Parteitag der PDS in Dresden

Zimmer mit Aussicht

Auf dem Dresdener Parteitag konnte sich Gabi Zimmer mit dem von ihr favorisierten Programmentwurf durchsetzen. Die Linke und die Anschläge Teil III.

Schon nach zehn Sätzen kam die Parteivorsitzende auf den 11. September. Aber auf den 11. September 1973, als Augusto Pinochet sich in Santiago de Chile an die Macht putschte. Dieser Tag war ein »weiterer Einschnitt in meinem Leben«, rief Gabi Zimmer den Parteitagsdelegierten vom Rednerpult zu.

Etwas mehr Zeit, das Land der Terroranschläge zu verlassen, benötigte Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der Partei. »Niemand will nach der Trauer ein Aber setzen, weil diese Trauer ungeteilt ist. Sie gilt jenen Menschen, die bei den Zerstörungen in New York und Washington umkamen, aber nicht minder jenen, die unter den Trümmern der chinesischen Botschaft in Belgrad, in den Dörfern und Städten Jugoslawiens bei so genannten Kollateralschäden der Nato-Angriffe ihr Leben verloren haben.«

So viel rhetorische Mühe, den Hauptfeind ins Visier zu nehmen, machte sich Sahra Wagenknecht am Wochenende auf dem PDS-Parteitag in Dresden erst gar nicht. »Die Grausamkeit der Tat misst sich nicht an der Intensität der Medienberichterstattung«, konstatierte die Sprecherin der Kommunistischen Plattform (KPF). »Die PDS ist Antikriegspartei ohne Wenn und Aber - oder sie ist nicht.«

Eine Partei von Pazifisten ohne Wenn und Aber ist das Auffangbecken für Hunderte früherer Mitglieder der Nationalen Volksarmee zwar nie gewesen, doch derart lädiert wie nach den Anschlägen von Washington und New York wurde der Ruf der PDS als Antikriegspartei wohl ebenfalls noch nicht. Ausgerechnet Gregor Gysi, der Spitzenkandidat im Berliner Wahlkampf, war vor drei Wochen von der Partei- und Fraktionslinie abgewichen und hatte einen »Kommandoeinsatz« zur Ergreifung der Täter gefordert. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sowie die stellvertretende Vorsitzende Petra Pau schlossen sich kurze Zeit später an. Und die Basis tobte.

»Die PDS ist eine Partei, in der Pazifisten einen Platz haben, aber sie ist keine rein pazifistische Partei«, versuchte Bartsch den Zorn der vielen schon ihrer DDR-Sozialisierung wegen antiamerikanisch eingestellten Mitglieder zu bändigen. Doch spätestens in der letzten Septemberwoche war der Parteiführung klar, dass ihr der Laden in Dresden um die Ohren fliegen könnte. »Hätte sich die PDS-Fraktion am 19. September nicht so verhalten, wie sie sich verhielt, wäre das wohl das faktische Ende unserer Partei gewesen«, machte Wagenknecht kurz vor dem Parteitag in der KPF-nahen jungen Welt noch einmal deutlich, worum es in dem Konflikt zwischen Teilen des Vorstands und den Kritikern des Anti-Terror-Kurses geht.

Um Krieg und Frieden im Allgemeinen nämlich, und nicht so sehr um Ursachen und Folgen der Terroranschläge. Zwar unterstützte Wagenknecht in ihrer Rede ausdrücklich den von Zimmer vorgelegten »Friedensappell«, doch das dürfte eher den verworrenen innerparteilichen Konfliktlinien geschuldet sein als einer intensiven Auseinandersetzung mit den Gefahren des militanten Islamismus. »Was hier vorbereitet wird, ist kein Kampf gegen Terrorismus, sondern neuer Terror.« Ganz offensichtlich gehe es den USA und der Nato in erster Linie um »Rache, Öl und strategische Stützpunkte«.

Zu allem Übel für die friedensliebenden GenossInnen stand in Dresden eine Debatte über die künftige außen- und militärpolitische Programmatik der PDS auf der Tagesordnung, die die Parteispitze nach den Anschlägen in den USA fast schon zwangsläufig abwürgen musste. Zum einen waren die Umfragewerte für die Wahlen in Berlin in der vergangenen Woche weiter in den Keller gerutscht. Außerdem wäre der Hauptstadt-SPD angesichts der Stimmung in der Bevölkerung eine Koalition mit klammheimlichen Sympathisanten bin Ladens kaum zuzumuten.

Zimmer, die in ihrer Partei heftig umstritten ist, kam deshalb kaum hinterher, zwischen den unterschiedlichen Strömungen zu vermitteln. Der am Samstag mit breiter Mehrheit verabschiedete Leitantrag »Frieden! Gerechtigkeit weltweit!« wurde mehrfach zwischen ihr, Bartsch und dem Vorstandsmitglied Sylvia-Yvonne Kaufmann hin- und hergeschickt, ehe er den Delegierten vorgelegt werden konnte. Kaufmann hatte im April 1999 mit ihrer Rede auf dem Parteitag in Münster maßgeblich dafür gesorgt, dass rund zwei Drittel der Delegierten eine von Gysi, Bartsch und dem damaligen Vorsitzenden Lothar Bisky unterstützte Änderung des Programms ablehnten, wonach Uno-Militäreinsätzen künftig im Einzelfall hätte zugestimmt werden können.

Dass der große Streit auf dem Parteitag in Dresden am Ende ausblieb, hat Zimmer aber weniger ihrem vor Formelkompromissen nur so strotzenden Papier zu verdanken, als einer Gruppe Hamburger PDS-Mitglieder, die nach Auskunft der Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt »alles ablehnen, was in der PDS gemacht wird - außer ihrer eigenen Politik«.

Nur wenige Tage nachdem die an derHamburger Universität als Gruppe Links organisierten Sektierer in einem Flugblatt mit dem Titel »So was kommt von so was« unverhohlen ihre Freude über den Islamistenterror in den USA bekundet hatten, traten sie in Berlin gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf vor die Presse. Das Pikante an dem vermeintlich friedenserhaltenden Auftritt der Westlinken: Neben Angehörigen des mehrheitlich ostdeutschen Marxistischen Forums und der KPF zählt Wolf zu den Verfassern eines von zwei Gegenentwürfen zu dem von Zimmer favorisierten Parteiprogramm. Dass Wolf der Vorsitzenden nun ausgerechnet mit Unterstützung der verhassten Hamburger vorwarf, der von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein verfasste Entwurf sorge für eine »Militarisierung der Politik« und widerspreche dem Parteitagsbeschluss von Münster, war mehr als ein Eigentor. Zimmer nutzte die Chance, die durchaus heterogene Gruppe ihrer Kritiker in einem Aufwasch zu erledigen.

»Das Maß ist schon lange voll«, attackierte sie die Hamburger, und direkt an Wolf gewandt, fragte sie: »Welche Vorstellung hast du eigentlich von uns Ostweibern?« Wer ihr ständig vorwerfe, einen »Programmputsch« vorzubereiten, müsse sich fragen lassen, »ob er mit mir die richtige Parteivorsitzende hat«.

Die Antwort gaben die rund 400 Delegierten. Knapp 90 Prozent stimmten dem Leitantrag Zimmers zu, sodass nun allein der von den Brüdern Brie erarbeiterte Entwurf als Grundlage der künftigen Programdebatte dient - und sich die Begegnungen Zimmers mit dem nach eigenem Bekunden »an Trotzki orientierten Stalinismuskritker« Wolf auf ein Minimum reduzieren dürften.

Was nicht weiter tragisch ist, wie Angela Marquardt findet. Schließlich sitze Uwe-Jens Heuer, der Sprecher des Marxistischen Forums und ein Mitstreiter Wolfs, weiterhin in der von Zimmer geleiteten Programmkommission, außerdem könne sie die seit Jahren andauernden »Streitigkeiten um einzelne Sätze« ohnehin nicht verstehen. Zwar teile sie die Einwände gegen die unscharfe Kapitalismuskritk und die schleichende Militarisierung im Vorstandsentwurf. Doch viel mehr störe sie, »dass niemand in der Partei darauf achtet, in der Alltagspolitik gewisse Prinzipien einzuhalten«.

Das fiel am Sonntag selbst den überzeugtesten Antimilitaristen schwer. Die Rede des »Kriegstreibers« Gysi honorierten sie mit Standing Ovations. Was wohl erneut auf die Hamburger Delegierten zurückzuführen war, die Gysi vor anderthalb Jahren in Münster mit diesem Titel bedacht hatten. Nachdem sich die Delegierten am Sonntag fast einstimmig von den Positionen der Hamburger distanziert hatten, bedankte sich Gysi auf seine Art. Die Haltung der Hamburger sei, so Gysi, vielleicht »vom Grundgesetz gedeckt.Aber einem PDS-Mitglied ist es nicht erlaubt, so etwas Menschenverachtendes zu sagen.«

Der einzige, der seine Prinzipien da noch nicht zwischen Grundgesetz und Terrorbekämpfung verloren hatte, war Zimmers Stellvertreter Diether Dehm. »Ich kann nicht ausschließen, dass es selbst bei Unverbesserlichen gelegentlich Verbesserung gibt«, sagte er. Zwei Stunden später bombardierten britische und US-amerikanische Kampfflieger Kabul und Kandahar.