IG Metall streitet über Lohnforderungen

Streik mal wieder!

Die Forderungen der IG Metall nach kräftigen Lohnerhöhungen sind auf Kritik gestoßen. Doch die Basis will mehr Geld, und eine Studie beweist, dass es den Arbeitsplätzen nicht schadet.

Es gehört zum traditionellen Geklapper vor Tarifrunden, dass gewerkschaftliche Forderungen als ein Konjunkturrisiko dargestellt werden. Dass der Präsident der Arbeitgebervereinigung Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, die IG Metall »von allen guten Geistern verlassen« sieht, war zu erwarten. Fünf bis sieben Prozent mehr Lohn wollen die Gewerkschafter erstreiten. Doch Kannegiesser dürfte wissen, dass eine Forderung noch längst kein Abschluss ist. Vor zwei Jahren hat die IG Metall eine Lohnerhöhung um 5,5 Prozent gefordert und am Ende ohne einen einzigen Warnstreik drei Prozent für das Jahr 2000 und 2,1 Prozent für 2001 akzeptiert. Noch in diesem Herbst lobte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, nachträglich das Bündnis für Arbeit, das auf diese Abschlüsse unterhalb der Produktivitätssteigerung gedrängt hatte.

Hat jetzt eine Trendwende bei den Gewerkschaften stattgefunden, wenn nicht nur der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel, sondern auch die stellvertretende Vorsitzende von Verdi, Margret Mönig-Raane, verkünden, man werde sich dieses Mal »nicht in ein Korsett volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen zwingen lassen«? Kommt nun das Ende der Bescheidenheit, auf das die Gewerkschaftsmitglieder schon so lange warten und worauf sie immer heftiger, mit Forderungen nach Lohnerhöhungen bis zehn Prozent, pochen? Möglich wären solche Erhöhungen, denn die Nettogewinne der Metall- und Elektroindustrie stiegen seit 1993 um das fünfzigfache, und der Lohnanteil ging drastisch zurück.

Auch ihre Haltung zur Bundesregierung scheinen die Gewerkschaften zu überdenken. Sie verhielten sich seit dem Sieg Gerhard Schröders bei der Bundestagswahl überaus ruhig. Trotz einer repressiven Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die unter einer CDU-Regierung viele auf die Straße getrieben hätte. Nun erklärt Zwickel, die IG Metall sei nicht der »Katalysator der Regierungspolitik«. Diese Worte sollen wohl doch nur die eigene Basis besänftigen. Der Unmut über Rekordgewinne der Unternehmen bei gleichzeitigen Entlassungen oder über die von den Gewerkschaften unterstützte Rentenreform, die sich nun als Rentenklau erweist, ist groß.

Die jetzigen Forderungen in der Tarifrunde sind auch einer Spaltung unter den Funktionären geschuldet, die immer offener zutage tritt. Einige im Vorstand der IG Metall, aber auch bei Verdi fordern nicht nur eine stärkere Rücksichtnahme auf die Stimmung der Belegschaften, sondern haben gegen die deutsche Beteiligung am Krieg protestiert und sind verärgert über Schröder. Er sagte, die Gewerkschaften sollten sich um ihre Angelegenheiten kümmern, sie verstünden nichts von Außenpolitik.

Meinungsverschiedenheiten über die Wirtschaftspolitik waren bisher weniger zu erkennen. Noch im Oktober wurde nach einem Treffen der Gewerkschaftsführungen mit Schröder vereinbart, in Zukunft kurzfristige Tarifverträge und differenzierte Abschlüsse zu akzeptieren. Kurzfristige Tarifverträge wären im Interesse der Regierung; man könnte sich vor der Bundestagswahl für höhere Löhne einsetzen, damit für gute Stimmung sorgen und danach zum Maßhalten drängen.

Die Koppelung der Einkommen an die wirtschaftliche Lage der Betriebe, also der faktische Ausstieg aus den Flächentarifverträgen, ist hingegen ganz im Interesse der Arbeitgeber. Dazu wird es wegen des Protestes der Gewerkschaftsbasis nun zunächst nicht kommen, aber Zwickel hat diese »Modernisierung der Tarifpolitik« bereits als nur verschoben bezeichnet.

Verschoben ist auch die nächste Sitzung des Bündnisses für Arbeit, weil die IG Metall sich die Einmischung in ihre Tarifpolitik verbietet. (Jungle World, 51/01) Das hat sie auch in der letzten Tarifrunde getan, allerdings ohne Erfolg. Trotz der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und unzähliger »Standortsicherungsvereinbarungen«, trotz milliardenschwerer Entlastungen allein durch die Steuerreform, gibt es in der Metallbranche eine halbe Million Arbeitsplätze weniger als 1993, aber immer mehr Überstunden.

Die Mehrheit der Funktionäre und der Gewerkschaftsbasis glaubt trotzdem immer noch daran, durch den Verzicht auf spürbare Lohnerhöhungen Überstunden abzubauen und Arbeitsplätze erhalten oder gar schaffen zu können. Aber nicht nur die Alltagserfahrung der Beschäftigten, sondern nun auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsordnung (DIW) belegen das Gegenteil. Die Studie zeigt am Beispiel Frankreichs, dass Lohnerhöhungen die Investitionstätigkeit und den privaten Verbrauch anregen. Die französische Wirtschaft ist trotz höherer Lohnsteigerungen zwischen 1997 und 2001 um 12,6 Prozent gewachsen, die deutsche nur um 7,7. Die Zahl der Erwerbstätigen habe fast doppelt so stark zugenommen wie in Deutschland, die Arbeitslosenquote wurde um das Doppelte gesenkt.

Doch der Glaube an den schon irgendwann einkehrenden Erfolg der so genannten wettbewerbsorientierten Tarifpolitik ist hierzulande nicht totzukriegen. Dieser Glaube hat die Gewerkschaften in das Bündnis für Arbeitskostensenkung mit der Verpflichtung zum Wettbewerbskorporatismus geführt. Es ist eine Politik der gezielten Einbindung der Gewerkschaften in eine einvernehmliche, sozialpartnerschaftliche Wirtschafts- und Tarifpolitik zugunsten der nationalen Standortsicherung durch Lohnstückkostensenkung.

Diese Politik ist unsolidarisch und unterläuft alle Absprachen der europäischen Tarifkoordination. Die deutschen Gewerkschaften sind in den vergangenen Jahren ihren KollegInnen in Europa in den Rücken gefallen und haben ein Lohndumping betrieben. Und auch national betrachtet, erfüllt dieses Vorgehen immer weniger die Aufgabe der Gewerkschaft, den Wettbewerb der Lohnabhängigen untereinander zu begrenzen.

Von den Gewerkschaftslinken wird diese Politik schon lange kritisiert. Nun wies auch der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, Forderungen nach Lohnzurückhaltung zur Schaffung von Arbeitsplätzen zurück: »Schluß mit der Debatte, Lohnverzicht schaffe Arbeitsplätze!« Aber auch in den Jahren 1999 und 2000 wurden in den Bündnisvereinbarungen Lohnleitlinien festgelegt und eingehalten, obwohl zuvor noch die Einbindung der Tarifpolitik in Bündnisgespräche zurückgewiesen wurde.

Also doch nur die üblichen Schaukämpfe? Das hängt von den kämpferisch eingestellten Teilen der Gewerkschaften ab und von ihrer Fähigkeit, in dieser Tarifrunde wirklichen Druck für höhere Löhne und Gehälter zu entfalten und eine Tarifrunde in den Medien zu vermeiden. Daran arbeiten auch die Vernetzungsinitiative der Gewerkschaftslinken und das LabourNet Germany. Beide unterstützen die Initiative unter dem Motto: »Raus aus dem Bündnis für Arbeit!«