Wehrmachtsopfer in Griechenland

Ungesühnt versöhnen

Eine Gesetzesinitiative griechischer Abgeordneter könnte dazu führen, dass Deutschland doch noch die Opfer der Wehrmacht entschädigen muss.

Noch vor einigen Wochen schien es, als könnte sich der deutsche Außenminister Joseph Fischer entspannt zurücklehnen. Die Versteigerung des Goethe-Instituts in Athen wurde im letzten Augenblick abgewendet. Die Bundesregierung hatte Widerspruch eingelegt und Recht bekommen. Ohne die Zustimmung des griechischen Justizministers Michalis Stathopoulos lasse sich die Auktion nicht durchführen, hieß es in der gerichtlichen Entscheidung Anfang Oktober. Stathopoulos wiederum weiß genau, wer in der EU und neuerdings auch auf dem Balkan den Ton angibt. Seine Einwilligung gilt als höchst unwahrscheinlich.

Die Auseinandersetzung um eine Entschädigung der griechischen NS-Opfer könnte also eine deutsche Erfolgsgeschichte sein. Und sie wäre es, wenn es in Griechenland nicht einige Abgeordnete gäbe, die sich nicht einschüchtern lassen. Eine Gruppe um den ehemaligen Außenminister Theodoros Pangalos, zu der zehn ehemalige Minister und Staatssekretäre gehören, legte dem griechischen Parlament in der vergangenen Woche eine Gesetzesinitiative vor, mit der die Position der NS-Opfer entscheidend verbessert werden könnte.

Nach wie vor ist der zentrale juristische Konfliktpunkt die von der Bundesrepublik eingeforderte Staatenimmunität, nach der die Verurteilung eines Staates durch Gerichte eines anderen Staates verhindert werden soll. Die Abgeordneten wollen erreichen, dass das griechische Parlament die 1972 getroffenen europäischen Übereinkommen zur Staatenimmunität ratifiziert, dem auch die Bundesrepublik beigetreten ist.

Der Zweck der Vereinbarung ist es nach der Präambel, die »Fälle einzuschränken, in denen ein Staat vor ausländischen Gerichten Immunität beanspruchen kann«. Der Vorstoß stärkt also die Entscheidungskompetenz griechischer Gerichte im Falle von Privatklagen gegen ausländische Staaten, in diesem Fall die Kläger von Distomo gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Die Position der Bundesrepublik hat sich auch dadurch verschlechtert, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober eine Klage griechischer Opfer zur Entscheidung angenommen hat. Jetzt ist die Bundesrepublik aufgefordert, zu der Klage Stellung zu nehmen, was bedeutet, dass sie sich dafür rechtfertigen muss, die griechischen Opfer nicht entschädigen zu wollen.

Bereits in den fünfziger Jahren unter der Regierung Adenauer war die Richtung im Umgang mit den griechischen Forderungen vorgegeben worden. »In der Absage könnte vielleicht darauf hingewiesen werden, dass auch in Deutschland die schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges keineswegs beseitigt sind«, lautete 1955 die Vorgabe des verantwortlichen Referenten im deutschen Außenministerium für eine Antwort an den Bürgermeister von Klisura. Dieser hatte sich an Bundeskanzler Konrad Adenauer gewandt und um Hilfe für den Aufbau seiner Gemeinde gebeten, deren Einwohner, ähnlich wie in Distomo, von deutschen Truppen ermordet und deren Häuser vollständig zerstört worden waren.

»Betont freundlich« sollte die Entgegnung zwar gehalten sein, ein »Präzedenzfall« sollte aber auf jeden Fall vermieden werden. Es war die Zeit, in der die Bundesrepublik ihre Beziehungen zu Griechenland wieder »normalisierte«. Das Deutsche Archäologische Institut und das Goethe-Institut konnten ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Dem »Präzedenzfall Klisura« aber blieben alle notwendigen Mittel verweigert.

Wenn der Europäische Gerichtshof jetzt eine Stellungnahme zu den nicht geleisteten Entschädigungszahlungen verlangt, darf man auf die deutsche Argumentation gespannt sein. Das Thema ist auch deshalb brisant, weil die deutsche Justiz Massaker wie das in Distomo nie als Verbrechen anerkannt hat.

»Danach umzingelten (die Deutschen) das Dorf, stellten an dessen Ausgang Wachen auf und begannen mit einem Massenschlachten, das an Grausamkeit alles übertraf, was die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte erlebt hat. (...) Sie (teilten) sich in Gruppen auf, drangen in die Häuser ein und fielen wie wilde Tiere über die unglücklichen Einwohner von Distomo her, metzelten sie nieder, ermordeten sie, vergewaltigten Frauen und junge Mädchen, schnitten Schwangeren die Bäuche auf. Alte, Junge, Frauen, unmündige Jungen und Mädchen und sogar Kleinkinder waren Opfer ihres Blutrauschs.« So lautet ein Teil des Berichts von Augenzeugen der deutschen »Vergeltungsaktion« im Juni 1944, den das oberste Gericht in Griechenland im Mai des vergangenen Jahres während der Verhandlung um Entschädigung für die Opfer verlas. Der Areopag sprach den Klägern von Distomo damals 28,2 Millionen Euro Schadenersatz zu.

In der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft blieb das Verbrechen jedoch ungesühnt. Kein Täter wurde je verurteilt, kein Opfer erhielt eine Entschädigung. Und noch nicht einmal die Deserteure der Wehrmacht sind vollständig rehabilitiert.

Gegen die Täter von Distomo wurde in Deutschland nur ein Hauptverfahren eröffnet. Dabei übernahm das Landgericht Augsburg 1951 die Sichtweise der Wehrmacht und bezeichnete das Abschlachten der Dorfbevölkerung als »völkerrechtliche Notwehr« im Kampf gegen Partisanen. Andere Verfahren wurden mit Bezug auf diese Entscheidung erst gar nicht eröffnet. So vertrat auch die Staatsanwaltschaft in Bochum einige Jahre lang die Meinung, dass die Verbrechen »völkerrechtsmäßige Mittel« gewesen seien, um »die Gegner, die Partisanen, zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen«.

50 Jahre später hat sich in der Bundesrepublik allerdings eine andere Sicht der Dinge durchgesetzt. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 29. November unter Berufung auf die neue Wehrmachtsausstellung, die Bundesrepublik sei »in einer anderen Wirklichkeit angekommen«. Diese sei durch das »Eintreten für die Menschenwürde - egal, wo auf der Welt - als besonderes Vermächtnis der deutschen Geschichte« geprägt. Und selbstverständlich fehlt auch nicht der Hinweis auf Militäreinsätze in aller Welt.

Eine solche Ausrufung unbegrenzter Kriegführung im Namen der Menschenrechte könnte als eine übermäßige Anpassung an die legitimatorischen Nöte der rot-grünen Regierung erscheinen, denn konservative Strategen sind da längst weiter. Zu ihrem Repertoire gehört die Forderung nach einer Abkehr von solcherart ideologisch begründeter Kriegspolitik und nach der Benennung von genuin deutschen Interessen.

Tatsächlich sind diese Äußerungen Teil eines ideologischen Transformationsprozesses, in dem die Konservativen die eigentlich »realpolitische« Position vertreten. Die rot-grünen Realos hingegen versuchen lediglich, für ihre Klientel den ideologischen Brückenschlag zwischen Weltverbesserungswünschen und Weltmachtpolitik herzustellen.

Ein Bindeglied zwischen der konservativen und der rot-grünen Kriegsargumentation stellt die neue Wehrmachtsausstellung dar. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte am vergangenen Mittwoch fest, was deutsche Gerichte schon immer wussten: »Die Wehrmacht war keine Mörderbande.« Gerade wegen ihrer eindeutigen Darstellung der Verbrechen und der daraus resultierenden Benennung der Täter wurde die alte Ausstellung trotz aller Angebote für einen Versöhnungsdiskurs als eine unerträgliche Provokation empfunden.

Mit der Relativierung des Verhältnisses von Tat, Tätern und Schuld im Gestus der Differenzierung eröffnet die neue Version jetzt die Möglichkeit der freien Assoziation über die aus der Geschichte zu ziehenden Konsequenzen. Das trifft zweifellos die ideologischen und politischen Erfordernisse der Berliner Republik. Dabei stören dann nur noch die NS-Opfer, die mit ihrem Beharren auf den unerfüllten Forderungen der Gesellschaft nur noch als Provokation erscheinen.