Gipfeltreffen der EU in Belgien

Wer wird Europäer?

In der EU-Kommission schwindet die Bereitschaft, den Beitrittskandidaten die nötige finanzielle Hilfe zukommen zu lassen.

Die Arbeitsteilung ist klar. Dabei sein dürfen sie zwar, doch zu sagen haben werden sie nichts. Im Brüsseler Bürokratenjargon liest sich das freilich anders. »Die Bewerberländer werden umfassend an den Beratungen des Konvents beteiligt«, heißt es in der so genannten Erklärung von Laeken.

Das am Wochenende auf dem EU-Gipfel in Belgien verabschiedete Dokument sieht die Entsendung von je zwei Mitgliedern der nationalen Parlamente und eines Regierungsvertreters der zehn Kandidaten für die EU-Erweiterung in den neu geschaffenen Reformkonvent vor. Unter dem Vorsitz des früheren französischen Präsidenten Valery Giscard d'Estaing soll das in Brüssel vereinbarte Gremium bis 2004 eine gemeinsame europäische Verfassung erarbeiten. Nur so könne die Handlungsfähigkeit der Union auch dann noch garantiert werden, wenn sie nach 2004 auf 25 und mehr Mitglieder anwächst.

Bis dahin müsste auch die erste Runde der OstErweiterung der Europäischen Union beendet sein. Abgesehen von Zypern und Malta, streiten sich die acht osteuropäischen Kandidaten Ungarn, Tschechien, Polen, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen weiter um die besten Ausgangspositionen. Ihre Mitgliedschaft im Verfassungskonvent dürfte ihnen dabei allerdings wenig nützen - unabhängig davon, dass die Beitrittseuphorie östlich der Oder groß ist.

»Die große nationale Debatte über die Integration Polens in die EU muss sich in eine Debatte über die Union selbst verwandeln, über ihre Zukunft, ihre politische und institutionelle Gestalt, ihre Rolle in der Welt«, forderte der polnische Außenminister Wolodzimierz Cimoszewicz noch im November. Doch die Hoffnung auf gleichberechtigte Mitbestimmung in einem der größten Wirtschaftsblöcke der Welt wird wohl ein Traum bleiben. So wies der für die Außenbeziehungen der EU zuständige Kommissar Chris Patten allzu hohe Erwartungen der Beitrittskandidaten am Wochenende in Belgien höflich, aber bestimmt zurück. »Ich ziehe meinen Hut vor denen, die eine neue Architektur für Europa erfinden. Mir persönlich kommt es viel mehr darauf an, dass die Dinge heute funktionieren. Das wichtigste ist meiner Meinung nach nicht die Architektur, sondern der politische Wille.«

Zumindest was die finanzielle Ausstattung der Beitrittskandidaten angeht, schwindet dieser Wille in Brüssel von Tag zu Tag. Nach dem Mitte November veröffentlichten jährlichen Fortschrittsbericht des EU-Erweiterungskommissars Günter Verheugen sollen die anfangs für die erste Erweiterungsrunde vorgesehenen Balkanstaaten Bulgarien und Rumänien 2004 nicht mehr dabei sein. Zudem wartete die EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer in der letzten Woche mit weiteren Neuigkeiten auf: Die neuen Mitgliedsstaaten könnten nun nicht mehr mit den für 2004 vorgesehenen Finanzhilfen der EU in Höhe von elf Milliarden Euro rechnen. Schließlich habe es sich bei dieser 1999 in Berlin in der »Agenda 2000« vereinbarten Summe nur um eine Obergrenze gehandelt.

Dass die Beitrittskandidaten schon ausgegrenzt werden, bevor sie überhaupt in die Union aufgenommen werden, bestätigte sich auch bei der Verabschiedung des EU-Haushalts für das kommende Jahr. Erst nach intensivem Drängen der Europa-Parlamentarier räumte die Kommission in der vergangenen Woche ein, die Grenzregionen zwischen den alten und den künftigen Mitgliedsstaaten 2002 mit zusätzlichen 50 Millionen Euro zu fördern. Doch das sind Peanuts, wenn man die anderen Zahlen sieht. Von den insgesamt 98 Milliarden Euro stehen allein für Agrarsubventionen und die ländliche Entwicklung 44 Milliarden zur Verfügung.

Zahlen, die Bundesfinanzminister Hans Eichel in der letzten Woche präsentierte, belegen, dass ab 2004 kein Spielraum mehr vorhanden sein wird für die von allen beitrittswilligen Ländern geforderte Fortführung der direkten Finanzhilfen für ihre Landwirte. Diese Direkthilfen machen zurzeit ein Drittel des Gemeinschaftshaushalts aus.

Dabei braucht wohl kaum ein anderer Bereich mehr Unterstützung als der marode osteuropäische Agrarsektor. Nach einer Studie des französischen Agrarforschungsinstituts Inra müssten allein in den beitrittswilligen Ländern vier Millionen Bauern ihren Job aufgeben, damit die dortige Landwirtschaft nur die Hälfte der Produktivität der EU-Agrarwirtschaft erreichte. Trotz der eindeutigen Botschaft aus der EU-Kommission besteht Polen weiter auf sofortigen Direktzahlungen für die rund zwei Millionen Bauern und auf gleichberechtigtem Zugang zu den Mitteln der Agrarpolitik.

Andrzej Olechowski, der liberal-konservative Oppositionsführer im polnischen Parlament, suchte die Befürchtungen der meisten westeuropäischen Staaten, das Agrarland könnte den EU-Markt mit seinen Produkten überschwemmen, zurückzuweisen: »Die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion gelangt noch nicht einmal auf den polnischen Markt, sondern wird gleich von den Erzeugern verbraucht«, sagte er Anfang des Monats. Vielmehr sei es angesichts der Ineffizienz des Agrarsektors dringend nötig, die Zahl der Höfe von heute zwei Millionen auf 600 000 zu verringern.

Auf nichts anderes drängt die EU, auch wenn sie andere Strategien für den Kahlschlag favorisiert. Während Warschau weltmarktfähige Agrarbetriebe durch einen Konzentrationsprozess innerhalb Polens hervorbringen will, setzt man in Berlin oder Paris eher auf die Verdrängung der kleinbäuerlichen Strukturen durch kapitalstarke Großbetriebe aus Westeuropa.

Im Gegensatz zur EU versucht die Regierung in Warschau außerdem, seiner bäuerlichen Klientel durch Übergangsfristen beim Erwerb von Land zumindest einen gewissen Schutz zu bieten. Doch von der Forderung des früheren Ministerpräsidenten Jerzy Buzek, der bis zu seiner Abwahl im September auf einer Frist von 18 Jahren beharrte, ist kaum etwas übrig geblieben. So verzichtete sein Nachfolger an der Spitze der polnischen Regierung, der Sozialdemokrat Leszek Miller, auf die alte Forderung und tritt jetzt dafür ein, ausländischen Neubauern schon nach dreijähriger Pacht die bearbeiteten Grundstücke zum Kauf zu überlassen.

Die polnischen Bauern wird aber auch diese Demutsgeste Millers nicht retten. Schon in seinem Jahresbericht hatte Erweiterungskommissar Verheugen dem einstigen osteuropäischen Musterland im vergangenen Monat attestiert, hinter die anderen Beitrittskandidaten zurückgefallen zu sein. Sogar Litauen und die Slowakei, die erst seit zwei Jahren mit der EU über einen Beitritt verhandeln, stehen nun vor Polen.

Vor dem europäischen Verfassungskonvent allerdings sind dann wieder alle Bewerberländer gleich. »Sie werden in gleicher Weise wie die Mitgliedsstaaten vertreten sein«, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU am Wochenende in Laeken. Auch an den Beratungen könnten sie teilnehmen, »ohne freilich einen Konsens, der sich zwischen den Mitgliedsstaaten abzeichnet, verhindern zu können«.