Kein »Literarisches Quartett« mehr

Niemals langweilig

Als wir Kinder waren, haben wir uns alle immer über das Kasperletheater gefreut. Da gab es neben dem Kasper auch stets den Seppl und die Gretel. Im Kasperletheater war es meist vollkommen wurscht, was gesprochen wurde, solange tüchtig was los war und die Fetzen flogen, nachdem der Vorhang sich gehoben hatte. Unausgesprochenes Gesetz war, dass möglichst viel Radau sein musste.

Und am Ende war man guter Dinge, weil der Kasper dem Bösewicht mit der Papierkeule eins übergebraten hatte. Genau so war es auch im »Literarischen Quartett«, einer Sendereihe im ZDF, in der es dem Namen nach um Literatur gehen sollte und in der es meist die Gretel war, die die Keule abbekam. Die Protagonisten hießen dort natürlich nicht Kasper, Seppl und Gretel, sondern Reich-Ranicki, Karasek und Löffler (bzw. Radisch), und sie hatten leider auch keine lustigen Hüte oder Mützen auf, aber daran gewöhnte man sich rasch.

Die Hauptsache war, dass nun endlich auch über Literatur so gesprochen werden konnte wie über Tütensuppen und Duschvorhänge: »Der Roman, was taugt'n der?« Und dann wurde drauflosgeredet, bis einem der Atem ausging. Der aber ging einem nie aus. Die Regeln des »Quartetts« gingen so: Wer den Mund am weitesten aufreißt und am lautesten und schamlosesten Gemeinplätze vorträgt, hat gewonnen.

Natürlich ist man im »Literarischen Quartett« mit Literatur, die diese Bezeichnung verdient, ungefähr so umgegangen, wie ein paar Kampfhunde mit einem flauschigen kleinen Kätzchen umgehen würden. Aber vielleicht sollte man künftig über Schriftsteller und ihre Bücher nur noch so sprechen, wie es uns von Reich-Ranicki & Co. vorgeführt worden ist.

Denn bisweilen hat man dort Letztgültiges gesagt über Figuren, die irrigerweise bis heute für große Künstler gehalten werden. Heinrich Bölls Romane etwa wurden zu Recht verglichen mit »fast jedem Arztroman, der am Kiosk verkauft wird«, Martin Walser galt als der »Repräsentant des Wortschwalls«, und Botho Strauß wurde enttarnt als »verschwiemelter Mystagoge«, der fortlaufend »unheimlich Gestelztes, Geschwollenes« hervorbringt. Und Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, was taugt'n der? »Unselds Genialität besteht darin, dass er schlechte Bücher dem Volk einredet.«

Ein Grundsatz bei der Beurteilung von Literatur, den Reich-Ranicki stets hoch hielt, lautete, dass Bücher nicht langweilig sein dürfen. Und damit hatte er Recht. »Ich habe mich sehr gelangweilt bei dem Handke«, sagte er beispielsweise. »Ich langweile mich zu Tode«, so kommentierte er einen Roman von Martin Walser.

Das »Literarische Quartett« gibt es nicht mehr. Das ist sehr bedauerlich. Nie mehr werden wir dabei zusehen können, wie der zappelnde Marcel Reich-Ranicki zornig seine Fäuste in die Luft wirft, während neben ihm die beleidigt dreinschauende Sigrid Löffler die Lippen zusammenpresst und der betäubte Hellmuth Karasek seine Zeigefinger von innen nach außen schwenkt.

Dabei haben wir immer eine solche Gaudi gehabt, wenn die Hampelmänner ungehemmt Faxen gemacht haben. Zwar hießen sie nicht Kasper, Seppl und Gretel, aber das war wurscht. Hauptsache, es war laut und bunt und hat geknallt.