Rehabilitation der nach dem G 8-Gipfel abgesetzten Polizisten

Allen geht es gut

Die nach dem G 8-Gipfel in Genua abgesetzten Polizisten sind wieder rehabilitiert, manche wurden sogar befördert.

Ein Erdbeben nie gesehenen Ausmaßes schien sich abzuzeichnen, als Ansoino Andreassi, die Nummer zwei der italienischen Polizei, Arnaldo La Barbera, der Chef der Antiterrorismuseinheiten, und Genuas Polizeipräsident Francesco Colucci, also einige der mächtigsten Männer der staatlichen Repressionsorgane, entlassen wurden. Aber vier Monate nach dem G 8-Gipfel in Genua, nach der unfassbaren Bilanz von einem Toten, 600 Verletzten und fast 300 Verhaftungen - von denen sich die meisten als rechtswidrig erwiesen haben - ist die Suche nach den Verantwortlichen schon wieder beendet. Die überführten Täter der Übergriffe vom 20. und 21. Juli durften entweder auf ihren Posten bleiben, wurden wieder eingesetzt oder sind mit neuen, prestigekräftigen Aufgaben betraut worden.

Die Berichte der Regierungskommission hatten die Verantwortung von Polizisten, Carabinieri, Finanz- und Strafvollzugsbeamten aufgezeigt. Die Polizei verzichtete als erste auf Strafen in ihren Reihen, die anderen Organe folgten ihr darin. Die Carabinieri leiteten vielmehr Disziplinarmaßnahmen gegen einen mutigen Gefreiten ein, der es wagte, die geltenden Richtlinien des Gebrauchs von Schusswaffen in Zweifel zu ziehen.

Die Finanz- und die Strafvollzugsbeamten verhielten sich, als hätte es den G8-Gipfel nie gegeben. Sie versuchen zudem, die Justizbehörden in Genua zu behindern, die dagegen im gewohnt devoten unerträglichen Ton protestierten.

So händigte etwa die für den Strafvollzug zuständige Behörde auf die Aufforderung, Fotos der in der Kaserne Bolzaneto anwesenden und allesamt vermummten Beamten zur Verfügung zu stellen, nur Kopien der Ausweise aus. In dieser Kaserne war es zu zahlreichen Übergriffen auf verhaftete Demonstranten gekommen. Die Kopien ermöglichten nicht einmal eine Unterscheidung von Männern und Frauen.

Dass die Aufmerksamkeit für die Untersuchung des G8-Gipfels nachgelassen hat, ist nicht zuletzt eine Folge des Kriegs in Afghanistan. Und so bleibt Francesco Collucci der Einzige, der ernsthafte Konsequenzen zu tragen hat. Andreassi und La Barbera, die zusammen mit Colucci entlassen wurden, sind rehabilitiert. Andreassi wurde kürzlich sogar zum stellvertretenden Direktor des Inlandsgeheimdienstes (Sisde) ernannt, La Barbera zur Nummer zwei des Cesis, der Koordinationsbehörde der zivilen und militärischen Geheimdienste.

Für Colucci hingegen gibt es keine Gnade. Schuld daran ist allerdings nicht seine katastrophale Einsatzleitung vor Ort, sondern sein Angriff auf den Chef der Polizei, Gianni de Gennaro, vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen von Genua. Colucci erklärte, seine Behörde sei von den aus Rom geschickten Beamten faktisch entmachtet worden.

Auch Vincenzo Canterini, der Chef der römischen Sondereinheit Celere, die für die Misshandlungen in den Schulen Diaz und Pertini verantwortlich gemacht wird, kam ohne ein Disziplinarverfahren davon. Mittlerweile ist er ein hoher Funktionär der Consap, einer rechts stehenden Polizeigewerkschaft. In dieser Eigenschaft hält er Vorträge in Polizeikasernen in ganz Italien, vor den Richtern scheint er keine Angst zu haben.

Ein anderer Fall ist Alessandro Perugini, ein ehemaliger stellvertretender Leiter der politischen Polizei (Digos) in Genua. Er wurde dabei gefilmt, wie er vermummt einen Minderjährigen aus Ostia zusammentrat, der bereits festgenommen worden war. Perugini wurde für kurze Zeit nach Rom versetzt und konnte nun mit einer neuen Aufgabe nach Genua zurückkehren. Für alle anderen 40 Polizisten, die für Übergriffe bei dem Sturm auf die Diaz-Schule verantwortlich gemacht werden, gilt das Prinzip, das bei der Polizei immer gilt: keine Suspendierung bis zum Gerichtsurteil.

Anders liefen die Dinge für die Präfekten Andreassi und La Barbera, die vom Innenminister Claudio Scajola aus »Opportunitätsgründen« am 3. August abgesetzt worden waren. Andreassi, ein so genannter Antiterrorismusexperte, der der Linken zugerechnet wird, hatte seine Arbeit schon vor dem G8-Gipfel erledigt, indem er die Zusammensetzung des Widerstands analysierte.

In Genua war Andreassi lediglich ein Supervisor ohne Zuständigkeit für die öffentliche Sicherheit. La Repubblica zufolge war seine Ablösung schon vor dem Gipfel eine beschlossene Sache. Am Abend des 21. Juli äußerte sich Andreassi nur zur Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in der Diaz-Schule, dann ging er und überließ La Barbera das Feld, dem einstigen Hardliner bei der Bekämpfung der Mafia.

La Barbera war der ranghöchste Beamte vor Ort. Seine Verantwortung steht in einem Zusammenhang mit dem römischen Einsatzkommando Celere. Die während des Sturms auf die Diaz- Schule verletzten Beamten gehören fast ausschließlich zu dieser Einheit (15 von 17), und es ist bezeichnend, dass die Celerini es ablehnen, sich der Justiz zu präsentieren.

Denn sie sind Immunität gewöhnt. Am 20. Oktober dieses Jahres verletzten Angehörige dieser Einheit einen Fan der Fußballmannschaft von L'Aquila in Lanciano schwer. Die Vorwürfe der örtlichen Polizei wurden abgeblockt, der Täter konnte bis heute nicht identifiziert werden. Vor der Großdemonstration gegen den Krieg in Afghanistan in Rom am 9. November legten sie noch einmal nach. Einige ihrer Mitglieder ließen über den Corriere delle Sera die Drohung verbreiten, in Rom werde man die »Zugabe« zu Genua erleben.

Als einzige Konsequenz der Ermittlungen blieb schließlich, dass der neue Polizeiknüppel, ein übler, zugespitzter Schlagstock, den die Polizei eigens für den Gipfel anfertigen ließ, künftig nicht mehr zum Einsatz kommt. Die Krise der Polizei lässt sich nicht mehr verbergen, und Andreassi hatte offensichtlich die Aufgabe, eine Art Damm gegen den sich in ihren Reihen ausbreitenden Rechtsextremismuns zu errichten.

Beunruhigender ist allerdings das Schweigen der Carabinieri. Sie dürften unbeschädigt aus der Untersuchung des Mordes an Carlo Giuliani hervorgehen. Der zuständige Staatsanwalt, Silvio Franz, ist dabei, die Schüsse auf Carlo Giuliani als Akt der Selbstverteidigung zu bewerten. Mario Placanica, der junge Carabiniere, der aus dem Jeep heraus schoss, ist offensichtlich nicht nur auf seinem Posten geblieben, sondern sogar befördert worden.

Die Carabinieri wurden niemals aufgefordert, sich zu ihrem Vorgehen während der Demonstrationen zu äußern, nicht zu ihren Attacken, die keinen Fluchtweg offen ließen, nicht zu den 15 abgegebenen Schüssen und nicht zu den Fallschirmjägern der Einheit Tuscania.

Der einzige wegen der Vorfälle von Genua bestrafte Carabiniere ist der Obergefreite Valerio Mattioli. Er wurde bereits dadurch bekannt, dass er die Öffentlichkeit über die Geheimakten informierte, die die Carabinieri über viele Italiener angelegt haben. Mattioli wurde mit einer zwölftägigen verschärften Ausgangssperre bestraft, weil er in einem Brief an Liberazione die Verfassungsmäßigkeit des Artikels 53 des Strafgesetzbuches angezweifelt hatte. Dieser erlaubt es den Ordnungskräften, in eine demonstrierende Menge zu schießen, allein mit dem Ziel, sie aufzulösen.

Das Schweigen der Carabinieri, die bisher jeden Versuch einer Gewerkschaftsgründung in ihren Reihen abgewehrt haben, vermischt sich mit dem Streit zwischen der Regierung und der Opposition über die Neubesetzung des Oberkommandos der Truppe. Einige rechte Generäle möchten mit der Gewohnheit brechen, einen General des Heeres mit diesem Amt zu betrauen, während das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis Ulivo still und heimlich versucht, seine Schützlinge unterzubringen. Dabei war es doch der Ulivo, der zu seiner Regierungszeit die Carabinieri in den Rang des vierten Truppenteils neben dem Heer, der Marine und der Luftwaffe erhoben hatte.

Der Artikel erschien zuerst in der linken italienischen Wochenzeitung Carta, Nr. 21/01. Übersetzung: Ambros Waibel