Ende der Antragsfrist für NS-Zwangsarbeiter

Eine finale Beleidigung

Am 31. Dezember 2001 ist die Frist abgelaufen, in der ehemalige NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter einen Antrag auf Entschädigung stellen konnten. Nachdem über Jahrzehnte kategorisch bestritten worden war, dass sie überhaupt ein Recht auf Entschädigung haben, sollte dann alles schnell gehen. Ein halbes Jahr wurde den Menschen von Feuerland bis Sibirien eingeräumt, ihre Ansprüche anzumelden. Ungefähr die vierfache Zeit hatten die einschlägigen Experten gebraucht, um festzulegen, wer überhaupt ein Antragsrecht habe. Diejenigen, die auf deutschen Bauernhöfen mit Zwangsarbeit die »schönste Zeit ihres Lebens« verbracht hatten, wie es Lutz Niethammer formulierte, ein Berater der Bundesregierung, sollten es zum Beispiel nicht sein. Zu Zwangsarbeit verpflichtete sowjetische oder italienische Kriegsgefangene, die man der »Vernichtung durch Arbeit« ausgesetzt hatte oder nach dem Sturz Mussolinis als »Verräter« und »Feiglinge« durch Lebensmittelentzug hatte sterben lassen, ebenfalls nicht.

Es gibt Gründe für dieses Verfahren. So ist eine finanzielle Nachschusspflicht für den Fall, dass mehr Antragsteller als veranschlagt das ihnen formell zugestandene Geld beanspruchen, im Gesetz explizit ausgeschlossen worden. Deshalb wird es zwei Raten geben: eine Vorabzahlung und eine Restzahlung, die sich nicht an der Höhe des Anspruchs, sondern danach bemisst, wie viel Geld noch zur Verfügung steht. Eine schnelle Ermittlung der Gesamtzahl der berechtigten Antragsteller ist deshalb eine Voraussetzung für die Auszahlung der zweiten Rate.

Das Verfahren ist eindeutig, die auf 1,5 Millionen Personen geschätzten Anspruchsberechtigten haben keine garantierten Rechte. Erste Auswirkungen zeigen sich schon jetzt. So beklagte Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, dass Sinti und Roma nach dem Aufteilungsschlüssel lediglich 7 500 Mark als erste Rate erhalten, während an andere Opfergruppen 10 000 Mark ausgezahlt wird. Um dieses Geld überhaupt zu bekommen, müssen sie zugleich auf jeglichen Rechtsanspruch verzichten.

Nach der Schätzung von Deirdre Berger, einer Sprecherin des American Jewish Committee, sind wegen der kurzen Antragsfrist und der schwierigen Nachweisbeschaffung einige Hunderttausend Menschen nicht in der Lage, ihre Forderungen anzumelden. Das bedeutet, dass dieses Abkommen nicht durchführbar wäre, wenn selbst nach den rigiden Ausschlusskriterien die formal Berechtigten ihre Ansprüche mehr oder weniger vollständig erhöben. Die Umsetzung des Abkommens bringt deshalb den Zahlungsunwillen erneut zum Ausdruck.

Typisch hierfür ist die Skandalkette, die von der mangelnden Bereitschaft der Wirtschaft, zum vereinbarten Zeitpunkt ihrer Zahlungspflicht nachzukommen, über ihre Weigerung, für das von ihr verspätet weitergeleitete Geld entsprechende Zinsen zu entrichten, bis zu den großen Verlusten reicht, die bei der Überweisung der deutschen Stiftung an ihre polnische Partnerorganisation wegen eines ungünstigen Wechselkurses entstanden.

Doch damit nicht genug. Im selben Stil, wie er nach der beifälligen Aufnahme der Vorwürfe Norman G. Finkelsteins gegen jüdische Organisationen in diesem Land bekannt ist, stellt der Stiftungsvorsitzende Michael Jansen in der Süddeutschen Zeitung die Tatsachen auf den Kopf und demonstriert deutsche Deutungsmacht. Im Mittelpunkt seiner Bilanz zum Ende der Antragsfrist steht: »Die befürchteten Betrügereien hat es nicht gegeben.« Und er nimmt auch das verleumderische Stichwort »Doppelzahlungen« auf, die zu verhindern »die Öffentlichkeit« von der Stiftung erwarte.

Der NS-Zwangsarbeiter Rudy Kennedy zieht eine andere Bilanz. Rückblickend auf sein Leben nennt er das deutsche Verhalten »a final insult«. Eine letzte Demütigung, eine finale Beleidigung, eine abschließende Verletzung.