Michael Sommer wird DGB-Chef

Sommeranfang im Mai

Der Deutsche Gewerkschaftsbund bekommt einen neuen Vorsitzenden. Dieter Schulte wird von dem Politologen Michael Sommer abgelöst. Mit ihm soll alles besser werden.

Steht dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) im Sommer eine Debatte über die Gehälter der Vorstandsmitglieder ins Haus? Wenn alles glatt läuft, heißt der nächste DGB-Vorsitzende Michael Sommer, er ist jetzt noch einer von vier stellvertretenden Vorsitzenden der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und bekommt für diesen Job 13 400 Euro. Wird an den Gehältern des DGB nichts verändert, verzichtet Sommer auf den bescheidenen Betrag von 5 300 Euro. Denn als erstem Gewerkschafter der Republik stehen ihm nach derzeitigem Tarif 8 100 Euro zu.

Sommer ist clever genug, um einschätzen zu können, dass ihm eine Gehaltsdebatte, wie sie Verdi gerade hinter sich gebracht hat, nachhaltig schaden kann. So lässt er über die Verdi-Sprecherin Cornelia Berger verlauten, dass »das Gehalt eine untergeordnete Rolle« spiele. Vielleicht ist der ehemalige Postgewerkschafter einfach nur froh, von der Verdi-Hauptverwaltung am Potsdamer Platz in Berlin ins DGB-Hauptquartier am Hackeschen Markt zu ziehen. Denn dem Vernehmen nach soll er sich mit dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske überhaupt nicht verstehen.

Mit dem 50jährigen Sommer kann es beim DGB nur besser werden. Im Gegensatz zu Dieter Schulte ist Sommer rhetorisch begabt und hat Ahnung von Organisationspolitik, in Gewerkschaftskreisen gilt er als Traditionslinker. Schulte dagegen, von Beruf Maurer und später bei Thyssen-Stahl Werkstoffprüfer, verkörpert den rechten Betonkopf-Gewerkschafter von gestern. Er übte seinen Job eher lustlos aus, redete viel, ohne etwas zu sagen, und interessierte sich nicht wirklich für das, was in seiner Umgebung passierte. Sein Lieblingsplatz war das Bundeskanzleramt. Auf dem DGB-Bundeskongress, der vom 27. bis zum 31. Mai in Berlin stattfindet, soll Sommer nun zu seinem Nachfolger gewählt werden.

Sommer wurde 1952 in Büderich bei Düsseldorf geboren. Er wuchs in Berlin auf und studierte dort Politologie. Während seines Studiums jobbte er bei der Post und kam so zur Postgewerkschaft. Er kocht gerne, liebt klassische Musik und bezeichnet sich als Pazifisten. Es ist zu erwarten, dass er sich auch gegenüber den Unternehmern friedfertig gibt.

Bisher hält sich Sommer mit programmatischen Äußerungen eher zurück. »Noch ist Dieter Schulte Chef, und dem rede ich nicht öffentlich ins Geschäft«, betont er. Dennoch ließ sein kurzes Statement nach der Kandidatenkür in der vergangenen Woche aufhorchen: »Die Gewerkschaften müssen in diesem Land die Meinungsführerschaft von den Arbeitgebern in sozialen und ökonomischen Fragen wieder zurückgewinnen.« Es gebe »jenseits des Dax« noch Werte wie soziale Gerechtigkeit. Den Unternehmern sei es gelungen, ihre Interessen als die der Allgemeinheit auszugeben. Er strebe eine »Renaissance des Politischen« an.

Solche Sätze kommen bei vielen Gewerkschaftern gut an. Ähnlich sprach aber auch Schulte zu Beginn seiner Amtszeit. In Zeiten des wachsenden Unmuts über die Folgen dessen, was Globalisierung genannt wird, sind solche Statements eine Pflichtübung für jeden, der sich links der Mitte wähnt. Sommer wird sich etwas einfallen lassen müssen, um seinen Bekenntnissen Taten folgen zu lassen.

Es wird darauf ankommen, ob es ihm gelingt, Themen wie die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Gleichstellung von Frauen und Männern politisch zu platzieren. Wenn Sommer die Bundesregierung zu aktiver Arbeitsmarktpolitik bewegen möchte, muss er darlegen, ob er damit den sozialstaatlichen Interventionismus meint. Soll der Keynesianismus ein Comeback erleben?

Außerdem muss Sommer die Führungen der Mitgliedsgewerkschaften und die immerhin noch verbliebenen 7,8 Millionen Gewerkschaftsmitglieder hinter sich bringen. Denn ohne Druck von unten wird alles so bleiben, wie es ist. Damit dieser Druck aber überhaupt möglich wird, müssen zunächst die aktiviert werden, die sich resigniert zurückgezogen haben.

Das sind eben die Gewerkschaftsmitglieder, die sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren verraten und verkauft gefühlt haben. Zu oft wurden sie von den Gewerkschaftsführungen beruhigt oder sogar verschaukelt.

Dafür sorgte nicht zuletzt der Funktionär Dieter Schulte. Mit Äußerungen zu einer möglichen 50-Stunden-Woche, zur Lohnzurückhaltung und zum Bündnis für Arbeit hat er die Mitglieder mehr als einmal verprellt. An der Basis wird ihm auch seine Nähe zur Sozialdemokratie übel genommen. Hier jedoch ist für Kontinuität gesorgt: Sommer ist SPD-Mitglied, sein politisches Vorbild ist der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann.

Das Vertrauen der Gewerkschaftsmitglieder wird Sommer nur dann zurückerobern können, wenn die Gewerkschaften nicht mehr wie derzeit immer nur auf Entwicklungen reagieren, sondern zum eigenständigen Agieren zurückfinden.

Ganz oben auf der Tagesordnung steht natürlich die Frage nach den Löhnen. Seit über zehn Jahren sind die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten nicht mehr gestiegen. Die allseits ersehnte Erhöhung der Löhne wird nur mit entschlossenen Streikbewegungen möglich sein. Davon muss Sommer seine Kollegen in den Mitgliedsgewerkschaften überzeugen, damit diese die Mitglieder überzeugen können. Und er muss dem gesellschaftlichen Druck standhalten, der in Deutschland auf die Gewerkschaften beim zaghaftesten Streikversuch ausgeübt wird.

Es wird darauf ankommen, ob es Sommer gelingt, den DGB aus der Bedeutungslosigkeit zu führen. Dazu gehört, endlich die Frage zu klären, wie es mit dem ungeliebten Bündnis für Arbeit weitergehen soll. Selbst aussteigen wollen die Gewerkschaften nicht, denn dann würden sie als Blockierer und Verhinderer bezeichnet. Verhalten sie sich hingegen so, dass die Unternehmer das Bündnis verlassen, könnte es heißen, die Gewerkschaften hätten die Arbeitgeber gezwungen, das Bündnis aufzukündigen.

In dieser entscheidenden Frage kann Sommer zeigen, ob er überhaupt dazu in der Lage ist, die »Lufthoheit der Arbeitgeber in sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen« zu beseitigen, wie er es angekündigt hat. Zunächst gab er sich in der vergangenen Woche defensiv. Er wolle am Bündnis für Arbeit festhalten. Das hört sich eher nach einem kurzen Sommer der Euphorie an.