Streit bei den Grünen

Alibi-Ali abgesägt

Unter den niederländischen Grünen gibt es Streit um die Aufstellung von Migranten für die Kommunalwahl.

Glaubt nicht, dass ihr gewonnen habt. Es gibt nur Verlierer!« Mit diesen Worten beendete der stellvertretende Vorsitzende der Grünen (GroenLinks) in Den Haag, Wim de Boer, Anfang Dezember die Kandidatenaufstellung für die Kommunalwahlen in der niederländischen Hauptstadt. Eine Gruppe von 70 Mitgliedern, die Verontrusten (Entrüsteten), verließ daraufhin den Saal, 130, die sich seitdem Nieuw Appel (Neuer Appell) nennen, blieben. Unabhängig voneinander stellten sie nun ihre eigenen Listen für die Kommunalwahlen im März des nächsten Jahres auf.

Den Anlass für die Spaltung bildete Ahmed Daskapan, der bis Oktober für GroenLinks im Stadtrat von Den Haag saß. Daskapan, im Südosten der Türkei geboren, wird vorgeworfen, als Ratsmitglied schlecht gearbeitet sowie eigene Interessen vor die der Partei gestellt zu haben. Pieter de Jong, ein ehemaliger Abgeordneter von GroenLinks im Regionalparlament von Zuid-Holland, sagte der Jungle World: »Seit Jahren werden Versammlungen von GroenLinks von Daskapan manipuliert. Auf den wichtigen Versammlungen, wo sonst zwischen 30 und 40 Leute auftauchten, kamen oft 200 Leute und mehr. Der Großteil davon sind Allochthone, die kaum oder gar kein Niederländisch verstehen und am Ende, ohne an der Diskussion teilzunehmen, vorbehaltlos für Daskapan stimmen. Das ist organisierter Stimmbetrug in großem Stil.«

Der Allochthone Daskapan - im niederländischen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Migranten sowie deren Kinder - spricht hingegen von einer Schmutzkampagne, die gegen ihn geführt wird. Sicher ist jedenfalls, dass es mit der Political Correctness bei den Haager Grünen voerst vorbei ist. Denn obwohl einige Mitglieder auf der letzten gemeinsamen Sitzung noch versuchten, die Affäre Daskapan als persönliches Versagen des Ratsmitgliedes herunterzuspielen, ist diese Affäre im Kern ein Streit zwischen in den Niederlanden geborenen Politikern sowie Migranten und Niederländern dunkler Hautfarbe.

Schon Anfang Oktober war Daskapan aus der Gemeinderatsfraktion von GroenLinks Den Haag ausgetreten, weil er sich von der Ortsgruppe als »Alibi-Ali« behandelt fühlte. Er sei nur aufgestellt worden, weil sich die Grünen von ihm als gebürtigem Türken Stimmen aus der türkischen Community erhofften. Eigene politische Initiativen seien von oben gestoppt worden.

Die Verontrusten weisen die Vorwürfe zurück. Bircan Bozbey meint, Daskapan spiele sich als Opfer auf. Er habe als Ratsmitglied keine Qualität geboten und häufig durch Abwesenheit geglänzt. Jaap de Jong, der von der Daskapan freundlich gesinnten Gruppe Nieuw Appel zum Spitzenkandidaten gekürt wurde, sieht dagegen strukturelle Gründe für den Streit. Der Jungle World erklärte er: »Wenn Allochthone sich so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird, gibt es keine Probleme. Verfolgen sie, wie Daskapan, ihre eigenen Ideen, sind Probleme programmiert.«

In der Tat haben niederländische Parteien in der Vergangenheit immer wieder Migranten aufgestellt, um sich progressiv zu geben und Stimmen in der jeweiligen Umgebung der Bewerber zu erobern. Spöttelnd hießen diese Kandidaten dann »Alibi-Ali«, »Troetelturk« (Streicheltürke) oder »Knuffelsurinamer« (Kuschelsurinamer), analog zur früheren »Excuus-Truus« (Quotenfrau). Ein eigenes politisches Profil hatten diese Kandidaten meist nicht.

Deshalb kündigte GroenLinks ebenso wie die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA) Ende November an, allochthone Kandidaten fortan stärker nach qualitativen Gesichtspunkten auszuwählen. In der neuen grünen Richtlinie über den Umgang mit allochthonen Kandidaten, die Ende November veröffentlicht wurde, heißt es, dass bei der Kandidatenfindung künftig zunächst politische Kritieren angewandt werden sollen.

Gute Kenntnisse des Niederländischen gelten dabei als Minimalanforderung. Weiter heißt es in der Richtlinie, dass die Parteileitung Vermittler einsetzen wolle, die den »multikulturellen politischen Prozess« begleiten sollen. Zwei Kandidaten wurden seitdem von der Liste gestrichen, weil sie den neuen grünen Anforderungen vermeintlich nicht genügten. Ein Marokkaner soll kaum niederländisch gesprochen haben und eine 21jährige Türkin wusste angeblich weder, was GroenLinks bedeutet, noch kannte sie das Wahlprogramm der Partei.

Die Sorge um die politische Qualität scheint indes ein vorgeschobenes Argument zu sein. Denn der schärfere Auswahlprozess soll verhindern, dass die inkriminierten Kandidaten mit Überfalltaktiken Listenplätze in der Lokalpolitik erobern. Den eigenen Anhang mobilisiert zu haben, nur um seinen Posten abzusichern, wird Daskapan deshalb in Den Haag vorgeworfen. Seit März 2001 stieg die Zahl der Mitglieder hier von 400 auf 800. Viele Eintritte seien über Sammelmails erfolgt, berichtete ein Fraktionsmitarbeiter. Bezahlt worden sei außerdem in einem Postamt, sodass nicht zu erkennen war, ob der Mitgliedsbeitrag von den Eintretenden selbst entrichtet wurde. »Der Verdacht drängt sich auf, dass hier Mitglieder gemacht wurden«, meinte der Mitarbeiter. Beweisen kann er das jedoch nicht.

In Den Haag zeigt sich die Parteileitung entschlossen, den vermeintlichen migrantischen Überfall zu verhindern. Seit dem 1. Dezember werden keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen, außerdem wurden alle Anmeldungen, die elektronisch erfolgten, überprüft. Die Parteivorsitzende von GroenLinks-Den Haag, Mirjam de Rijk, sagte der niederländischen Zeitung De Volkskrant: »Einige e-mail-Adressen waren falsch, und bei Nachfrage schien es so, dass einige nicht wirklich Mitglied werden wollten. Die haben wir ausgesiebt.«

Der Politologe Jean Tillie empfindet diese Intervention als skandalös und undemokratisch. Schließlich verstoße das Werben von Mitgliedern in der Familie und im Freundeskreis nicht gegen die Spielregeln. Mitgliederwerbung, um sich einen guten Listenplatz zu sichern, soll es indes auch in einer Amsterdamer Ortsgruppe der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) gegeben haben. Das Ratsmitglied Wesley Amzad soll dort in großem Stil Freunde und Familienangehörige dazu bewegt haben, in die PvdA einzutreten.

Yasmina Haifi saß auch einmal für GroenLinks im Rat Den Haags, trat dann jedoch vorzeitig zurück. »Es gab Kommunikationsschwierigkeiten«, erklärte sie. »GroenLinks tut sich schwer mit der Andersartigkeit von Allochthonen in der Politik. Nicht nur in Den Haag, sondern im ganzen Land. Wenn sich Allochtone häufiger als die Autochthonen in der Partei anmelden, werden sie als Eindringlinge angesehen.«