V-Männer und Neonazis

Agenten schlagen zu

Am Überfall von Neonazis auf die KZ-Gedenkstätte in Kemna im Juli 2000 waren vermutlich V-Leute beteiligt. Die Opfer verklagen nun die Bundesrepublik auf Schadensersatz.

Der Fall ist abgschlossen.« Otto Schily zog es vor zu schweigen, als er am Mittwoch letzter Woche vor dem Innenausschuss des Bundestages zum V-Mann-Skandal Rede und Antwort stehen sollte. Der Aufklärungsbedarf in der Affäre sei gedeckt. Die PDS war sauer, die Union schäumte. Falls der Bundesinnenminister weiterhin die Auskunft verweigere, werde man die Affäre bis zur Bundestagswahl in jeder Sitzung des Innenausschusses thematisieren, drohte der Fraktionsvize der Union, Wolfgang Bosbach.

In einem Punkt waren sich jedoch alle einig. Das NPD-Verbotsverfahren soll zügig fortgesetzt werden. Ob es erfolgreich ist, darf jedoch bezweifelt werden. Die Affäre scheint sich zu einem unendlichen Fortsetzungsroman zu entwickeln. Nachdem vor zwölf Tagen vier weitere V-Männer aufgetaucht sind, summiert sich die Zahl der VS-Mitarbeiter im NPD-Verfahren auf nunmehr zehn. Und selbst der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling sagte im Innenausschuss, er könne die Entdeckung weiterer V-Leute »nicht absolut ausschließen«.

Und bald schon dürfte Otto Schily erneut in Bedrängnis geraten, diesmal wegen eines Überfalls von Neonazis auf die KZ-Gedenkstätte in Kemna bei Wuppertal im Juli 2000. Denn an der gewalttätigen Aktion gegen ehemalige Widerstandskämpfer und Angehörige früherer Häftlinge waren vermutlich Mitarbeiter des Verfassungsschutzes beteiligt. Sogar der Verbotsprozess gegen die NPD könnte deswegen endgültig platzen, immerhin gelten die Ereignisse in Kemna als Hauptbeweis für die Gewalttätigkeit der NPD. Wegen der möglichen Beteiligung von V-Leuten an der Attacke haben die Betroffenen nun die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz verklagt.

Besonders pikant ist an dem Fall die Rolle der ehemaligen NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und Nico Wedding. Beide wurden vom Landgericht Wuppertal als Rädelsführer zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt. Crämer, der auch heute noch die NPD im Schwelmer Stadtrat vertritt, und Wedding, ein ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten in Nordrhein-Westfalen, waren vor Wochen schon von dem CDU-Politiker Bosbach als mögliche V-Leute geoutet worden. Bosbach berief sich dabei auf »eine üblicherweise seriöse Quelle aus Nordrhein-Westfalen«.

Obwohl der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz in diesem Zusammenhang von »Geheimnisverrat« sprach, dementierten in der vorletzten Woche die Prozessbevollmächtigten von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat in ihrer ersten Stellungnahme zum V-Mann-Skandal gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, dass es sich bei Crämer und Wedding um V-Leute handele. Eine Anfrage an die zuständigen Verfassungsschutzämter habe ergeben, dass keiner der beiden vom Bundesamt oder vom nordrhein-westfälischen Landesamt als V-Mann geführt worden sei.

Doch nach einer neuen Bestandsaufnahme der Landesämter für Verfassungsschutz mussten die Prozessbevollmächtigten des Bundes bereits einige Tage später die Existenz von vier weiteren V-Leuten einräumen. Über deren Identität und Einsatzort wollen die Landesämter allerdings nichts mitteilen. Man befürchtet wohl unangenehme Enthüllungen. Etwa dass VS-Mitarbeiter mit Steinen und Schlagstöcken auf betagte Verfolgte des Naziregimes losgegangen sind? Ausgeschlossen ist es nicht.

Selbst innerhalb der NPD wird derzeit heftig über eine Beteiligung von V-Leuten am Überfall in Kemna spekuliert. In einem Brief an das ARD-Hauptstadtstudio schreibt der NPD-Anwalt Horst Mahler, er verfüge über Erkenntnisse, dass auch in diesem Fall »V-Leute ihre Finger im Spiel« hatten, »allerdings nicht die genannten Crämer und Wedding«.

Und Thorsten Crämer hat in einem offenen Brief an seine Parteikameraden und die Medien den NPDler Alex Boris Hausweiler, der im Kemna-Verfahren als Kronzeuge aufgetreten war, als V-Mann ins Gespräch gebracht. Hausweiler hatte direkt nach seiner Festnahme seine Mittäter schwer belastet und wurde in den letzten Monaten der Öffentlichkeit als NPD-Aussteiger präsentiert.

Obwohl er nach eigenen Angaben »bis an die Zähne bewaffnet« war, verschwand Hausweiler gleich zu Beginn des Überfalls. Seine weiteren Aussagen bezogen sich aber nicht nur auf den Überfall, sondern auch auf zahlreiche andere schwere Delikte wie Bombenbau, Waffendepots und Wehrsportübungen. Trotz seines immensen Vorstrafenregisters wurde er nur zu einem Jahr Haft verurteilt.

Mit dem ehemaligen Wuppertaler NPD-Mitglied Norbert Woelk, der ebenfalls wegen diverser politischer Straftaten vorbestraft ist, tauchte im Fall Kemna noch ein weiterer potenzieller V-Mann auf. Immerhin hat Woelk bereits zugegeben, dass der VS schon im Frühjahr 2000 an ihn herangetreten sei, um ihn anzuwerben. Angeblich ohne Erfolg, wie Woelk beteuerte. Das Strafverfahren gegen ihn wegen Kemna wurde vom Hauptverfahren abgetrennt, angeblich war er wegen Zahnschmerzen nicht verhandlungsfähig.

Er wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die er derzeit in der JVA Wuppertal absitzt. Zusammen mit Hausweiler hat Woelk neben dem Kemna-Überfall noch weitere Straftaten begangen. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird er als Teilnehmer am Aussteigerprogramm Exit geführt. Sicherlich keine unelegante Methode der Zweitverwertung ehemaliger V-Leute.

Im Rahmen der Schadensersatzklage der Opfer von Kemna sollen nun 13 Neonazis aus dem Bergischen Land und dem Ruhrgebiet als Zeugen vorgeladen und so zu Aussagen über eine eventuelle Tätigkeit als V-Männer gezwungen werden. »Die Aussage verweigern können sie nur unter Hinweis auf eine fehlende Aussagegenehmigung durch die für die V-Mannführung zuständigen Innenbehörden«, sagt Rechtsanwalt Detlef Hartmann, der die Opfer vor Gericht vertritt.

Nicht nur, dass die zuständigen Verfassungsschutzbehörden regresspflichtig wären, wenn sich der Verdacht bestätigte. Auch die Behauptung, man habe die V-Leute in der rechten Szene immer »rechtlich sauber« geführt, wäre dann wohl endgültig widerlegt.