Einführung des Kombilohns

Kombinat Glückauf

Die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind nicht rosig. Die Regierung hat es auch schon gemerkt. Kombilohn heißt ihr Zauberwort.

Des Kanzlers ruhige Hand zittert gewaltig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert fürs laufende Jahr eine durchschnittliche Erwerbslosenzahl von 4,4 Millionen. Angesichts der Konkurrenz, die ihm aus Bayern droht, verfällt Gerhard Schröder nun in Aktionismus und möchte das Phänomen Massenarbeitslosigkeit mit Kombilöhnen bekämpfen. Wohl wissend, dass er damit bei den Gewerkschaften nicht punkten kann, will Schröder nun mit Brachialgewalt das so genannte Mainzer Modell bundesweit einführen. Arbeitsminister Walter Riester soll das Vorhaben umsetzen. Hilfe bekommt er dabei von den Grünen, die ungefragt ein Drei- bis Acht-Punkte-Programm vorlegten. Noch in diesem Monat soll das Thema im Bündnis für Arbeit besprochen werden.

Es lohnt sich, einen Blick zurück zu werfen. Am ungeliebten Thema der staatlichen Subvention des Niedriglohnbereichs wäre des Kanzlers Lieblingsprojekt im Frühjahr 1999 beinahe zerbrochen. Die Benchmarkinggruppe - ein Beratergremium der Steuerungsgruppe, die im Schatten der großen Männerrunde die eigentliche Arbeit macht - sollte zusammentragen, was an geeigneten Mitteln zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit herangezogen werden kann. »Probleme identifizieren, damit die Grundlage für gemeinsames Handeln« geschaffen werden könne, lautete ihr Arbeitsauftrag. Ferner sollte »eine vergleichende Übersicht über die Strategien verschiedener Länder zur Verbesserung der Erwerbschancen Niedrigqualifizierter« mit dem Ziel, die besten Maßnahmen herauszufinden, erarbeitet werden.

Damals wurde das Thema Kombilohn, das mangels Akzeptanz bei den Gewerkschaften bereits Mitte der neunziger Jahre unter der Regierung von Helmut Kohl zu Grabe getragen worden war, von Wolfgang Streeck, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, wieder ins Gespräch gebracht. Er trug seine Idee Arbeitsminister Walter Riester vor, der wiederholte, was er schon früher als zweiter Vorsitzender der IG Metall gesagt hatte: untaugliches Mittel, kostet zu viel und schafft nur wenige Tausend Arbeitsplätze. Streeck verließ polternd die Veranstaltung - und mit ihm verschwand das Thema.

»Man ist geneigt, Wetten abzuschließen, dass der Kombilohn nach den Gesetzmäßigkeiten von Ebbe und Flut in regelmäßigen Abständen an Land gespült wird«, prognostizierte Franziska Wiethold, ein Vorstandsmitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Und so ist es gekommen. Schröder ordnete die Prüfung an, ob das ungeliebte Mainzer Modell für eine bundesweite Ausweitung geeignet sei.

Das Mainzer Modell gewährt einen staatlichen Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen für gering qualifizierte Menschen mit niedrigem Verdienst, Alleinerziehende bekommen einen Zuschuss zum Kindergeld. Etwa 20 Millionen Euro kostete der Versuch bisher. »Überaus erfolgreich« sei, was in Rheinland-Pfalz erprobt wurde, ist in den Sozialpolitischen Nachrichten des Bundesarbeitsministeriums zu lesen: 514 Personen nahmen die Leistungen bisher in Anspruch.

Ein Rückgang der Erwerbslosenzahl sei gar nicht der Sinn des Modellversuchs, so die zuständige Abteilungsleiterin im Mainzer Sozialministerium, Doris Bartelmes: »Wir wollen Sozialhilfeempfänger zur Übernahme von niedrig bezahlten Tätigkeiten motivieren.« Wer hätte das gedacht? Auch Streeck ist überzeugt, »wenn der Preis stimmt, gibt es auch Nachfrage nach einfacher Arbeit«.

Wenig überzeugt ist Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Bei diesem und ähnlichen Projekten seien »spürbare Beschäftigungseffekte bisher ausgeblieben«. Eine bundesweite Ausdehnung bringe im Höchstfall 10 000 bis 50 000 Menschen einen Job. Widerspruch kommt auch von der Präsidentin des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Barbara Stolterfort: »Sozialhilfeempfänger sind absolut unerwünschte Personen auf dem Arbeitsmarkt. Selbst mit Lohnkostenzuschüssen kann man Arbeitgeber kaum dazu bringen, solche Menschen einzustellen.«

Selbst des Kanzlers Lieblingsgewerkschafter Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie, sagte im ZDF, mit den Kombilohn-Modellen ließen sich die Probleme des Arbeitsmarktes nicht beseitigen. Und der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, befürchtet einen zu hohen bürokratischen Aufwand und bewertet staatliche Lohnsubventionen generell skeptisch.

Ganz im Gegensatz zu den Grünen. Statt der 32 Millionen Euro, die das Bundesarbeitsministerium für eine Ausdehnung locker machen will, fordern sie mal 500 Millionen, mal 1,2 Milliarden Mark für Kombilohnmodelle. Der Parteivorsitzende Fritz Kuhn und der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch wollen fast so etwas wie einen staatlich garantierten Mindestlohn. Allen Niedrigverdienern, die monatlich zwischen 325 und 870 Euro erhalten, sollen Lohnsubventionen gewährt werden. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck findet diese Idee schlicht »unverschämt«. Damit wollten die Grünen den Eindruck erwecken, die SPD tue nichts für Arbeitslose. Was so falsch auch wiederum nicht ist.

Denn bisher fehlte es der Bundesregierung ganz offensichtlich am ernsthaften Willen, gegen die steigenden Erwerbslosenzahlen vorzugehen. Die Hand des Kanzlers war zu lange ruhig und die Wirtschaft konnte schalten und walten, wie es ihr gefiel. Es gibt so gut wie keine Strukturmaßnahmen, keinen ersthaften Versuch, mehr Teilzeit-Arbeitsplätze zu schaffen, und schon gar keinen Vorschlag, wie man die ungeheure Zahl von 1,9 Milliarden Überstunden, die 2001 geleistet wurden, in Zukunft senken könnte.

Riester hat lediglich das lächerliche Job-Aqtiv-Gesetz auf den Weg gebracht. Neben einigen Unzumutbarkeiten wie der, dass Langzeitarbeitslose jetzt auch die Vermittlung in ein gering bezahltes Leiharbeitsverhältnis nicht mehr ausschlagen dürfen, enthält das Programm eigentlich nur Selbstverständlichkeiten. »Das Herzstück des Gesetzes«, schreibt das Arbeitsministerium, sei »die Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung«. Die Berater des Arbeitsamtes sollen künftig gleich zu Beginn der Arbeitslosenmeldung ermitteln, mit welchen »geeigneten Maßnahmen« der Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden kann. Ebenso wurden Qualifizierungsmaßnahmen festgeschrieben.

Immer wieder fordern die Gewerkschaften, die Problembereiche Überstunden, Teilzeit und Qualifizierung anzupacken. Was aber konkret gegen den Niedriglohnbereich getan werden kann und muss, dazu gibt es keine gewerkschaftliche Idee.

Selbst der Bundespräsident ist an diesem Punkt ein Stück weiter. Auf die Frage, ob Geld etwas mit Leistung zu tun habe, antwortete Johannes Rau dem Berliner Tagesspiegel: »Ja, aber es ist nicht immer so, wie es sein sollte. Ich vermag nicht einzusehen, dass eine Operationsschwester nur ein Zwanzigstel von dem bekommt, was der Operateur verdient. Da ist manches durcheinander geraten.« Genau an diesem Missstand sind die Gewerkschaften nicht ganz unschuldig. Durch ihre schwerpunktmäßig am männlichen Facharbeiter ausgerichtete Tarifpolitik haben sie den Niedriglohnbereich erst ermöglicht.

Die Schere zwischen niedrigen und höheren Einkommen ist während der vergangenen 20 Jahre immer weiter auseinander gegangen. Forderungen nach derselben Lohnerhöhung für alle wurden regelmäßig abgelehnt. So bewirkte die übliche Prozent-Forderung, dass die Differenz zwischen dem, was der besser verdienende Facharbeiter und was der weniger verdienende Hilfsarbeiter pro Monat aufs Konto überwiesen bekommen, mit jeder Lohnerhöhung stieg.

Wenn wirklich werden sollte, was die Grünen jetzt fordern - den gesamten Niedriglohnbereich zu subventionieren -, hätte das für die Gewerkschaften fatale Folgen. Die tarifpolitische Talfahrt würde sich beschleunigen. So müssen die Gewerkschaften schon aus Selbstschutz dagegen sein, auch wenn sie keine Antwort darauf haben, wie der Misere beizukommen ist. Um eine dauerhafte Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, sind sie zu schwach.