Friedensgespräche mit tschetschenischen Separatisten

Viel Reden bringt Segen

Mit den Friedensgesprächen zwischen der russischen Regierung und den tschetschenischen Separatisten tritt der Konflikt um die Kaukasusrepublik in eine neue Phase.

Achmed Sakajev, Sprecher der tschetschenischen Rebellenregierung, konnte sein Glück kaum in Worte fassen: »Wir sind sehr glücklich über das Treffen, und ich erwarte, dass die Gespräche fortgesetzt werden und zu einem glücklichen Ende kommen.« Er meinte jene Friedensverhandlungen, die vor einigen Tagen in Moskau stattfanden. Zwar wurden keine Details zu den Ergebnissen der mehrere Tage dauernden Verhandlungen bekannt gegeben. Dennoch ist es offensichtlich, warum sowohl die Regierung des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow als auch Russlands Präsident Wladimir Putin ein großes Interesse daran haben, gerade jetzt einen Weg zu finden, um die wichtigsten Streitpunkte beizulegen: Beide Politiker befinden sich im aktuellen Kaukasus-Konflikt eher in der Defensive.

Wladimir Putin muss den Tschetschenien-Konflikt recht bald lösen, um seine Glaubwürdigkeit nicht ganz zu verlieren. Er verkündete bereits knappe zwei Wochen nach seinem Amtsantritt als Jelzin-Nachfolger, im Februar des Jahres 2000, den Sieg über die Separatisten in der abtrünnigen Kaukasusrepublik , doch davon kann bis heute keine Rede sein. Vielmehr scheint sich Tschetschenien langsam zu einem Desaster für die Russen zu entwickeln: Zwar konnten sie das Land weitgehend unter ihre Kontrolle bringen, noch immer aber sterben russische Soldaten bei Angriffen der rund 2 000 hartnäckig kämpfenden Rebellen. Allein am Wochenende der Friedensverhandlungen in Moskau registrierte die russische Armee insgesamt 14 Angriffe auf russische Polizeistationen und Militärkonvois. Für Moskau wird es immer peinlicher, sich mit seiner Streitmacht nicht gegen 2 000 Desperados zur Wehr setzen zu können und noch immer nicht ein Territorium befriedet zu haben, das gerade mal halb so groß wie Belgien ist. Also muss eine Lösung her.

Als Verhandlungspartner ist da die Delegation von Aslan Maschadow mehr als willkommen. Denn auch der verliert von Tag zu Tag an politischer Autorität. Er gilt selbst den Russen als moderater Sezessionist und den noch immer agierenden bewaffneten Kämpfern als politischer Weichling. So ließ Putin knapp vor Beginn der Friedensverhandlungen verlautbaren, er begrüße die Teilnahme der Maschadow-Delegation, weil diese »die moderaten Kräfte in Tschetschenien« vertrete. Inzwischen hat Maschadow schon längst keine Kontrolle mehr über die bewaffneten Einheiten, die mehr oder minder selbständig angreifen und wieder in den Bergen im Süden der Kaukasusrepublik verschwinden. »Bei diesen Gesprächen geht es vor allem um eines: die persönliche Zukunft von Maschadow«, sagt Anna Politkovskaya, Tschetschenien-Korrespondentin der Moskauer Novaya Gazeta gegenüber Jungle World.

Noch dazu sind es auch politische Gründe, die die Hardliner und Maschadow voneinander trennen. Er möchte eine säkular strukturierte Republik errichten, die - so realistisch ist er - schon alleine aus Gründen des wirtschaftlichen Überlebens enge Verbindungen zu Russland unterhält. Maschadows Widersacher aber sind überwiegend islamische Fundamentalisten, die noch dazu über exzellente Verbindungen zu Ussama bin Ladens derzeit arg bedrängtem Terrornetzwerk al-Qaida verfügen. Dass die militanten Kräfte unter den tschetschenischen Rebellen den Kampf um die Unabhängigkeit des kleinen Fleckens Erde mit einem Kampf für ihre Version des Islam verknüpfen, ist inzwischen hinlänglich belegt. Bereits 1998 sollen Helfer bin Ladens eine fatale Rolle bei der Geiselnahme von drei Neuseeländern und einem Briten in Tschetschenien gespielt haben. Der britische Sender BBC jedenfalls behauptet, dass bin Laden den tschetschenischen Kidnappern der vier Männer das Dreifache des schon ausgehandelten Lösegelds angeboten hätte, wenn die vier eben nicht freigelassen, sondern ermordet werden würden. Die Tschetschenen entschieden sich demnach für das Geld, die Geiseln starben.

Also passt Putins angepeilter Separatfrieden mit der Gruppe um Maschadow auch gut zum Selbstverständnis Russlands als regionaler Vorposten des internationalen »Krieges gegen den Terror« nach dem 11. September. »Putin hat nicht nur seinen Tschetschenienkurs, sondern auch sich selbst geändert. Die Ereignisse des 11. September nahm er als offiziellen Anlass dafür«, vermutet Dimitri Trenin, führender Analyst des Moskauer Carnegie Centers. Tschetschenien-Kennerin Politkovskaya assistiert: »Putin hat alle Chancen, die sich ihm nach dem 11. September erschlossen, genützt.«

Gleichzeitig stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass Maschadow auf politische Vorschläge Moskaus eingeht, um seine Position gegenüber den vollkommen außer Kontrolle geratenen militanten Rebellen in den Bergen zu stärken. Eine Win-win-Situation zumindest vorläufig und noch dazu ein propagandistisch gut zu nützender Erfolg für Putin. Auf seltsame Weise passt da auch die Ankündigung des russischen Verteidigungsminister Sergej Iwanov dazu, jetzt eine »Winter-Offensive« zu starten und im Frühling »alle Terroristennester beseitigt zu haben und einen Rückzug der Armee aus Tschetschenien zu beginnen«.

Wohl zusätzlich angespornt wird Russland bei den Verhandlungen, weil das Problem Tschetschenien abermals internationalisiert zu werden droht. Am vorvergangenen Wochenende verlagerten sich die Kämpfe zwischen den Rebellen und der russischen Armee ins Grenzgebiet zu Georgien. »Wir wissen, dass mehrere Hubschrauber in den georgischen Luftraum eingedrungen sind. Sie kamen von russischem Territorium und flogen Angriffe auf georgischem Hoheitsgebiet«, vermeldete US-Außenamtssprecher Richard Boucher am Ende der vorletzten Woche. »Wir sind tief betroffen über diesen Zwischenfall, der eine Gefährdung für die gesamte Region darstellen könnte«, so Boucher weiter. »Alle Meldungen dazu sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage«, dementierte eine Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums.

Doch im US-amerikanischen Außenministerium schenkt man dieser Version wenig Glauben und vermutet eine neue Offensive gegen radikale tschetschenische Rebellen im Grenzgebiet zu Georgien. Immerhin gilt diese Region als eine der wichtigsten Versorgungslinien für die Abtrünnigen. Dass das strategisch wichtige Pankisi-Tal auf georgischem Staatsgebiet liegt, kümmerte die russischen Militärs herzlich wenig. Ganz im Gegensatz zu Putin: Mit Georgiens Staatspräsident Eduard Schewardnadse hat der russische Präsident in letzter Zeit ohnehin genügend Probleme, weil der Georgier, beeindruckt vom Niedergang der eigenen Popularität im Land, immer häufiger gegen die russischen Machtspiele in der Region wettert.

Freilich spielen auch historische Parallelen eine Rolle für die etwas problematische Gemütsverfassung Moskaus: Der zweite Tschetschenien-Krieg hatte ebenfalls nicht in Tschetschenien begonnen, sondern in Dagestan. Damals hatten Kämpfer vom Grenzgebiet aus ihre neuerlichen Angriffe gegen russische Truppen gesteuert. Und auch damals wurde Präsident Aslan Maschadow nicht gefragt.