Rot fürs Vaterland

Immer wieder diskutiert die PDS die nationale Frage und scheut dabei auch nicht das Gespräch mit extremen Rechten.
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Ernst Thälmann schrieb 1944, in Bautzen einsitzend, folgende Zeilen: »Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation. Eine ritterliche, stolze und harte Nation. Ich bin Blut vom Blute und Fleisch vom Fleische der deutschen Arbeiter und bin deshalb als ihr revolutionäres Kind später ihr revolutionärer Führer geworden.«

Entgegen der marxistischen Grundannahme, die Menschen seien nicht durch Nationen und Rassen zu definieren, sondern durch ihre soziale Stellung, ihre Klasse, haben die konkreten politischen Verhältnisse von der Arbeiterbewegung bzw. der Linken immer wieder eine Antwort auf die »nationale Frage« verlangt. Wobei es unfair wäre, linken Nationalismus als Problem ausschließlich der autoritären Linken, deren Tradition die PDS entstammt, zu bezeichnen.

Auch die antiautoritäre Linke hat mit diesem Thema ihre Schwierigkeiten gehabt. Aufzuzählen wären die Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit von den alliierten Besatzungsmächten, die Solidaritätskampagnen für nationale Befreiungsbewegungen rund um den Globus, vor allem aber die Wandlung so mancher Alt-68er zu Exponenten der politischen Rechten. Und nicht zu vergessen: Die Grünen haben - und das fast ohne jede nationale Rhetorik - Deutschland wieder zur Kriegsnation gemacht.

Wenn heute die nationale Versuchung der PDS im Mittelpunkt steht, dann hat das sehr viel mit der unterschiedlichen Geschichte in West und Ost zu tun. Die nachholende Entwicklung wird auch im Osten Deutschlands noch zu einigen Differenzierungen führen.

Erstmals auffällig wurde das Techtelmechtel der PDS mit dem Nationalen, als die parteinahe Tageszeitung Neues Deutschland im Juli 1995 eine Debatte begann: »Wie national muss die Linke sein?« Und zwar ausgerechnet mit einem Beitrag von Roland Wehl, einem Redakteur des Querfront-Blattes wir selbst und Mitarbeiter der Jungen Freiheit (JF). Wehl knüpfte in seinem Artikel geschickt an die DDR-Nostalgie der PDS-Klientel an: »Vieles von dem, was in der DDR links war, gilt im vereinten Deutschland als rechts. Das betrifft nicht nur die Haltung zur Armee, Polizei und Recht und Ordnung. Es betrifft auch das gemeinschaftliche Denken, das in der DDR so stark entwickelt war. Es betrifft Fürsorge gegenüber dem Nächsten und die Liebe zum eigenen Land.«

Für einen Gegenbeitrag hatte man die Sprecherin der Kommunistischen Plattform (KPF) in der PDS, Ellen Brombacher, gewinnen. Sie grenzte sich zwar verbalradikal von Wehl ab, inhaltlich bot sie ihm jedoch kaum Paroli. Sie gab ihm sogar teilweise Recht, indem sie wohlwollend Lenin zitierte: »Das Vaterland (...), d.h. das gegebene politische, kulturelle und soziale Milieu, ist der stärkste Faktor im Klassenkampf.« Daraufhin entspann sich in der PDS eine monatelange Diskussion.

Die Rechten witterten ihre Chance. Vertreter der JF tauchten auf verschiedenen Veranstaltungen der PDS auf, und ihnen gelang so manche Provokation. Der NPD-Mann Michael Nier aus Chemnitz schrieb im rechtsextremen Theorieblatt Nation & Europa: »Man kann wohl feststellen, dass die Masse der Mitglieder und Wähler der PDS national orientiert ist und sie der Meinung ist, dass das internationale Finanzkapital über die regierenden Systemparteien an der Zerstörung von Sozialstaat und Kultur in Deutschland arbeitet.« Der Beitrag endete mit einem Wahlaufruf für die PDS.

In der PDS wurde die Diskussion um die Nation derweil vor allem von ausgemusterten Professoren weitergeführt. Ronald Lötzsch erklärte im November 1998 auf einer Veranstaltung der Stiftung für Gesellschaftsanalyse und politische Bildung, eingebürgerte Ausländer seien keinesfalls Deutsche. Er schlug ernsthaft vor, sie »Deutschländer« zu nennen. Professor Heinz Engelstädter von der AG Rechtsextremismus beim Bundesvorstand der PDS plädierte für eine »nationale Identität der Deutschen« und für die Überwindung von »Berührungsängsten mit dem Ethnischen, dem Nationalen und auch dem Rassischen«.

Eine neue Dynamik erfuhr die Debatte, als die soeben gewählte PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer auf dem Cottbusser Parteitag im Oktober 2000 mit dem Bekenntnis, Deutschland zu lieben, für Furore sorgte. Das Brecht-Zitat, »dass ein gutes Deutschland blühe«, war das Leitmotiv des Parteitages und markierte einen neuen Anlauf zur Nationalisierung der Politik der PDS. Der Drang, in den nationalen Schoß zurückzukehren, muss in der PDS enorm sein.

Zwei Ursachen kommen zusammen. Zum einen die antiimperialistische und orthodox-marxistische Prägung, zum anderen die Herkunft aus der DDR. Die erste bietet Affinitäten zum Nationalismus in der Besinnung auf die nationale Gemeinschaft im Gegensatz zum globalisierten, fremden Kapital und den eindringenden imperialistischen Mächten, aber auch in der Neigung, Sozialismus nur in sozialen und ökonomischen Kategorien zu denken und alles Böse der Welt auf soziale Widersprüche zurückzuführen. Wozu dies führen kann, sah man am Fall Gollwitz im Jahre 1997, als die KPF und die Tageszeitung junge Welt die antisemitische und ausländerfeindliche Dorfbevölkerung, die sich erfolgreich gegen den Zuzug von 50 jüdischen Aussiedlern »wehrte«, als »soziale Krisenopfer« in Schutz nahmen.

Aber auch die Herkunft aus der DDR bietet eine Erklärung für nationale Reflexe. Während in der BRD in Ansätzen mit der »geistig-moralischen Wende«, die in den achtziger Jahren der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl verkündet hatte, ungebremst jedoch erst mit dem Mauerfall nationales Begehren sich den Weg bahnte, hatte man in der DDR 40 Jahre lang an einem positiven Verhältnis zur sozialistischen Nation gearbeitet. Man schuf eine Gemeinschaft, die angeblich keine Klassenunterschiede kannte, eine Einheit von Bevölkerung, Staat, Armee, Partei, Regierung, mit eigener Kultur und Fahne. Diese konstruierte Schicksalsgemeinschaft hat sich mit der deutschen Vereinigung nicht etwa aufgelöst. Sie lebt nach wie vor weiter und definiert sich als kollektives Opfer des westlichen Kapitalismus.

Das Gerede von der angeblichen Kolonisierung des Ostens, wie es nicht nur in der PDS immer wieder zu vernehmen ist, sondern auch von Libertären wie der Ostberliner Zeitung telegraph, schürt die latente Angst vor »Überfremdung«, vor dem Eindringen fremder Mächte, und das sind mangels realer Bedrohung am Ende ein paar hilflose Flüchtlinge im Wohncontainer. Die Konstruktion eines ostdeutschen Wir, einer ostdeutschen Gemeinschaft unterscheidet sich strukturell in nichts von der Konstruktion einer deutschen Nation, eines deutschen Wir. Da die PDS auf Dauer nicht nur eine Vertreterin von Ostinteressen sein kann, liegt es nahe, sich das nächst größere Wir anzueignen. Das sind die Überlegungen, mit denen Gabi Zimmer die nationale Debatte führt.

Roland Wehl schrieb im Januar 1997 in der JF, die PDS müsse sich entscheiden zwischen »antiautoritären Politexoten aus dem Westen und wertkonservativen Wählern im Osten«. Gabi Zimmer hat sich entschieden. Und so mancher andere in der PDS auch.