Neun Jahre nach dem Rostocker Pogrom: Prozess gegen Neonazis

Endspurt in Rostock

Am 20. November beginnt vor dem Schweriner Landgericht der Prozess gegen vier Rechtsextreme, die an den Rostocker Pogromen beteiligt waren.

Das Verfahren mit dem Aktenzeichen 33Kls 27/95 beim Schweriner Landgericht birgt Sprengstoff in sich. Denn jahrelang wurde das Verfahren gegen vier Neonazis, die im August 1992 an den mehrere Tage andauernden Pogromen gegen Flüchtlinge und vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen beteiligt waren, verschleppt.

Drei Jahre hatte die Staatsanwaltschaft gebraucht, um gegen die vier Männer Anklage zu erheben. Das war 1995. Sechs weitere Jahre benötigte das Gericht, um das Verfahren zu eröffnen. Neun Jahre nach den schwersten rassistischen Ausschreitungen im wiedervereinigten Deutschland soll nun ein »juristischer Schlusspunkt« gesetzt werden. Am 20. November beginnt der Prozess.

Einem der vier mutmaßlichen Angreifer wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, die anderen müssen sich wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung sowie schweren Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Als Tatmotiv wird »Ausländerhass« genannt.

Dass jene drei Angeklagten, denen »versuchter Mord« vorgeworfen wird, jahrelang unbehelligt blieben, wird rein formal begründet. Die Jugendkammer habe eben sehr viele Verfahren verhandeln müssen, bei denen die Verdächtigen in Untersuchungshaft saßen, sagte Katja Surminski, eine Sprecherin des Landgerichts. Diese Verfahren seien vorgegangen. Da die vier nicht in U-Haft gesessen hätten, habe ihr Fall keine »hohe Priorität« gehabt.

Dass es angemessen gewesen wäre, diesem Fall etwas mehr Priorität einzuräumen, haben drei der Angeklagten seit 1992 hinreichend bewiesen. Da ist Ronny S., 26, der derzeit unter anderem eine Haftstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung absitzt. Im Sommer 2000 wurde er zudem wegen eines rechtsextremen Propagandadelikts verurteilt. Auch sein Mitangeklagter, der 27jährige Andre B., ist vorbestraft. Er wurde 1996 ebenfalls wegen Propagandadelikten verurteilt. Enrico P., 28 Jahre, ist ebenfalls vorbestraft, der gleichaltrige Sven M. ist der einzige unter ihnen, der seither zumindest offiziell nicht straffällig geworden ist.

Laut Anklage sollen Ronny S., Andre B. und Enrico P. am Abend des 24. August 1992 zunächst in die unteren Stockwerke des so genannten Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen eingedrungen sein. Als sie dort nicht weiterkamen, sollen sie den Plattenbau wieder verlassen und auf der Wiese davor Brandsätze gebaut haben, die sie anschließend auf das Haus geworfen haben sollen. In diesem hielten sich zu diesem Zeitpunkt über 100 vietnamesische Vertragsarbeiter auf. Später sollen die drei gemeinsam mit Sven M. das Heim mit Steinen angegriffen haben.

Sollten sich die Anklagepunkte bestätigen, drohen ihnen vermutlich allenfalls Bewährungsstrafen. Immerhin liegen die Ereignisse über neun Jahre zurück, sodass es schwer fallen dürfte, die Vorwürfe bis ins Detail nachzuweisen. Als Zeugen der Anklage präsentiert die Staatsanwaltschaft zudem hauptsächlich Schweriner Rechte, die wegen der Rostocker Brandnächte schon rechtskräftig verurteilt sind.

Auch der Blick zurück offenbart eine Reihe unfassbarer Pannen und Versäumnisse - sowohl während des Geschehens als auch in der politischen und juristischen Nachbereitung.

Als sich am 22. August 1992 Hunderte rechte Jugendliche und Anwohner vor dem Heim versammelten und rassistische Parolen riefen, reagierten die Polizei und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns nicht. Dadurch offenbar ermuntert, tobte sich der rassistische Mob, angeheizt durch organisierte Neonazis und militante Skinheads, zwei Tage lang ungestört aus - bis zur Nacht des 24. August, als das Haus unter den Augen der Polizei schließlich in Brand gesetzt wurde.

Dem vom Schweriner Landtag eingesetzten Untersuchungsausschuss gelang es nie, Licht in die Ereignisse jener Nacht zu bringen. Ähnlich nebulös verlief auch das juristische Nachspiel unter Anleitung von Alexander Prechtel, damals Generalstaatsanwalt von Mecklenburg-Vorpommern und heute CDU-Oberbürgermeisterkandidat von Rostock. Von den rund 400 Ermittlungsverfahren, die eingeleitet wurden, waren über 100 gegen Antifas gerichtet, die versucht hatten, gegen die Rechten vorzugehen. Von über 80 Haftbefehlen mündeten bis Ende 1992 dreißig in Urteile. Meistens blieb es bei kurzen Jugendstrafen. Erst Ende 1992 und Anfang 1993 wurden gegen mehrere Rechte Haftstrafen von zweieinhalb Jahren und mehr verhängt. Die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren verlief jedoch im Sande und wurde eingestellt.

Die Rostocker Pogrome waren - mehr noch als das Pogrom in Hoyerswerda im Jahr zuvor - der Anfang für eine beispiellose rassistische und rechtsextreme Mobilisierung. Ganze Landstriche sind seitdem zu No-go-Areas für Flüchtlinge, Migranten, Obdachlose und linke Jugendliche geworden. Die Pogrome dienten 1993 als politische Begründung dafür, das Asylrecht de facto auszuhebeln. Und sie gehören zu den schwärzesten Kapiteln der unabhängigen Linken und der Antifabewegung.

Denn die knapp 300 Antifas, die sich am 23. August, also einen Tag vor der eigentlichen Brandnacht, in Rostock eingefunden hatten, wagten es nicht, dem rassistischen Mob vor dem Heim entgegenzutreten, und entschieden sich stattdessen für eine Demonstration in sicherer Entfernung.

1997, zum fünften Jahrestag des Pogroms, schrieb das Antifaschistische Infoblatt: »Seit Jahren hatte man mit moralischen Argumenten Zivilcourage eingefordert«, doch »den moralischen Ansprüchen entsprach kein Bewusstsein darüber, wie man sich in der konkreten Situation selbst zu verhalten habe. (...) Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wir echte Chancen hatten, den Mob zu verscheuchen. Wenn Gefahr drohte, dann sicher - wie der weitere Verlauf des Abends zeigte - durch die Polizei, die offenbar den Auftrag hatte, das Pogrom in jedem Falle stattfinden zu lassen.«