Die Linke und die USA

Glück im Wettbewerb

Was haben die konservativen und die linken Antiamerikaner gemein? Was unterscheidet sie? Und was hat das alles mit dem Kapitalismus zu tun?

In Analysen aus dem antideutschen Spektrum zu den deutschen Reaktionen auf die Anschläge des 11. September wurde eine immer engere Verbindung zwischen dem dort dechiffrierten Antisemitismus und Antiamerikanismus bis hin zur weitgehenden Gleichsetzung hergestellt. So etwa in einem Beitrag von Gerhard Scheit (Jungle World, 41/01) und in den Stellungnahmen der Bahamas-Redaktion: Die deutschen Ressentiments gegen die »Mächte der Abstraktion«, USA und Israel, gründeten auf einer verkürzten, personalisierten Kapitalismuskritik und sind somit »aufs engste (...) verschwistert« (die Gruppe Sofa in den Blättern des iz3w, Nr. 257).

Solche Annäherungen beruhen auf zwei Überschneidungen von Antisemitismus und Antiamerikanismus, die nicht den Kern der jeweiligen Projektionsstruktur bilden. Zwar kann sich verkürzte Kapitalismuskritik sowohl in Antisemitismus wie in Antiamerikanismus artikulieren, und im alten antiimperialistischen Stereotyp von Israel als »Brückenkopf des US-Imperialismus« waren schon immer die Unterschiede zwischen einer nach westlichen Maßstäben funktionierenden Demokratie wie Israel und den von den USA unterstützten Militärdiktaturen und halbfeudalen Regimes ausgeblendet worden.

In mehreren Punkten sind jedoch Differenzierungen nötig. Der europäische Amerikadiskurs handelte von Beginn an mehr von Europas Zukunft als von Amerika selbst, wo sich ohne die feudalen und ständischen Eingrenzungen der jeweiligen Herkunftsländer eine Gesellschaft neu formieren konnte, deren wirtschaftliche und politische Dynamik spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die der europäischen Staaten übertraf, und so den Europäern die unaufhaltsamen Tendenzen ihrer eigenen Entwicklung vor Augen führte: die kapitalistische Industrialisierung, die Entstehung einer eigenständigen Massenkultur der Mittelschichten und die Durchsetzung politischer Ideen der Aufklärung.

Der konservativ-elitäre Antiamerikanismus witterte darin »demokratische Vermassung« sowie »Kulturverfall« und versuchte so, diesen auch mit einer gewissen Faszination verfolgten Entwicklungen entgegenzuwirken.

Linker Antiimperialismus kann kaum im Rahmen dieser Diskurse um Europas Zukunft verstanden werden, und somit ist auch die Zusammenfassung unter einem einzigen Begriff des »Antiamerikanismus« von jeher problematisch gewesen. Einige der antiimperialistischen Motive, die Politik der USA speziell zu kritisieren, bleiben bis heute nachvollziehbar, solange nicht außer Acht bleibt, dass die von den USA verfolgte Politik nicht nur deren eigenen, sondern auch gemeinsamen Interessen der führenden kapitalistischen Länder dient.

In einem Topos treffen sich die gegen die USA gerichteten Diskurse des Kulturkonservatismus und des Antiimperialismus jedoch: in der Kritik an der »Heuchelei« der USA, die an dem uneingelösten amerikanischen Glücksversprechen, dem viel zitierten »pursuit of happiness« ansetzt. Zeit seines Bestehens blieb es für einen Großteil der eigenen Bevölkerung unerreichbar, sei es wegen der Repression gegen Minderheiten, sei es wegen der Zwänge des kapitalistischen Systems, in dem das Glück erst erkämpft werden muss. Und der universalistische Anspruch wurde durch die amerikanische Politik zum Beispiel in Lateinamerika stets ad absurdum geführt.

Die Kritik an dieser »Heuchelei« beruhte gerade bei der amerikanischen Linken auf der Anerkennung dieses Universalismus und setzt nur an deren unvollkommener Verwirklichung an; radikalere Kritik weist darauf hin, dass im Kapitalismus Konkurrenz und globale Ausbeutungsverhältnisse die Verwirklichung strukturell unmöglich machen. Der konservative Antiamerikanismus leugnet hingegen die demokratischen Ideale und ihre »Gleichmacherei«.

Dieses für die »amerikanistische« Ideologie zentrale Glücksversprechen ist jedoch ambivalent. Aus der Garantie des individuellen Strebens nach Glück, das jedem Individuum die Wege zu diesem Ziel selbst überlässt, folgt eine Hochschätzung individueller Freiheitsrechte. Darauf kann sich die Linke mit guten Gründen berufen, da dies eine selbstverständliche Anerkennung von Meinungsfreiheit, Toleranz gegenüber verschiedenen Formen sozialen Zusammenlebens und individueller Lebensstile nach sich zog.

So stießen beispielsweise die Versuche christlicher Fundamentalisten, ihre Werte als verbindlich durchzusetzen, stets auf heftige Gegenreaktionen einer intakten liberalen Öffentlichkeit. Und die Heterogenität der Phänomene, die dieser Individualismus hervorbrachte, lässt einen pauschalen positiven oder negativen Bezug auf die USA ohnehin nicht zu. Noch die radikalsten Vertreter der amerikanischen Gegenkulturen berufen sich zur Legitimation ihrer Abweichung meistens auf die von der amerikanischen Verfassung garantierten Freiheiten. So kann auch liberale Ideologie ein emanzipatives Potenzial entfalten, wenn sie beim Wort genommen wird und zur Kritik der Bedingungen führt, die ihrer Verwirklichung im Wege stehen.

Die Kehrseite dieses amerikanischen Individualismus besteht allerdings darin, dass er leicht in Denkstrukturen mündet, die die imaginäre Lösung individuell erlebter gesellschaftlicher Widersprüche in antisemitischen Projektionen nahe legen. Denn dieses Glücksversprechen bleibt ideologisch, da die individuelle Selbstverwirklichung ihre Grenze im kapitalistischen Verwertungszusammenhang findet. Die vom Individualismus vorgezeichnete Lösung liegt darin, das gesellschaftlich produzierte Unglück in individuelle Schuld am eigenen Versagen aufzulösen: Man hat sich eben nicht genug angestrengt.

Da so die Strukturen, die das eigene Scheitern als Marktsubjekt bedingen, nie erkannt werden, bleibt bei fortgesetztem Scheitern eine weitere ideologiekonforme Lösung übrig. Die Schuld wird bei individuellen Anderen gesucht, deren unfaire Machenschaften den eigenen Erfolg verhinderten. Kein Wunder, dass sich dieses subjektlogische Denken in Unmengen von Verschwörungstheorien, mit ihrer notorisch antisemitischen Tendenz, niederschlägt.

Keine der bisher aufgezeigten antiamerikanischen Positionen konvergiert ohne weiteres mit dem Antisemitismus. Aber selbst in der kapitalismuskritischen Schnittmenge gibt es Unterschiede. Die antiamerikanischen Stereotype des »entfesselten Wettbewerbs« und des »individualistischen Eigennutzes« - untrennbar mit einem bestimmten Stadium der rechtlichen Institutionalisierung des Kapitalismus verbunden - lassen sich nicht ohne weiteres mit dem ganzen Komplex der antisemitischen Topoi wie der Unterscheidung von »schaffendem« und »raffendem« Kapital gleichsetzen.

So käme kaum ein noch so ahnungsloser Kritiker des amerikanischen Kapitalismus auf die Idee, dieser beschränke sich auf die Zirkulationssphäre, waren doch die enormen Produktionssteigerungen eines der zentralen Motive in den Amerikadiagnosen seit 1900. Und so ist das Personifizierungsstereotyp auch anders nuanciert. Im Antisemitismus wird das Verschwörerische, Heimliche hervorgehoben, dem »amerikanischen Kapitalisten« eher das Ungenierte, Draufgängerische, Rücksichtslose vorgeworfen.

Personifizierte Kapitalismuskritik steht andererseits nicht in jedem Fall in Beziehung zu Antiamerikanismus oder Antisemitismus. Derartige Kritik setzt oft am individuellen Fehlverhalten privilegierter Entscheidungsträger an. Dies als Verkürzung zu kritisieren, ist berechtigt, denn die Durchsetzung des Neoliberalismus zeigt endgültig, dass ein »guter«, »fürsorglicher« Kapitalismus illusorisch ist, und so werden die strukturellen Bedingungen, unter denen wirtschaftliche Entscheidungsträger agieren, in Kategorien individueller moralischer Verantwortung überführt.

Dies sind aber die Bestimmungsgrößen des modernen bürgerlichen Rechtssubjekts, was in Zeiten der viel beschworenen Individualisierung näher an der Lebenserfahrung ansetzt als die Projektion - und damit Abgrenzung - gegen »fremde« Kollektive. Diese werden dann bemüht, wenn es um als extern wahrgenommene Bedrohungen geht (»die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg«).

Die Einbettung in die kapitalistische Wirtschaft steht indessen unter dem Vorzeichen der grundsätzlichen Akzeptanz von dessen Funktionsgrundlagen, und wenn sich Kritik im Detail an Personen festmacht, kann dies, als systemimmanente Entlastung, auch ohne Ressentiments gegen die »Mächte der Abstraktion« funktionieren. Entsprechend sind diejenigen Ideologeme, die hier den projektiven Zusammenhang herstellten, auf dem Rückzug.

Ein Slogan wie »Brechung der Zinsknechtschaft« kann auf keine Resonanz mehr hoffen, wenn im Mainstream längst die professionalisierte Suche nach der rentabelsten Anlageform angesagt ist.