Geschlechtsspezifische Verfolgung

Frauen fliehen anders

Geschlechtsspezifische Verfolgung ist eine häufige Fluchtursache für Frauen. Wenn sie es nach Deutschland geschafft haben, stehen sie vor neuen Hürden.

Den Grünen gilt es derzeit noch als Kernanliegen, die SPD nahm es nach mühsamer Überzeugungsarbeit in den Entwurf des Zuwanderungsgesetzes auf und die Union sträubt sich hartnäckig dagegen. Es geht um die Anerkennung von geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund.

»Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen (...) seines Geschlechts bedroht ist.« So lautet Paragraf 60/1 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Zuwanderung. Damit würde die Unterdrückung von Frauen durch Männer einen eigenständigen Asylgrund darstellen, ganz gleich, ob sie sich auf staatlicher Ebene, etwa durch diskriminierende Gesetze, oder auf privater Ebene, in Vergewaltigungen, Beschneidungen oder Zwangsehen, ausdrückt. »Eine längst überfällige Annäherung an die europäische Norm«, betont Bernd Mesovic, der rechtspolitische Referent von Pro Asyl.

80 Prozent aller Flüchtlinge in der Welt sind Frauen. Allerdings kommen nur 20 Prozent aller offiziell gezählten, also sich über Staatsgrenzen bewegenden Flüchtlinge bis nach Europa. Der weit überwiegende Teil verbleibt in seiner Herkunftsregion in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Gerade Frauen haben wegen struktureller Benachteiligungen erst gar nicht die Möglichkeit, sich für den Weg nach Europa zu entscheiden. Der Versuch, dem politischen oder sexuellen Terror zu entkommen, scheitert oft schon daran, dass sie weder Geld und Papiere noch die Möglichkeiten zu einer organisierten Flucht besitzen. Denn ihre Mobilität ist häufig durch Kinder extrem eingeschränkt, und die meisten kommen nicht sehr weit. »So zählen die wenigen, die tatsächlich in Europa ankommen, zu den (...) besonders willensstarken Frauen«, resümiert Elisabeth Rohr in der Zeitschrift für Migration und soziale Arbeit.

Einen starken Willen brauchen die Frauen auch noch, wenn die Einreise in ein Land wie die Bundesrepublik gelungen ist. Der politische Wille, den Flüchtlingsfrauen zu helfen und geschlechtsspezifische Verfolgung anzuerkennen, ist gering. Diese Tatsache wurde in den politischen Debatten häufig mit unbeholfenen kulturalistischen Erklärungen kaschiert. »Ehre und Schande sind zentrale Kategorien. Die zentrale Bedeutung, die die Frau in der afghanischen Kultur - auch bei den Taliban - einnimmt, muss man erst einmal verstehen«, sagte beispielsweise ein Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU noch 1998 über die Situation der Frauen in Afghanistan. Mit einer solchen Argumentations ist es nicht schwer, eine große Flüchtlingsgruppe vom Recht auf einen gesicherten Aufenthalt auszuschließen.

Im Asylverfahren haben weibliche Flüchtlinge zum einen mit den gleichen bürokratischen Hindernissen und mit demselben Generalverdacht des Asylmissbrauchs zu kämpfen wie männliche. Zum anderen können geschlechtsspezifische Demütigungen hinzukommen. »Warum glauben Sie, dass man ausgerechnet Sie vergewaltigt haben soll?« Solche Fragen sind bei Anhörungen keine Einzelfälle, wie der Pro-Asyl-Reader »Verfolgte Frauen schützen!« dokumentiert. Offiziell haben die Antragstellerinnen zwar das Recht auf ein Einzelgespräch mit einer Beamtin. Aber abgesehen davon, dass Frauen häufig auf dieses Recht nicht hingewiesen werden, mangelt es in den Behörden meist auch an weiblichem Personal. Ein geregeltes Verfahren wird deshalb entweder unmöglich oder es gerät zu einer Massenabfertigung. Pro Asyl geht davon aus, dass jede der zuständigen Beamtinnen in Deutschland 44 Fälle pro Monat zu bearbeiten hat. Da heißt es, die Zeit gut einzuteilen und schnell zu entscheiden.

Verhalten sich die Antragsstellerinnen anders, als es von ihnen erwartet wird, zum Beispiel selbstbewusster und offensiver, kann das zu ihrem Nachteil ausgelegt werden. »Der Antragstellerin machte es nichts aus (...), einem männlichen Anhörer die Vergewaltigung zu schildern. Dies spricht nicht gerade für ihre Glaubwürdigkeit. Im Übrigen ließen die Vergewaltigungen konkrete Einzelheiten vermissen«, schrieb ein Angestellter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über eine Frau aus Zaire.

Haben sie ihre Fluchtmotive doch darstellen können, stehen die Frauen erst vor der eigentlichen Hürde auf dem Weg zu einem Status, der Sicherheit bietet. Da weder in der deutschen Asylgesetzgebung noch in der Genfer Flüchtlingskonvention die geschlechtspezifische Verfolgung erwähnt wird, besteht bislang kein Anlass, betroffenen Frauen Asyl zu gewähren. Geschlechtsspezifische Verfolgung allein reicht bestenfalls für eine Duldung. Damit verbunden sind nicht nur weniger Sozialleistungen und eine radikale Einschränkung der individuellen Bewegungsmöglichkeiten. Vor allem birgt der Status der Duldung eine extreme Unsicherheit, weshalb viele der weiblichen Flüchtlinge unter der psychischen Belastung leiden.

Die für einen gesicherten Aufenthaltsstatus notwendigen Kriterien - zielstrebige staatliche Verfolgung - können nur in den seltensten Fälle belegt werden. In den Verfolgerländern finden Steinigungen, Vergewaltigungen und Demütigungen oft mit dem Wissen des herrschenden Regimes, wenn nicht gar unter seiner Aufsicht statt. Dennoch wird die staatliche Verantwortung für Verfolgung, wie Pro Asyl seit Jahren anprangert, sogar dann noch geleugnet, wenn die ausführenden Organe des Staates wie Soldaten, Beamte oder Polizisten die Menschenrechtsverletzungen begehen.

So war es in Afghanistan an der Tagesordnung, Frauen von jeglicher Bildungs- und Erwerbsmöglichkeit auszuschließen, sie durch die Burka unsichtbar zu machen und sie bei geringster Zuwiderhandlung körperlich zu misshandeln oder sie zu töten. Das alles war noch lange kein Grund für einen Flüchtlingsstatus in Deutschland - bis vor wenigen Monaten zumindest. »Die Unterdrückung der Frauen durch die Taliban ist nicht geeignet, die Abschiebungshindernisse (...) zu begründen (...), da es sich hierbei nicht um eine gegen eine einzelne Person gerichtete Maßnahme handelt«, lautete die klassische Begründung der deutschen Behörden zur Ablehnung der Asylanträge von Afghaninnen.

Das änderte sich vor vier Monaten, als nach einem zehnjährigen Kampf diverser FlüchtlingsvertreterInnen die Taliban als quasi staatliches Regime eingeordnet wurden. Die Anerkennungsquote der Anträge von AfghanInnen stieg prompt von 0,9 Prozent auf 60 Prozent. Dieser »kurze Sommer des Asyls« war aber ironischerweise mit dem Beginn des Krieges schon wieder vorbei. Denn in Kriegssituationen gibt es offiziell keine zielstrebige Verfolgung, geschweige denn eine staatliche. Das hat fatale Konsequenzen für afghanische Frauen, die weiterhin von Fundamentalisten bedroht werden.

Weil die von der CDU regierten Länder im Innenausschuss des Bundesrats einen Antrag eingebracht haben, der ein entsprechendes Gesetz nicht vorsieht, ist die Anerkennung der geschlechtsspezifischen Verfolgung als Asylgrund wieder in Gefahr geraten. »Eine ziemliche Wackelpartie«, vermutet Bernd Mesovic von Pro Asyl.