Selbstzensur der Medien in den USA

Hi, hi, hi, reih dich ein!

Eingriffe aus dem Weißen Haus braucht es nicht. Immer mehr Medien in den USA zensieren sich selbst.

Die Überschriften klingen ironisch, doch ein drohender Unterton schwingt mit, wenn Zeitungen wie der Philadelphia Inquirer oder die New York Times ihre LeserInnen mit Schlagzeilen wie »Watch what you say« (»Pass auf, was du sagst«) beglücken. Die Botschaft richtet sich nicht nur ans Publikum, sondern auch an die AutorInnen und KollegInnen.

Mehr als einen Monat nach den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon, mitten in der Serie von Milzbrandanschlägen und in der US-amerikanischen Intervention in Afghanistan, sind die meisten US-Medien auf Regierungskurs eingeschwenkt. Sei es, dass die Vorstände der drei großen Fernsehanstalten CNN, NBC und ABC nach einem Gespräch mit der nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice versprechen, ausführliche O-Töne von Ussama bin Laden nie wieder zu senden oder Pentagon-Berichte über die Militäraktion in Afghanistan ohne jeglichen kritischen oder kontextualen Zusatz zu verbreiten. Das Resümee des Village Voice-Kolumnisten Nat Hentoff, »die Angriffe vom 11. September haben der Meinungsfreiheit einen schweren Schlag versetzt«, bestätigt sich derzeit sowohl in den Medien als auch im intellektuellen Diskurs.

Dabei bedarf es nicht einmal der unmittelbaren Intervention aus dem Weißen Haus wie im Fall des bin Laden-Videotapes. Nur 24 Stunden nach den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon gab Dan Rather, der TV-Anchormann von ABC News, die Linie vor. Mit seiner Erklärung an die verunsicherte Fernsehgemeinde beschrieb er eine Haltung, die seitdem auf allen Kanälen vorherrscht: »George Bush ist der Präsident, er trifft die Entscheidungen, und wissen Sie, als Amerikaner will er, dass ich mich einreihe.«

»Aber es geht um mehr als einfachen Patriotismus«, beschreibt Michael Massing vom Columbia Journalism Review in der linksliberalen Nation das Phänomen einer Fernsehberichterstattung, die sich mit vom Pentagon gesäuberten Bildern und Analysen zufrieden gibt. »Die dünne Berichterstattung und die hohle Analyse scheinen ein direktes Ergebnis davon zu sein, dass sich die großen Sendeanstalten in den letzten Jahren von einer Berichterstattung über die Welt kontinuierlich entfernt haben. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden Überseebüros geschlossen, außenpolitische Korrespondenten in die Zentralen zurückgeholt und die Sendezeit für internationale Berichte scharf verkürzt. Nachdem sie sich auf diese Art und Weise ihre 'Augen' ausgerissen haben, tappen die Sender jetzt - plötzlich mit einer globalen Krise konfrontiert - im Dunkeln, verzweifelt auf der Suche nach festem Boden.«

Bei den großen bürgerlich-liberalen Tageszeitungen wie der Washington Post und der New York Times gibt man sich distanzierter. Auch hier hatte Condoleezza Rice ihre »Bitte« vorgetragen, bin Ladens Botschaft nur häppchenweise und redigiert an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Die Antwort der New York Times, »unsere Praxis ist es, unsere Leser umfassend zu informieren«, und des Boston Globe, »wir werden jede Situation einzeln beurteilen«, lässt auf ein Mindestmaß an journalistischer Unabhängigkeit hoffen.

Ein wenig schadenfroh verlegt man sich darauf, das Dilemma der Sendeanstalten zu beschreiben. »Anstelle einer monolithischen amerikanischen Sichtweise, erhalten die Zuschauer heute eine globale Perspektive - durch die Nachrichten von der britischen BBC oder von Al Jazeera«, so Caryn James in der New York Times. »Die Vielfalt der Quellen existiert einfach, unabhängig davon, ob die US-amerikanischen Fernsehanstalten das zugeben wollen oder nicht.«

Die Autorin scheut sich auch nicht, die Alternativen beim Namen zu nennen. »Aktive Zuschauer können sich durch die Kanäle klicken und ganze Sendungen aus Großbritannien oder Kanada empfangen, US-amerikanische Verbündete, die mit einer unvergleichlich breiteren Perspektive und größerem Kontext berichten.«

Als Beispiel nennt James die Informationsstrategie des Pentagons seit dem Beginn der US-Angriffe auf Afghanistan. Das Verteidigungsministerium vermittelte einem ausgesuchten Journalistenpool telefonische Interviews mit Air Force-Piloten, die die erste Welle von Luftangriffen geflogen hatten. Die Sicht der Piloten, die die Bombardements positiv beschrieben und von einer »gut geölten Maschinerie« sprachen, wurde dann unkommentiert an die US-amerikanischen Hörer, Zuschauer und Leser weitergegeben.

Ein Reporter der Canadian Broadcasting Company, der ebenfalls zum Pool gehörte, sagte daraufhin in seiner Berichterstattung: »Wir haben von den Amerikanern schon öfter gehört, dass ihre Militärmissionen wie geschmiert laufen. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass dem gar nicht so war.«

Caryn Thomas merkt dazu an, dass der kanadische Kollege eine Reaktion formuliert habe, die von vielen Amerikanern durchaus geteilt werden könnte, die aber keinem der heimischen Journalisten über die Lippen kam. Doch auch bei der gerade ihren 150. Geburtstag feiernden New York Times beschränkt man sich auf subtile Hinweise, wenn es darum geht, die unklare Nachrichtenlage zu beschreiben. Es sind Sätze wie »es gibt keine klaren Bilder von dem, was in Afghanistan am Boden oder in der Luft passiert« (New York Times vom 9. Oktober), die aufgeklärte LeserInnen aufschrecken lassen.

Und wenn es darum geht, den sich langsam formierenden gesellschaftlichen Dissens zur Regierungspolitik zu beschreiben, tun sich auch die Printmedien schwer. Zwar widmete die New York Times einer Friedensdemonstration mit 12 000 TeilnehmerInnen in New York City am ersten Oktoberwochenende eine halbe Seite, während kein einziger überregionaler Fernsehsender darüber berichtete. Doch mindestens so ausführlich wie die Sprecher der DemonstrantInnen kamen in dem Artikel der New York Times zwei Dutzend GegendemonstrantInnen zu Wort, die die KriegsgegnerInnen als »fünfte Kolonne der Taliban« und als »Verräter« denunzierten.

Man müsse unterscheiden zwischen offizieller Zensur und »gesellschaftlicher Ächtung«, sagen VertreterInnen mehrerer liberaler Think Tanks angesichts des vorauseilenden Gehorsams vieler Radio- und Fernsehanstalten. Als Beispiel hierfür wird unter anderem die Anweisung der landesweiten kommerziellen Radioanstalt Clear Channel Communications genannt, die eine Liste mit »unpassenden Liedern und Texten« für ihre Radiostationen erstellt hat.

Eine Band, deren gesamtes Repertoire nicht mehr bei Clear Channels gespielt werden darf, ist Rage against the Machine. Ihr Gitarrist Tom Morello erklärte daraufhin: »Ich denke, dass alle Leute mit Verstand wollen, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Aber es gibt auch Leute, die der Ansicht sind, dass die USA ihren Anteil an einem Kreislauf der Gewalt haben, der beendet werden muss.«