Nach dem Arabischen Gipfel in Beirut

Nebulöse Formeln

Einstimmig hat die Arabische Liga eine Friedensresolution verabschiedet. Doch in der Frage des Rückkehrrechts palästinensischer Flüchtlinge ist sie bewusst vage gehalten.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, ist ein höflicher Mensch. »Weisheit, Kompetenz und Verantwortungsgefühl« bescheinigte er dem Gastgeber, dem libanesischen Staatspräsidenten Emile Lahoud zum Abschluss des Arabischen Gipfels am vergangenen Donnerstag in Beirut.

Doch kaum einer der Anwesenden dürfte dieses Lob nach dem Eklat um die Direktübertragung der Rede von Palästinenserpräsident Yassir Arafat geteilt haben. Es wird wohl ungeklärt bleiben, ob Lahoud die Direktschaltung nach Ramallah wirklich aus Angst vor technischen Problemen und israelischer Einmischung oder doch aus politischen Erwägungen und vielleicht auf syrischen Wunsch verhindert hat. Jedenfalls hat der beleidigte Auszug der palästinensischen Delegation aus dem Sitzungssaal deutlich gemacht, dass es mit der arabischen Einheit nicht weit her ist.

Und auch die einstimmig verabschiedete Friedensresolution kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus unterschiedliche Vorstellungen vom Umgang mit Israel gibt. So erklärte der syrische Präsident Bashir al-Assad gleich nach dem Ende der Konferenz vor Journalisten, die Friedensinitiative stelle nur einen ersten Schritt dar, dem weitere, detailliertere folgen müssten. Letztlich dient der Text, wie auch der saudi-arabische Außenminister Prinz Saud Faisal auf der abschließenden Pressekonferenz erklärte, vor allem dazu, einen Schritt vorwärts zu tun und den arabischen Friedenswillen zu bezeugen. Demonstrativ hatte sich Kronprinz Abdullah mit seiner Rede direkt an die israelische Bevölkerung gewandt, Yassir Arafat hatte in seiner im Fernsehen übertragenen Ansprache ein frohes Pessachfest gewünscht, während der Hardliner Assad den Gipfel dazu benutzte, Israels Politik gegenüber den PalästinenserInnen als »neuen Holocaust« zu bezeichnen und Angriffe auf israelische ZivilistInnen damit zu rechtfertigen, dass »in Israel alle bewaffnet sind«.

Ungeachtet dieser aggressiven Töne stellt die Friedensinitiative insofern einen Fortschritt dar, als sich erstmals alle arabischen Staaten auf die palästinensische Minimalforderung nach einem israelischen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten einlassen und nicht mehr auf den Teilungsplan der Uno von 1948 zurückgehen wollen. Dabei sind der einhelligen Erklärung hinter den Kulissen zähe Verhandlungen vorausgegangen. Die Abschlusssitzung des Gipfels hatte mit Verspätung begonnen, weil die libanesische Delegation eine schärfere Formulierung zur Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in der Vorlage haben wollte. So ist nun nicht nur von einer »gerechten Lösung entsprechend der UN-Resolution 194« die Rede, abgelehnt wird jede palästinensische Ansiedlung, »die nicht mit der besonderen Situation der arabischen Gastländer vereinbar ist«.

Ein kleiner Erfolg für den Libanon, der hier den Knackpunkt jedes Arrangements mit dem Nachbarstaat Israel sieht: Sogar in der Verfassung ist festgeschrieben, dass die palästinensischen Flüchtlinge nicht dauerhaft angesiedelt werden sollen. Und fast alle der ansonsten in kaum einer Frage einigen politischen Kräfte im Land lehnen die Einbürgerung ab, wenn auch mit verschiedenen Begründungen. So wird behauptet, die Flüchtlinge wollten sowieso nichts lieber, als an ihren Herkunftsort (bzw. in die Heimat ihrer Eltern oder Großeltern) zurückkehren; außerdem würde ihre Ansiedlung bedeuten, den Druck auf Israel zu verringern.

Hinter den scheinbar palästinenserfreundlichen Argumenten stehen jedoch egoistische Überlegungen. Vor allem christliche und schiitische Gruppen fürchten durch die Einbürgerung der vorwiegend sunnitischen PalästinenserInnen einen Machtverlust im fragilen konfessionalistischen System des Libanon. Außerdem wecken die Erinnerungen an den 1991 beendeten Bürgerkrieg die Furcht davor, militante palästinensische FriedensgegnerInnen könnten den Libanon zur Basis für Aktionen gegen Israel machen.

Und viele LibanesInnen wollen einfach nicht den in Zeiten der Wirtschaftskrise sowieso schon knappen Kuchen mit den PalästinenserInnen teilen. Schließlich lebt mehr als die Hälfte von ihnen noch immer unter elenden Umständen in Flüchtlingslagern - ein höherer Anteil als in Gaza und in allen anderen arabischen Gaststaaten. Nicht nur die Einbürgerung wird ihnen verwehrt. Auch viele Berufe können sie nicht ergreifen, da sie Berufsverbänden angehören müssten, die nur LibanesInnen offen stehen. Erst im vergangenen Jahr hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den PalästinenserInnen das Recht auf Immobilienbesitz abspricht. Der Chefredakteur des Magazine, einer der rechten christlichen Opposition nahe stehenden Zeitschrift, schreibt deutlich, warum die PalästinenserInnen nicht integriert werden sollen: »Der Beitrag dieser Zehntausenden zur Wirtschaft wäre verheerend. Die Arbeitslosenquote würde steigen, das Pro-Kopf-Einkommen sinken (...) Kurz, der Libanon könnte unglücklicherweise zu den allerärmsten Ländern gezählt werden.«

Auch Hassan Krayem von der Demokratischen Plattform, einem Zusammenschluss linker unabhängiger Gruppen, erklärte der Jungle World, dass er keine Möglichkeit für die Flüchtlinge sieht, im Libanon zu bleiben: »Sie sollten entweder zurückkehren oder in Länder gehen, in denen sie sich gleichberechtigt fühlen. Diesen Status hatten sie nie im Libanon und werden ihn auch nie haben.« Angesichts der leeren Staatskasse vermuten aber manche doch, dass sich die libanesische Regierung trotz demonstrativer Ablehnung auf Verhandlungen einlassen könnte. Mit dem Text der Friedensinitiative hätten die arabischen Staaten signalisiert, dass sie für den vollständigen Abzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten einen Kompromiss beim Recht auf Rückkehr eingehen könnten, schreibt die linke propalästinensische Tageszeitung al-Safir. Sie befürwortet die Einbürgerung unter anderem deshalb, weil der Libanon dafür einen Schuldenerlass aushandeln könnte - bei 29, 5 Milliarden Dollar Staatsschulden, ein Weltrekord von 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ein nicht zu vernachlässigendes Argument. Ob Libanons Schutzmacht Syrien das allerdings auch so sieht, ist fraglich.

Die so einhellig wirkende Friedensinitiative wird also in den nächsten Monaten noch Anlass für einige innerarabische Auseinandersetzungen liefern. Der entscheidende Punkt des Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge wurde offenbar bewusst unklar formuliert. Die Formel »gerechte Lösung« und der Bezug auf die Resolution 194 der Uno-Generalversammlung von 1948, die eine finanzielle Entschädigung der Flüchtlinge verlangt, »die es vorziehen, nicht zurückzukehren«, können bei wohlwollender Interpretation als Kompromissangebot an Israel verstanden werden. Es sei die Sache der »interessierten Parteien«, über Details zu verhandeln, erklärte Faisal nach dem Gipfel.

Mäßigend hat der Gipfel in Beirut zumidest in einem innerarabischen Konflikt gewirkt. Die seit dem zweiten Golf-Krieg andauernden Streitigkeiten zwischen Irak und Kuwait scheinen mit der Verpflichtung des Irak beigelegt, Kuwait nicht mehr anzugreifen. »Gute nachbarschaftliche Beziehungen« sollen nun zwischen den beiden Ländern entstehen. Und auch wenn Saddam Hussein nicht gerade als Friedensstifter gilt, könnte das doch schneller gehen als zwischen Libanon und Israel.