Gerald D. Feldmans »Die Allianz 1933-45«

Hoffentlich nicht Allianz-versichert

Das November-Pogrom als Versicherungsfall.

Als die Bundesbank Ende der neunziger Jahre von der internationalen Öffentlichkeit aufgefordert wurde, zur Aufklärung der Rolle deutscher Banken bei der Vermarktung von NS-Raubgold entsprechende Reichsbank-Dokumente vorzulegen, waren diese nicht mehr auffindbar, obwohl die amerikanische Militärregierung sie der Vorläuferorganisation der Bundesbank, der Bank deutscher Länder, mit dem Vermerk »Zur dauerhaften Aufbewahrung« übergeben hatte. Wann, von wem und aus welchen Motiven die Aktenvernichtung vorgenommen worden war, ist nie geklärt worden.

Nicht immer gehen deutsche Banken und andere Unternehmen mit diesem Material derart leichtfertig um. So haben etliche Institute nach 1990 einen großen Aufwand betrieben, um bisher in der DDR gelagerte Teile ihres Firmenarchivs an seinen jetzigen Unternehmenssitz zu verbringen. Das geschah jedoch nicht unbedingt mit dem Vorsatz, eine lückenlose Aufarbeitung der Firmengeschichte zu ermöglichen, sondern beschränkte sich weitgehend auf die Sicherstellung selbst. Je nach Lage und Gutdünken wird einem ausgesuchten Kreis von Historikern neuerdings jedoch der Zugang gestattet.

Jetzt hat der amerikanische Historiker Gerald D. Feldman seine Forschungsergebnisse über das Unternehmen Allianz vorgelegt. Im Vorwort benennt er recht offen, warum er von dem Versicherungskonzern mit dem Schreiben der Unternehmensgeschichte beauftragt wurde: Angesichts der Sammelklagen in den USA war die alte Selbstdarstellung des Konzerns so diskreditiert, dass auf dieser Grundlage keine Verteidigungslinie entwickelt werden konnte. »Man konnte sich der Geschichte der Allianz im 'Dritten Reich' keinesfalls annähern, indem man einfach von einer peinlichen und rufschädigenden Presseenthüllung zur nächsten stolperte.« Nach den Enthüllungen musste die Geschichtsschreibung also angepasst werden.

Die Ergebnisse Feldmans entsprechen dem, was von deutschen Konzernen bei aller Unterschiedlichkeit im Detail grundsätzlich zu erwarten ist. So achtete das leitende Personal schon frühzeitig auf beste Beziehungen zu den führenden Nazis, und »natürlich« zog dieses Unternehmen auch aus der »Arisierung« seine Profite. Allerdings vernutzte es nur recht wenige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Dafür blühte das Geschäft bei der Versicherung der SS-»Betriebe« in den Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern und beim Abtransport der Verfolgtenhabe ins Reich umso mehr. Während die Arbeitskräfte der Vernichtung preisgegeben waren, sicherte die Allianz so die Produktionsmittel und haftete für die Unversehrtheit der Beute.

Nach dem November-Pogrom tat sie sich besonders hervor. Eingeladen, sich zu den versicherungstechnischen Konsequenzen zu äußern, schlug sich ihr Sprecher Eduard Hilgard zunächst nicht auf Goebbels', sondern auf Görings Seite, indem er wie manche Deutsche den Verlust von volkswirtschaftlichen Werten beklagte. Dann versuchte Hilgard jedoch, Görings Absicht, jüdische Geschädigte durch eine 20-Millionen-Zahlung der Versicherungen an den Staat um ihren Versicherungsschutz zu bringen, zum eigenen Vorteil zu nutzen.

In einer Denkschrift charakterisierte er deshalb zusammen mit seinem Kollegen Hans Goudefroy das Pogrom als öffentlichen Aufruhr und mit Bezug auf Goebbels' Bemerkung vom »eruptiven Ausbruch der Empörung der Bevölkerung« als »Elementarereignis«, für das es im Prinzip keinen Versicherungsschutz gebe. Dann spitzten sie die antisemitische Logik des Pogroms und der nachfolgenden antijüdischen Verordnungen sogar noch zu, indem sie zunächst »arischen« Eigentümern den Versicherungsschutz absprachen, weil die jüdischen Geschädigten zur Behebung der Schäden verpflichtet seien.

Anschließend holten sie zum eigentlichen Schlag aus: »Durch die Verordnung vom 12. November 1938 ist das gesamte, also auch das deutsche oder staatenlose Judentum an dem Pariser Mord (dem Anschlag auf einen deutschen Diplomaten; R.S.) und damit an der Provokation des deutschen Volkes schuldig gesprochen worden. Wenn der Provokateur das provozierte Ereignis herbeiführt, muss er sich gefallen lassen, ebenso behandelt zu werden wie der Täter selbst. Es geht nicht an, den politisch verurteilten Juden versicherungsrechtlich als unschuldig zu behandeln.« Sie empfanden an anderer Stelle die Anerkennung einer Entschädigungspflicht sogar als »verwerflich«, weil die Juden damit von der Verantwortung und Haftung freigesprochen würden, die ihnen von den Verordnungen Görings gerade auferlegt worden waren.

Feldman bezeichnet diese Haltung zu Recht als »Pervertierung geschäftlicher und persönlicher Moral«. Doch leidet er ein wenig am Goldhagen-Komplex. Bescheinigt er doch denjenigen, denen er gerade eine Jahrzehnte andauernde Erinnerungsverweigerung nachgewiesen hatte, nach 1945 eine wundersame Wandlung. So bestätigte er, von der Süddeutschen Zeitung zur Entschädigung befragt, deren glatte Abwicklung.

Das hatte er in seinem Buch noch anders dargestellt. Die Grundhaltung der Versicherungen umriss Feldman zum Beispiel mit dem Satz: »Ähnlich wie die Versicherer 1938 erklärt hatten, die Zahlung der von Göring und dem RFM (Reichsfinanzministerium; R.S.) geforderten 20 Millionen RM werde einige Versicherungsgesellschaften in ihrer Existenz bedrohen, malten ihre Anwälte auch jetzt wieder (...) dieses Gespenst an die Wand.« Im Einzelnen wies er auf diverse »Auffälligkeiten« hin. Erhielten die Entrechteten von 1938 dann tatsächlich Zahlungen, so hafteten sie rückwirkend für die deutsche Solidargemeinschaft gleich mit. Entsprechend wurden ihnen nicht nur zehn Prozent wegen einer »Kriegsumlage« zugunsten der Versicherungen abgezogen, sondern man kürzte auch ihre Geldforderungen im Zuge der Währungsreform auf zehn Prozent ihres ursprünglichen Werts. Für eine Lebensversicherung in Höhe von 30 000 RM zahlte die Allianz in einem konkreten Fall 2 502,14 D-Mark.

Das Interview war übrigens mit »Die Allianz hat mitgemacht, aber keine Juden verfolgt« überschrieben. Ein Beispiel dafür, wie nach über 50 Jahren endlich vorgelegte Forschungsergebnisse zugleich wieder - Finkelstein lässt grüßen - weginterpretiert werden.

Gerald. D. Feldman: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945. C.H.Beck, München 2001, 800 S., DM 78