein kleines Geheimnis daraus. Der wichtigste Werbegag ist dagegen schon nach außen gedrungen. An den Surfer, der als erster auf einer 30-Meter-Welle surft, wird eine Million australische Dollar ausgezahlt, das entspricht einer halben Million Euro.

Manche halten das für ein suizidales Projekt, schließlich sind 30 Meter höher als ein zehnstöckiges Haus. Die größte bislang gerittene Welle war geschätzte 21 Meter hoch, die größte je gesehene - 1958 vor Alaska, zwei Fischer waren Zeugen - war über 500 Meter hoch. Aber was die Akteure der »Billabong Odyssey« suchen, ist die regelmäßige hohe Wellenbewegung, damit ihr neuer Sport - je nach Lesart: eine Abart oder eine Weiterentwicklung des Wellenreitens -, auch regelmäßig betrieben werden kann.

Walter Monk, ein US-amerikanischer Ozeanograf, ist sich jedoch gar nicht sicher, ob solche Wellen regelmäßig, also wenn es nicht stürmt, überhaupt existieren. »In einem Gebiet weit außerhalb der Küste, wo es ab und zu 15-Meter-Wellen gibt, kann ich mir vorstellen, dass man auch mal eine 30-Meter-Welle findet.« Aber dazu seien Stürme, in denen selbst größere Schiffe in Seenot gerieten, die Voraussetzung. »Es überrascht mich, dass die Surfer wirklich glauben, sie würden solche hohen Wellen finden.«

Organisator Bill Sharp widerspricht dieser Ansicht. Die computergestützte Weiterentwicklung der Wettervorhersage habe gezeigt, dass es regelmäßig und prognostizierbar zu großen Wellenbewegungen komme: »Wir haben herausgefunden, dass die Ozeane eine Vielzahl von extremen Wellen hervorbringen, auf denen noch nie jemand gesurft hat.«

Bislang dominieren in der Szene der Wellenreiter, die gemeinhin als Aktivisten eines Funsports gelten, ganz andere Formen des sportlichen Surfens als das Beherrschen der höchsten Wellen. Der noch gültige Langstreckenrekord des Surfens stammt aus dem Jahr 1936, als Tom Blake vor Hawaii 1,5 Kilometer auf einer Welle zurücklegte. Der Wille zu neuen Rekorden ist mittlerweile in der Surferszene klar erkennbar.

Das Wellenreiten erlebte erst sehr spät seine Anerkennung als Sport. Auf Hawaii wird es zwar schon seit Jahrhunderten betrieben - James Cook berichtete bereits 1778 davon -, aber erst als der Hawaiianer Paoa Duke Kahanamoku, von 1912 bis 1924 dreifacher Olympiasieger im Schwimmen, einmal auf einer Reise nach Australien sein Brett mitnahm und dort vorführte, wie man auf den Wellen reitet, wurde es international bekannt. Man nennt Kahanamoku auch den »Father of Surfing«, seine damalige Demonstration war die Geburt der Sportart. Einen Boom erlebte das Surfen aber erst in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als es in Kalifornien zum Symbol eines Lebensstils wurde. »Surfin' USA« von den Beach Boys kam 1963 auf den Markt, die ersten Weltmeisterschaften fanden 1964 statt, und die ersten Profis in dieser Sportart gab es 1968.

»Einige tausend Leute sind schon auf den Mount Everest geklettert«, erklärt Mike Parsons, der Rekordhalter im Big-Wave-Surfen, »aber wieviele Leute haben schon eine 30-Meter-Welle geritten?« Parsons ist Amerikaner, und eigentlich hat er »100 feet« gesagt, was noch mehr nach einer magischen Grenze klingt. Seinen Rekord schaffte er mit 66 feet (21 Meter). Dafür bekam er damals 60 000 US-Dollar Preisgeld. Parsons gehört zu den 28 Weltklassesurfern, die von Bill Sharp eingeladen wurden, um in den nächsten drei Jahren nach der größten Welle zu suchen.

Mit dem gewöhnlichen, meist in Strandnähe betriebenen Wellenreiten hat ihr Sport nichts mehr gemein. »Die traditionellen Surfer surfen doch nur um zu surfen«, sagt Brian Keaulana aus Haiti. »Was wir machen, ist surfen, um zu überleben. Unser Genuss ist der Genuss, überlebt zu haben.« Der Australier Luke Egan, die Nummer zwei in der Welt, assistiert ihm: »Wir haben in den letzten Jahren einen ungeheuren Fortschritt gesehen, sowohl was die Meeresforschung angeht, als auch in der Surf-Entwicklung. Das ist eine ganz neue Richtung im Surfen und sie wird diesen Sport auf ein neues Level heben. Dieses Big-Wave-Riding ist wirklich extrem, und die Jungs, die das jetzt versuchen, haben auch wirklich die Erfahrung, es durchzustehen.«

Ross Clarke-Jones, mit 34 Jahren einer der Älteren in dem Projekt, drückt die Motivation ehrlicher aus: »Geld kann die Menschen dazu treiben, die verrücktesten Dinge zu tun. Immerhin kann das für jeden, der es probiert, seine letzte Welle sein.«

Bereits die Vorarbeiten des 30-Meter-Projektes sehen aus, als handelte es sich um eine gigantische Bergungsaktion. Die »Billabong Odyssey« arbeitet eng mit einem renommierten Wetterforschungsinstitut in San Diego zusammen. Wenn es Hinweise gibt, wo sich ein Wellengebiet befindet, werden die Surfer mit Hubschraubern hingebracht, dann zieht man sie mit High-Speed-Jetskis an den Wellenkamm. Ein Heranpaddeln wie beim gewöhnlichen Surfen wäre zu gefährlich. Die Welle, die dann ausgehalten werden muss, hat eine Geschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde. Und damit den waghalsigen Jungs geglaubt wird, dass sie auf und unter einer derart großen Welle gestanden haben, wird die ganze Aktion gefilmt.

»Wir investieren in die Fernsehproduktion«, sagt Bill Sharp, »damit wir sicher sein können, dass wir sie auch perfekt von jeder Seite aus einfangen können, wenn die 30-Meter-Welle denn da ist.« Das ist auch dem Sponsor Billabong wichtig, denn er möchte die Bilder in seiner Werbung einsetzen. Kritiker des Projekts wie der amerikanische Journalist Terry Rodgers sprechen von der »Billabong Odyssey« als einer »Evel-Knievelisierung« des Surfens. Aber für Bill Sharp sind solche Leute bloß »grouchy contrarians«, nörgelnde Nein-Sager. Den Hinweis auf den verunglückten Motorradartisten nimmt er jedoch gerne auf: »Im Grunde ist die Billabong Odyssey ein Treffen von Jacques Cousteau mit Evel Knievel.«

Mehr Kritik, wenn das überhaupt eine war, lässt Sharp nicht gelten. Auch nicht den Hinweis, dass das von seinem Arbeitgeber ausgelobte Geld den Wagemut seiner Surfer gefährlich steigern könnte. Für eine Rekordhöhe unterhalb der 30-Meter-Marke gebe es pro Foot 1 000 US-Dollar (etwa 500 australische Dollar), und für die 30 Meter (100 feet) ja gleich eine ganze Million australische Dollar. Nur Profis, die wüssten, worum es geht, wären doch dabei, sagt Sharp, und den Rekord dürfe auch nur einer der eingeladenen 28 Weltklasse-Surfer brechen. »Da könnte man zwar sagen, das wäre nicht demokratisch, weil wir Menschen ausschließen. Aber es geht einfach um die größtmögliche Sicherheit.«

So sieht es auch der amtierende Rekordhalter Mike Parsons. »Es geht doch nicht um die Preise«, erklärt er, »die meisten Surfer würden wahrscheinlich sogar Geld zahlen, um dabei zu sein.«

Bill Sharp ist zuversichtlich, dass sein Projekt erfolgreich sein wird. Er hat sich bereits Expeditionen wie die »K2 Big Wave Challenge«, die »Swell XXL«, in deren Rahmen im vergangenen Jahr die 21-Meter-Welle geritten wurde, und das »Project Neptune« geleitet. »Einer der Gründe, warum ich so zuversichtlich bin, ist, dass die meisten Menschen so verschreckt sind, wenn sie eine 15-Meter-Welle sehen. Wir haben das in Cortes gesehen«, trägt er seine Erfahrungen aus »Swell XXL« vor. »Da haben uns die Leute ständig erzählt, dass solche Wellen nicht zu surfen seien. Ich habe gelernt, nicht den Aussagen von Fischern zu glauben, und auch nicht denen von Surfern, die ungern hohe Wellen reiten, denn diese Leute wissen ja nicht, was sie sehen. Sie betrachten die Sache nämlich nicht unter dem Aspekt, ob sie gemacht werden kann.«

Von den 40 Surfern, die sich für die »Billabong Odyssey« interessierten, habe sich nur einer geweigert, nachdem er von den näheren Umständen erfahren habe. Die aktuelle Crew sei aus den übrigen 39 ausgewählt worden, und unter ihnen herrsche Zuversicht. »Wir haben doch gerade erst einen Zipfel vom Horizont erreicht, und nun haben wir die Technologie, hinter den Horizont zu gelangen und diese Monster zu bezwingen«, sagt Brian Keaulana.

Mit gängigen Konzepten des Surfsports, solchen, die noch vor dem Horizont stattfinden, will auch Organisator Bill Sharp nichts zu tun haben. »Die gegenwärtige Präsentation des professionellen Surfens versucht, daraus einen Machosport zu machen«, doziert er. »Da wird versucht, aus dem Surfen etwas zu machen, was es nicht ist, einen Kampf Mann gegen Mann. Aber Surfen heißt: Mensch gegen Natur.«

Schöner lässt sich der feuchte Traum vermutlich nicht begründen.