Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal aufgehoben

Sabos langer Arm

In den USA hat Richter Yohn die Todesstrafe gegen Mumia Abu-Jamal aufgehoben.

Kaum eine Entscheidung eines einzelnen US-amerikanischen Bundesrichters hat so viel internationale Aufmerksamkeit gefunden wie das Urteil vom 18. Dezember im Fall Mumia Abu-Jamal. Der heute 46jährige afroamerikanische Journalist und ehemalige Black Panther wurde vor 20 Jahren, am 9. Dezember 1981, wegen Mordes an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner festgenommen und im Juli 1982 zum Tode verurteilt.

Nachdem Abu-Jamal zwei Hinrichtungsbefehle überlebt hat, ist der Richter William H. Yohn, der zwei Jahre über dem Wiederaufnahmeantrag saß, die erste Bundesinstanz, die in diesem Fall ein Urteil abgibt. Zwar wird die Todesstrafe darin aufgehoben, ansonsten aber fiel es, abgesehen von einem kleinen Seitenhieb gegen den ehemaligen Prozessrichter Albert F. Sabo, in Philadelphia auch als »Henker in Richterrobe« bekannt, zu ungunsten Abu-Jamals aus.

In seiner 280seitigen Begründung verwirft Yohn zunächst 20 von Abu-Jamal geltend gemachte Verletzungen seiner verfassungsmäßigen Rechte während des knapp einmonatigen Prozesses von 1982 und acht von neun Verletzungen hinsichtlich der Strafzumessungsphase im Prozess.

Immer wieder schimmert in Yohns Schriftsatz zwar sein Unbehagen mit der bisherigen Rechtsfindung durch, doch zu einer klaren Stellungnahme reichte es nicht. Auch nicht im Fall der Prostituierten Veronica Jones, die 1996 in der ersten Beweisaufnahme zum Wiederaufnahmeantrag ausgesagt hatte, sie sei 1982 durch Haftandrohung gezwungen worden, wider besseres Wissen Abu-Jamal als Täter zu benennen. Richter Yohn schreibt dazu: »Auch wenn ich nicht sage, dass das trockene Wortprotokoll die Schlussfolgerung nahe legt, dass Jones unglaubwürdig war, als sie ihre Aussage (von 1982) widerrief, komme ich zu dem Schluss, dass die unteren Instanzen nicht unbillig entschieden haben, dass Jones 1996 keine glaubwürdige Zeugin gewesen sei.«

Dieser Satz verdeutlicht das Dilemma, das Yohn zwar in seiner Entscheidung benennt, aber in seinen Schlussfolgerungen ignoriert. Denn seit der letzten Verschärfung der Gesetzgebung zur Todesstrafe, dem 1996 nach dem Anschlag von Oklahoma vom damaligen US-Präsidenten William Clinton durchgedrückten Anti-Terrorism and Effective Death Penalty-Gesetz, haben die Bundesrichter wesentlich weniger Spielraum, die Beweisaufnahme und -würdigung durch die Vorinstanzen in Frage zu stellen und daraus das Recht auf ein neues Verfahren abzuleiten.

Das bedeutet in Abu-Jamals Fall, dass alle neuen ZeugInnen und Beweise, die sein Verteidigerteam in den letzten zehn Jahren präsentiert hat, de facto durch Richter Sabo entwertet wurden. Denn Sabo war auch der Vorsitzende Richter, vor dem 1995 und 1996 die Anhörungen zum Wiederaufnahmeantrag stattfanden. Und er war derjenige, der sämtliche neuen ZeugInnen und Beweise anschließend in seiner rechtlichen Würdigung als »unglaubwürdig« bzw. »erlogen« bezeichnete.

Auf Sabos Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags und seine Bewertung der neuen Beweise musste sich Yohn allerdings nach der neuen Rechtsprechung auch in seiner eigenen Entscheidung stützen. Denn Yohn sah auch keine Rechtsgrundlage, um eine mündliche Beweisaufnahme vor seiner eigenen Kammer anzuordnen. Diese Anhörung hätte zur Folge gehabt, dass die neuen ZeugInnen unabhängig von den Vorinstanzen bewertet worden wären. Stattdessen blieb »Hanging Judge Sabo« auch knappe 20 Jahre nach dem skandalösen Prozess der eigentliche Herr des Verfahrens.

Yohns Unbehagen mit dem bisherigen justiziellen Umgang mit Abu-Jamals Schicksal setzte sich jedoch zumindest an einem Punkt durch. Nachdem die Geschworenen 1982 nach knapp vier Wochen Prozessdauer Abu-Jamal schuldig gesprochen hatten, nahmen sie sich nicht einmal zwölf Stunden Zeit, um das Strafmaß zu bestimmen. Nach Yohns Ansicht wurden sie von Richter Sabo nicht ausreichend darüber belehrt, dass sie bei der Strafzumessung auch entlastende Aspekte zugunsten Abu-Jamals hätten berücksichtigen müssen und dass hierüber auch keine Einstimmigkeit in der Jury herrschen musste.

Yohn wertete dies als Verletzung von Abu-Jamals verfassungsmäßigem Recht auf eine faire Strafzumessung. Damit hatte er einen Weg gefunden, um den Richter und die Staatsanwaltschaft zu rügen, Abu-Jamals Schuldspruch aber nicht anzutasten und ihm auch kein neues Verfahren zu gewähren, sondern lediglich das Strafmaß, also die Todesstrafe, aufzuheben.

Der Bundesrichter ordnete an, dass es innerhalb der nächsten 180 Tage eine Anhörung zur neuerlichen Strafzumessung geben muss. Andernfalls wird Abu-Jamal automatisch zu life without parole verurteilt (lebenslängliche Haft ohne Entlassung vor dem Tode) - die Mindeststrafe in Pennsylvania für Polizistenmord. Letztlich gibt es bei der neuerlichen Strafzumessung nur zwei Möglichkeiten: Todesstrafe oder lebenslang.

Entsprechend enttäuscht äußerten sich auch Abu-Jamals UnterstützerInnen. »Wir wollen seine Freiheit und ein neues Verfahren«, sagte Pam Africa von International Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal. »Und wir wollen, dass alle Beweise für Mumias Unschuld endlich vor Gericht gehört werden.«

Gemeint ist hier vor allem das Geständnis des untergetauchten Arnold Beverly, er habe 1981 als Auftragskiller Daniel Faulkner auf Anweisung der Mafia umgebracht, die mit korrupten Polizeibeamten zusammenarbeitete und den für ihre illegalen Praktiken hinderlichen Polizisten aus dem Weg räumen wollte. Amnesty International rügte: »Abu-Jamals Recht auf ein faires Verfahren wurde 1982 verletzt, aber Yohns Entscheidung hat dies nicht berücksichtigt.«

Lynne Abraham, die Oberstaatsanwältin von Philadelphia und eine gnadenlose Vertreterin der Todesstrafenpolitik, übte sich hingegen in Richterschelte: »Bei allem Respekt glauben wir, dass Richter Yohns Theorien durch das Recht nicht gedeckt sind. Heute ist Mumia Abu-Jamal nach wie vor das, was er immer war: ein verurteilter, reueloser, kaltblütiger Killer.«

Kaum überraschend also, dass Abrahams untergebene Staatsanwälte direkt nach der Entscheidung Berufung einlegten. Nun muss ein dreiköpfiges Bundesberufungsgericht darüber befinden, ob Yohns Entscheidung rechtskräftig wird oder nicht. Der so genannte Federal Appeals Court entscheidet nur nach der Aktenlage, ohne eine erneute Beweisaufnahme.

Mumia Abu-Jamal hat sich schon in der Vergangenheit mehrfach zu der Aussicht »lebenslänglich ohne Bewährung« geäußert: »Lebenslang ist nichts weiter als eine grausame Metapher für den Tod, denn nur der Tod befreit einen von den lebenslangen Ketten. Man könnte sagen, dass lebenslang nichts weiter ist als ein langsamer Tod.«