Die antifaschistische Zeitschrift 'Phase 2'

Richtiges lesen im Falschen

Die Zeitschrift Phase 2 war als Grundstein für eine neue Organisierung der Antifa geplant. Sie ist jedoch ihr Abgesang.
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Es gilt Abbitte zu leisten. Jahrelang haben Kritikerinnen und Kritiker der bundesweiten Antifa-Organisation AA/BO deren Theorielosigkeit, deren Populismus, deren inhaltliche Beliebigkeit gegeißelt. War ja auch richtig so. Aber das haben wir nicht gewollt. Hätten wir bloß den Mund gehalten! Wir haben uns geirrt, wie ehedem schon der alte Johannes. Das Johannes-Evangelium beginnt mit der Behauptung, am Anfang sei das Wort. Und irgendwie haben wir uns das in unseren protestantisch-linken Köpfen auch so gedacht. Aber das ist falsch! Richtig ist: Am Ende bleibt das Wort. Nur noch das Wort.

Nach der Auflösung der AA/BO zu Ostern dieses Jahres, planten deren Macherinnen und Macher, schon bald eine neue bundesweite Organisation aus der Taufe zu heben. In der ersten Reihe standen die Göttinger Autonome Antifa (M), die Antifa Bonn/Rhein-Sieg und das Leipziger Bündnis gegen Rechts, bereit, das Kommando zu übernehmen. Gleichzeitig entschloss man sich, eine neue Zeitschrift ins Leben zu rufen: die Phase 2, deren zweite Ausgabe inzwischen erschienen ist. Das Blatt soll sozusagen das Begleitheft oder die Gebrauchsanleitung des neuen Antifa-Projekts sein.

Jedoch: Von dem neuen Organisationsansatz ist nichts übrig geblieben. Gar nichts. Die Treffen nach dem Göttinger Antifa-Kongress blieben folgenlos. Beleidigt darüber, was auf dem Kongress geschah, wurschtelt die Berliner AAB alleine herum und hat offenbar das Interesse an bundesweiten Strukturen verloren, ebenso wie die vielen kleinen Antifa-Gruppen aus anderen Städten. Was geblieben ist, ist die Phase 2.

Es wäre nicht das erste Mal, dass nach dem Ende einer Bewegung oder einer Organisation eine Zeitschrift oder eine Zeitung übrig bleibt. So kann man heute noch, lange nach dem Scheitern des Kommunistischen Bundes, den Arbeiterkampf lesen, der inzwischen Analyse & Kritik heißt. Ein Organ ohne Körper. Der Phase 2 dürfte es bald schon ähnlich ergehen. Bestenfalls.

In der zweiten Nummer klagt eine »Organisierungs-AG, Göttingen«, die Ursachen für das Scheitern der AA/BO seien ihre Praxisorientierung sowie ihre Theorie- und damit Strategielosigkeit gewesen. Mit dem Zeitungsprojekt will man dem offenbar abhelfen. Doch was nützen die schönsten Debattenbeiträge, was nützt die schönste Theorie, wenn es keine dazugehörige Praxis mehr gibt? Die Antifa-Bewegung entstand nicht auf der Grundlage einer umfassenden Gesellschaftsanalyse. Am Anfang war, sorry Johannes, die Tat. Und ohne sie ist jedes Wort überflüssig. Genauso wie Praxis ohne Theorie keinen Sinn hat, ist auch Theorie ohne Praxis nutzlos.

Nun ist allein die Absicht, eine Zeitung herauszugeben, auch noch keine Theorie. Dabei ist Phase 2 kein journalistisches Projekt, sondern eine Plattform für eine inhaltliche Verständigung der Antifa-Linken. Ein wenig altmodisch, aber für die früher zuweilen doch orthodox ausgerichtete AA/BO durchaus fortschrittlich, hat man die Rubriken in die praktischen Schubladen der Triple Oppression gepackt: »Rassismus«, »Sexismus«, »Kapitalismus«. Dazu kommen die Rubriken »Organisierung« und »Globalisierung«. Das Heft ist sehr schön gestaltet. Kein Wunder. Am Layout hat es der AA/BO nie gemangelt. Hier lagen eindeutig ihre Stärken. Wobei das fehlerhafte Inhaltsverzeichnis des Blattes auch schon - geradezu symptomatisch - auf die Schwächen hinweist.

Denn inhaltlich bietet Phase 2 nicht viel Neues. So ist die Kritik an der Globalisierungsbewegung (verkürzte Kapitalismuskritik/Reformismus), auf die man sich dennoch gerne beziehen möchte, nicht wirklich neu. Auch die Tatsache, dass Antirassismus und Antifaschismus zusammengehören, ist schon seit Jahren bekannt. Und dass man beim Thema Sexismus und in der so genannten Vergewaltigungsdebatte »vermintes Gelände« betritt, und dass das alles nicht so einfach ist, wissen viele Linke inzwischen auch sehr gut. Dennoch wäre es ungerecht, die Zeitschrift als »Phrase 2« abzutun.

Neu sind zwar nicht die klassischen linken Themen, die dort debattiert werden, aber neu ist, dass sie inzwischen als Gegenstand der Antifa-Politik angesehen und in ihrem Zusammenhang diskutiert werden. So gesehen, ist es ein Gewinn für die ehemalige AA/BO-Linke, dass sich das traditionell-autonome Bündnis gegen Rechts aus Leipzig an dem Projekt beteiligt und ein emanzipatives Korrektiv der klassenkämpferischen Bonner und Göttinger Antifas darstellt. Dass deshalb auch gleich eine vernünftige Strategie für die gescheiterte Antifa-Bewegung zustande kommt, darf jedoch bezweifelt werden.

Und so stehen denn in der Zeitschrift die unterschiedlichen Politikansätze bisher unvermittelt nebeneinander. Die Diskussion muss im Kopf der LeserInnen stattfinden. Das Projekt reduziert sich damit tatsächlich auf die Funktion der Plattform.

Zwei Beiträge verdienen es jedoch, näher betrachtet zu werden. Zum einen ist da der schon erwähnte Artikel der »Organisierungs-AG, Göttingen«. Darin wird konstatiert, man stehe auf der einen Seite »vor den Trümmern der Antifa-Bewegung«, auf der anderen sehe man die erfolgreiche, »sich davon unabhängig entwickelnde Antiglobalisierungsbewegung«. Nun wird ein Szenario entwickelt, in dem die regional wirkenden Antifa-Gruppen als lokale Verankerung der global wirkenden Antiglobalisierungsbewegung fungieren könnten. Die Autoren führen den Erfolg der Antiglobalisierer gerade auf deren überregionale Vernetzung zurück und halten der Antifa ihre Fixierung auf die lokale Politik als Hauptgrund ihres Scheiterns vor.

Dass dieses Scheitern auch ganz andere Gründe haben könnte, erklärt zu Recht nur eine Seite weiter eine Gruppe, die sich »AG Hooligans & Philosophen, Berlin« nennt. Der Beitrag resümiert, dass das Konzept des »revolutionären Antifaschismus« von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen sei, weil Antifaschismus nun mal nicht revolutionär sei, sondern nur die faschistischen Auswüchse der bestehenden Gesellschaft kritisiere und bekämpfe. Auch dies ist höchstens für Anhänger eben jenes revolutionären Antifaschismus etwas Neues. Alle anderen haben sich genau aus diesem Grund nicht vornehmlich als »Antifas« verstanden. Der Kampf gegen Nazis kann, wie spätestens der kurze Antifa-Sommer des vergangenen Jahres gezeigt hat, durchaus auch systemstabilisierend sein.

Dennoch stimmt die Analyse der »Hooligans und Philosophen« aus Berlin nicht. Denn Antifaschismus ist zwar nicht an sich revolutionär, aber auch nicht per se systemimmanent. Der Antifaschismus der AA/BO war nur deshalb nicht revolutionär, weil man als revolutionär ausschließlich den Antikapitalismus ausgemacht, gleichzeitig aber nicht die geringste antikapitalistische Praxis entwickelt hatte - wenn man von der peinlichen Teilnahme an den Liebknecht-Luxemburg-Umzügen der orthodoxen Steinzeitkommunisten absieht. Im Gegenteil: Die AA/BO-Szene war es, die teure Modelabels wie Nike, New Balance und Carhartt für Linksradikale akzeptabel machte und sich mit der Floskel entschuldigte, es gebe halt kein richtiges Leben im falschen.

Die Berliner Autoren behaupten schließlich, dass auch »Rassismus, Sexismus, Armut und Gewalt« nur Fehler des Systems seien, die es auch selbst einräume, dass ihre Bekämpfung daher nicht systemüberwindend sei. Eine fatale Analyse! Erstens lässt sie überhaupt keine politische Handlungsmöglichkeit mehr zu und ist also im Grunde antipolitisch. Und zweitens sind Rassismus, Sexismus und Armut (also Kapitalismus) die wichtigsten Säulen der herrschenden Gesellschaftsordnung, sie sind für das System konstitutiv. Wer nicht bereit ist, an diesen Säulen zu sägen, wird das Haus nie zum Einsturz bringen.

Am deprimierendsten ist jedoch der letzte Satz des Editorials der zweiten Ausgabe der Phase 2: »Die Redaktion wünscht euch, was man sich in diesen kalten Zeiten so wünscht.« Eine neue Bewegung? Einen revolutionären Aufbruch? Dass die Leute endlich mal wieder den Arsch hoch kriegen? Nein, falsch. Phase 2 wünscht: »Viel Spaß beim Lesen!« Na denn.

Phase 2, c/o Linxxnet, Bornaische Str. 3d, 04277 Leipzig; www.phase-zwei.org