Die Sparpläne des rot-roten Senats

Bad Governance

Berlin könnte ein zweites Porto Alegre werden. Oder ein zweites Buenos Aires. Aspekte der Globalisierung in Berlin beschreibt

Berlin soll sparen, bis es quietscht. So hat es der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) versprochen. Und wie es aussieht, wird es nicht nur quietschen, sondern auch brummen, grunzen und tschilpen. Denn in der vorigen Woche verriet Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) dem Berliner Kurier, dass Berlin zwei Zoos habe, was einer zu viel sei. Heilige Bären gebe es angesichts der gigantischen Schulden nicht. Man stelle sich vor, Berlins unfruchtbare Pandabärin ist demnächst auch als original Berliner Currywurst erhältlich. Im Krieg wurden ja auch die Zootiere gefressen. Und die beiden Zoos sind schließlich Relikte des Kalten Kriegs. Aber wenn es um Polizeigäule und -musikanten geht, gehen die Berliner von der B.Z. bis zu den grünen Politaktivisten auf die Barrikaden. Insofern müsste das Sparen Sarrazin eigentlich leicht fallen. Es ist tausend Mal einfacher, eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft zu zerschlagen, als traditionsreiche Pferdeensembles zum Abdecker zu bringen. »Die Schokoladenhasen«, sagte Sarrazin zu Ostern, »bleiben im Schrank, weil es mir Leid tut, sie zu enthaupten.« Morddrohungen gegen Kuscheltiere helfen, um andere Sparmaßnahmen durchzubringen. Sarrazin geht dabei besonders trickreich vor. Um die Entlassungen im öffentlichen Dienst durchzusetzen, warnt er erstmal die Gewerkschaften. Wenn der geplante »Solidarpakt« zwischen diesen und dem Senat scheitere, müsse der Senat »alle nur denkbaren Alternativen und Mittel« einsetzen. »Betriebsbedingte Kündigungen« wären die letzte Lösung, sollten die Gewerkschaften nicht freiwillig den Kündigungen zustimmen. Sehr solidarisch, dieser Pakt. Und privatisiert wird derweil der ganze Rest: Wohnungsbaugesellschaften und die Berliner Stadtreinigung, die S-Bahn soll mit den Berliner Verkehrsbetrieben fusionieren. Die Vertreter der Lohnabhängigen bei der Bankgesellschaft Berlin haben schon verstanden. Sie willigten in der vergangenen Woche darin ein, dass 4 000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz bis 2005 auf »sozialverträgliche« Weise verlassen. Dafür stimmt dann das Abgeordnetenhaus der vom Senat vorgeschlagenen Haftungsübernahme für die Risiken im Immobilienbereich der Bankgesellschaft zu, die im »worst case«, wie Sarrazin meinte, bis ins Jahr 2030 rund 35 Milliarden Euro betragen könnten. Mit der Einsparung von 250 Millionen Euro bei der Sozialhilfe ist es angesichts solcher möglichen Beträge wohl nicht getan. Da in den vergangenen Jahren schon eine Menge Tafelsilber in Privathände verschwunden ist, fragt sich, wo Berlin eigentlich sonst noch sparen will. Und der Senat scheut sich, vor dem Bundesverfassungsgericht finanzielle Hilfe vom Bund einzuklagen, wie es Bremen und das Saarland erfolgreich vorgemacht haben. Heidi Knake-Werner, die Senatorin für Soziales von der PDS, ahnt, dass auch in Berlin die Globalisierung Einzug gehalten hat. Wehmütig schaut sie nach Porto Alegre und dem dort praktizierten partizipativen Budget. Bürgerbeteiligung statt Sparterror, das dürfte die Wählerschaft der PDS freuen. Weniger das, was Knake-Werner in der taz verkündete und was inzwischen wohl als Credo des Neuen Berlin zu bezeichnen ist: »Das Problem ist, dass es nichts zu verteilen gibt.« Porto Alegre hört sich da schon besser an. Der Hinweis auf die Globalisierung scheint zukunftsträchtig. Berlins Probleme könnte man auch als Folge der Globalisierung betrachten, denn was ist der Kollaps einer staatseigenen Bank anderes? Ein Blick nach Argentinien genügt. Zudem ist die abzutragende Berliner Schuldensumme von rund 40 Milliarden Euro durchaus dem Schuldenberg eines durchschnittlichen Landes der Dritten Welt vergleichbar. »Bad governance«, sagt man dazu. Zunächst einmal würde sich der Internationale Währungsfonds einschalten. Er würde dem Land Berlin einen rigiden Sparkurs und stabile Wechselkurskriterien der Landeswährung mit dem US-Dollar verpassen. Dazu käme ein Controlling, dass dem einer großen Firma gliche. Um Berlin wieder auf die Beine zu bringen, würde McKinsey Berliner Arbeitsabläufe und Betriebsstrukturen checken lassen. Das Ergebnis aber hieße wie eh und je: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Wilmersdorf und Grunewald dürften Eigentum der Telekom werden. Neukölln und Wedding aber würden entweder wegrationalisiert oder unter Aufsicht des Bundes gestellt, solange dort keine bosnischen Verhältnisse herrschten. Sollten diese wider Erwarten eintreten, würden internationale Schutztruppen unter Beteiligung der Bundeswehr für Ruhe sorgen. Niemand braucht, und da hätte der Senat jetzt schon ein schönes Sümmchen eingespart, unter diesem Aspekt so etwas Antiquiertes wie den Öffentlichen Nahverkehr. Während in privatisierten Stadtteilen ein Fahrdienst eingerichtet werden kann, wird es am Hermannplatz wie in dem Film »Mad Max« zugehen: Horden asozialer Verbrecher kloppen sich ums Benzin für selbst gebastelte Fahrzeuge. Können sie ruhig, Neukölln wird sowieso eingezäunt. Dass keiner rauskommt, dafür sorgt ein höherer Etat bei den Sicherheitskräften. Global action, Kapitalströme, Konzerne: Berlin würde nicht mehr nur am 1. Mai Touristen anziehen, sondern die Globalisierungskritiker über das ganze Jahr. Beim Berliner Wirtschaftsgipfel würde es heißen: »Wedding, Mitte, Tempelhof - wann immer der Senat, die LBB und die Bewag oder die Bezirksbürgermeister zu Gipfelkonferenzen rufen, gehen Zehntausende auf die Straße. Ihr Portest richtet sich gegen die wachsende soziale Ungleichheit in Berlin, gegen die Berliner Globalisierung, die nur an mächtigen Wirtschaftsinteressen orientiert ist. Wir verstehen uns als Teil dieser Berliner Bewegung« (Attac). Doch das sind die Szenarien der Zukunft. Heute wäre es erstmal angebracht, für Berlin keinen Schuldenbericht, sondern einen Reichtumsbericht zu erstellen. Einen Bericht über die, die an der Armut anderer verdienen. Denn Berlin produziert - kaum zu glauben - auch Wohlstand, wenn auch für wenige. Und deren Credo lautet: »Eure Armut kotzt uns an.«