Was wird anders? Umfrage zum 1. Mai

Jedes Jahr ein Pulverfass

Der 1. Mai soll in diesem Jahr anders werden als in den Jahren zuvor. Aber glaubt die Bevölkerung in Kreuzberg daran? Eine Umfrage

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen am 1. Mai, die ersten unter einem von der SPD und der PDS geführten Berliner Senat, werfen schon jetzt ihre Schatten voraus. Ein Bündnis »Denk Mai neu!« um den Berliner FU-Professor Peter Grottian versucht, einen »friedlichen 1. Mai in einem polizeifreien Raum« in Kreuzberg zu etablieren. In Teilen der autonomen Szene stößt dieses Konzept auf heftige Ablehnung, andere suchen das Gespräch. Aber wie ist die Stimmung in der Kreuzberger Bevölkerung?

»Wie immer. 1987 war die große Schlacht am Lausitzer Platz, und wenn sie hier ein Straßenfest machen, bringt das viele Leute 'ran, die dann völlig im Weg stehen. Also wird alles noch viel lustiger als sonst, selten so gelacht! Pass' mal auf, wirst sehen! Nix mit nix Krawall, ich bin Insasse! Das wolltest Du doch hören, oder?« Angestellter, 36 Jahre, Oranienstraße

»Das neue Konzept, die Demo zu erlauben und mit dem Straßenfest zu verbinden, ist nicht schlecht. Das ist sehr geil und nicht so wie im letzten Jahr, als die Demo verboten war und die Nazi-Demonstration dagegen erlaubt. Das musste Hass geben. Chaoten sind aber immer dabei, Leute, die sich hinter Kindern auf dem Familienfest auf dem Mariannenplatz verstecken - echt das Letzte. Man muss aber Unterschiede machen, was die Leute angeht. Es gibt auch viele unter den Autonomen, die nicht so sind. Es wird auf jeden Fall Krawalle geben, das steht schon mal fest. Aber nicht so schlimm wie letztes Mal, denke ich. Die Demo sollte auf jeden Fall erlaubt und in das Familienfest integriert werden.« Umschüler, 32 Jahre, in einer Kneipe in der Adalbertstraße

»Ich erwarte mir unter Rot-Rot dasselbe wie unter jeder anderen Regierung, die wir haben.« Arbeitslose, 36 Jahre, Oranienstraße

»Aus dem Stegreif würde ich sagen: Der 1. Mai in Kreuzberg ist ein Spielplatz für Jugendliche, die einfach mal ein bisschen Spaß haben wollen und ein bisschen Spannung. Computerspiele sind auf die Dauer wahrscheinlich ein bisschen langweilig. Dass da revolutionäres Potenzial dabei ist, glaub' ich eher nicht. Das kann man ja auch täglich ausleben, da braucht man keinen 1. Mai.
Und das, was hier passiert, stört die Leute eher, vor allem die Anwohner. Das nervt die Leute. Außerdem kostet das Ganze wahnsinnig viel Geld für den Polizeieinsatz und ist einfach nur dämlich. Wenn schlechtes Wetter ist, gibt es vielleicht nicht so viel Krawall wie sonst. Das Konzept, die Polizei aus dem Kiez herauszuhalten, werden sie nicht verwirklichen, die brauchen das ja als Propaganda für ihre Präsenz. So können sie mal so richtig zeigen, was sie sonst noch draufhaben, statt immer nur Falschparker aufzuschreiben. Das Ganze ist eher eine Geländeübung wie bei der Bundeswehr.«Verkäufer, 47 Jahre, Geschäft in der Oranienstraße

»Hau bloß ab, Bulle!« Mann, alternativ aussehend, ca. 30 Jahre, Oranienstraße

»Ob Rot-Rot großartig etwas ändert, weiß ich nicht. Aber es gibt schon einen Unterschied zum letzten Jahr, allein deshalb, weil die Demo bisher nicht verboten ist. Also wird es vielleicht nicht so heftig. Aber Scharmützel gibt es auf jeden Fall. Dumm ist allerdings, dass die 13-Uhr-Demo nicht stattfinden kann, weil das Bündnis schon alles angemeldet hat. Das Bündnis ist sowieso Quatsch. So was braucht es hier nicht. Das ist Prenzlauer Berg-Kacke, Kollwitzplatz-Scheiße. So was wollen die Leute hier nicht, Kollaboration mit dem Staat.
Aber prinzipiell wird es in diesem Jahr nicht so arg, schätze ich. Ein paar Zugereiste werden schon was starten, aber auch nicht tagsüber. Da gab es ja immer so ein Stillhalteabkommen, wegen der vielen Kinder.« Akademiker, 37 Jahre, am Heinrichplatz

»Ich erwarte keine Unterschiede, ob die Regierung nun rot-rot ist oder nicht. Es macht auch keinen Unterschied, ob die Demo verboten wird oder nicht. Die Leute, die Krawall machen wollen, werden nicht weniger, die werden auch immer einen Aufhänger finden. Das Ganze ist doch wirklich eine alberne Veranstaltung, jedes Jahr dieselben abgedroschenen Parolen. Alles in allem ist das eher reaktionär als revolutionär, die dämlichen Feindbilder, böser Staat und böse Polizei. Jugendliche, die sich einen Adrenalinstoß geben wollen, spielen mit der Polizei Katz und Maus.« Studentin, 23 Jahre, Café am Heinrichplatz

»Ob es nun das Bündnis 'Denk Mai neu!' ist oder das Gegenbündnis, die Konzepte sind alle nicht tragfähig. Der 1. Mai in Kreuzberg ist schon seit langem völlig entpolitisiert und zu einem reinen Männlichkeitsritual verkommen. Schon 1987 war das so. Damals wurde die Polizei teilweise aus dem Kiez 'rausgehalten, und es kam zu Übergriffen auf Frauen und sexistischer Anmache. Revolutionärer Gehalt ist sowieso nicht mehr vorhanden.« Student, 26 Jahre, Café am Heinrichplatz

»Unser Geschäft ist am ersten Mai eh immer geschlossen.« Verkäuferin, 24 Jahre, Adalbertstraße

»Jedes Jahr ist Kreuzberg wieder ein Pulverfass, das explodieren kann.« Diplom-Pädagogin, 38 Jahre, Oranienstraße

»Ich hoffe, dass 'ne ganze Menge Leute ihre Gefühle und ihren Hass, den sie so haben auf das, was hier in Deutschland passiert, auf die Straße tragen. Ich find' das teilweise auch angemessen und verständlich, ich bin aus Hamburg und da gibt es das auch in kleineren Maßen. Ich beteilige mich zwar nicht daran, aber ich finde es nachvollziehbar. Die Leute haben auch meine Solidarität.« Schüler, 22 Jahre, Oranienstraße

»Hoffentlich passiert nichts. Ich glaube aber schon, dass etwas Schlimmes passiert, deshalb bleibe ich lieber zu Hause.« Verkäuferin, 25 Jahre, Adalberstraße

»Dieses Jahr wird es genauso wie jedes Jahr, auch unter Rot-Rot, das ist völlig egal, wer hier regiert.« Speditionskauffrau, 32 Jahre, Oranienstraße

»Bestimmt gibt es wieder Auseinandersetzungen. Es gibt eine bestimmte Erwartungshaltung auf beiden Seiten. Vielleicht wird es dieses Jahr ein wenig ruhiger, vielleicht verlagert sich das ganze auch. Im Großen und Ganzen wird es aber wie immer sein.« Verkäufer, 45 Jahre, Geschäft in der Oranienstraße

»Also, ich find' das lustig! Es ist immer richtig was los, und man kann eine geile Party feiern. Viele, die eins aufs Maul bekommen, haben das auch verdient, finde ich. Am besten wird's, wenn es dunkel wird.« Schüler, 17 Jahre, Adalbertstraße

»Wat fragste denn hier rum? Mach dir bloß vom Acker!« Passant, Mitte 40, Adalbertstraße