Italienische Zwangsarbeiter

Preis der Illusion

Ehemalige italienische Militärinternierte, die für das NS-Regime Zwangsarbeit leisten mussten, sollen bei der Entschädigung leer ausgehen.

Die Auszahlung des Geldes aus dem Entschädigungsfonds für ehemalige ZwangsarbeiterInnen hat begonnen. Dreieinhalb Jahre sind seit dem Einreichen der ersten Sammelklagen in den USA vergangen. Auch in Italien warten nun Zehntausende auf die Einlösung der »moralischen Verantwortung«, von der in den Ausführungen der Bundesstiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« die Rede ist. Der Großteil von ihnen wird in den nächsten Wochen jedoch erfahren, welcher Logik das Geschichtsbewusstsein im Land ihrer einstigen Peiniger folgt.

Betroffen sind vor allem die ehemaligen italienischen Militärinternierten, die von den nationalsozialistischen Behörden etwa ein Jahr vor Kriegsende in den zivilen Zwangsarbeiterstatus überführt wurden. Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte geht davon aus, dass heute noch etwa 70 000 von ihnen leben. Sie aber werden bei den Entschädigungszahlungen leer ausgehen. Zu diesem Schluss kommt ein im Auftrag des Bundesfinanzministeriums Ende Juli vorgelegtes Rechtsgutachten.

Der Leidensweg der Militärinternierten begann im September 1943. Nach dem Sturz von Benito Mussolini vereinbarten die Alliierten mit der neuen Regierung unter Pietro Badoglio einen Waffenstillstand. Unmittelbar darauf besetzte die Wehrmacht weite Teile des Landes. Die italienischen Soldaten in Norditalien und auf dem Balkan sahen sich vor die Wahl gestellt, auf deutscher Seite weiterzukämpfen oder in Kriegsgefangenschaft zu gehen. Die überwiegende Mehrheit - 370 000 Soldaten - entschied sich für die Gefangenschaft. Da Hitlers Streitkräfte wegen der militärischen Lage jedoch nicht über genügend Bewachungspersonal verfügten, wurden die Internierten im Juli 1944 aus dem Kriegsgefangenenstatus entlassen und als zivile Zwangsarbeiter registriert.

Wie auf einer Konferenz von Fachhistorikern in Buchenwald vor zwei Jahren bestätigt wurde, gehörten die nach Deutschland Verschleppten zu den am stärksten diskriminierten ZwangsarbeiterInnen. Die deutsche Bevölkerung hatte für die von ihnen als »Badoglio-Verräter« bezeichneten Menschen selten mehr als Verachtung übrig, ihre Verpflegung war besonders schlecht. Die Historiker kamen deshalb zu der Ansicht, dass die Entschädigung dieser Opfergruppe besonders dringlich sei.

Dieser Sichtweise wollten sich die Verwalter des Entschädigungsfonds nicht ohne weiteres anschließen. Sie stellten eine Anfrage an die Rechtsaufsicht der Stiftung, an die Bundesregierung. Daraufhin gab das Bundesfinanzministerium bei dem Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat ein Gutachten in Auftrag, in dem der Jurist zu dem Ergebnis kommt, dass den Militärinternierten kein Geld aus dem Entschädigungsfonds zusteht. Seine Begründung: Die Überführung der Kriegsgefangenen in den Zivilstatus wurde unter Bruch der Genfer Konvention vollzogen, sie ist deshalb völkerrechtswidrig und somit rechtlich unwirksam. Juristisch betrachtet haben die ehemaligen italienischen Soldaten nach Ansicht von Tomuschat ihren Status als Kriegsgefangene also nie eingebüßt. Kriegsgefangene sind jedoch von allen Leistungsansprüchen gegenüber der Stiftung ausgeschlossen.

Obwohl Historiker wie Gerhard Schreiber darauf hinweisen, dass rechtliche Positionen gerade nicht die Grundlage der Stiftung seien, sondern dass immer wieder von einer »moralischen Verpflichtung« die Rede sei, werden dort sämtliche Vorwürfe abgeblockt. »Dass es bei Historikern eine andere Auffassung gibt, ist im Kuratorium auch bekannt. Es handelt sich hier aber um eine Rechtsfrage - deshalb wurde auch der Völkerrechtler Tomuschat beauftragt. Diese rechtsaufsichtliche Stellungnahme der Bundesregierung ist für die Bundesstiftung bindend«, erklärt Stiftungssprecher Kai Hennig. Zynisch findet er die in dieser Rechtsform vorgenommene Trennung zwischen juristischem Subjekt und Lebenswirklichkeit nicht: »Tomuschat ist ein weltweit anerkannter Völkerrechtler, und wir haben überhaupt keinen Anlass, an der Richtigkeit des Gutachtens zu zweifeln.«

Ein Antrag von Lothar Evers, weitere historische Fachgutachten einzuholen und in einer Kommission über die Entschädigung zu entscheiden, fand im Stiftungskuratorium kein Gehör. Dort schloss man sich mehrheitlich der Ansicht des Vorsitzenden Dieter Kastrup an, es handele sich hierbei lediglich um Fragen der Rechtsauslegung, für die das Gremium nicht zuständig sei.

Für Evers ist der ganze Vorgang schlicht Geschichtsfälschung. Aus seiner Einschätzung macht er keinen Hehl: »Mit einem billigen Taschenspielertrick werden 70 000 Opfer zu Nichtopfern erklärt, und dadurch wird eine ziemlich große Gruppe von Zwangsarbeitern aus dem Gesetz herauskatapultiert.« Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Zahl der Leistungsberechtigten alle Schätzungen übersteigt und somit die zehn Milliarden nicht ausreichen werden. Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert befürchtet deshalb, »dass ähnliche Argumentationen zum Anspruchsausschluss auch anderer ehemaliger Zwangsarbeitergruppen bald folgen werden«.

Den einstigen Zwangsarbeitern aus Italien bleibt nichts anderes übrig, als die Entscheidung juristisch anzufechten. Das gestaltet sich jedoch schwierig, denn die Opfer stehen mit der Stiftung gar nicht direkt in Verbindung. Sie müssen ihre Ansprüche bei den jeweiligen Partnerorganisationen geltend machen. Im genannten Fall ist dies die Internationale Organisation für Migration (IOM), die bislang nicht einmal die Ablehnungsbescheide verschickt hat, ohne die eine individuelle Anfechtung nicht möglich ist. Einstweilen haben Vertreter der italienischen Antragsteller Verfassungsklage gegen das deutsche Stiftungsgesetz eingereicht, ein langwieriges Verfahren steht bevor.

Die italienische Organisation ehemaliger Gefangener Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia (ANRP) hat deshalb eine Kostenaufstellung des bisherigen Antragsverfahrens veröffentlicht. Bei einer Gesamtzahl von 90 000 AntragstellerInnen errechnete sie Kosten von über sieben Millionen Mark. »Zu dem vor Jahrzehnten erlittenen Schaden kommt also auch noch die Posse mit diesen Ausgaben«, kritisiert die ANRP.

Der italienische Opferverband weiß, wovon er spricht, wenn er seine Erfahrungen mit »moralischer Verantwortung« und Geschichtsbewusstsein in Deutschland zusammenfasst. Die Kostenaufstellung bekam den Titel »Der Preis der Illusion«.