Palästinensischer Nationalismus

Schweigen ist Krieg

»Brecht die Verschwörung des Schweigens«, fordern in einem am Freitag veröffentlichten Aufruf palästinensische Intellektuelle und Politiker, unter ihnen Hanan Ashrawi und Azmi Bishara. Die »globale Zivilgesellschaft« soll sich unter anderem für einen Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu Israel und ein Ende der »Apartheid« einsetzen.

Angesichts der jüngsten Resolution des Uno-Sicherheitsrates, die Israel mit Zustimmung der USA zum Truppenabzug aus den palästinensischen Gebieten auffordert, kann die Behauptung, Regierungen hätten sich zum Schweigen verschworen, nicht recht überzeugen. Entscheidend aber ist, dass auch die zu den Gemäßigten zählenden Unterzeichner kein Wort des Bedauerns über den Tod israelischer Zivilisten finden und zu einer selbstkritischen Einschätzung der palästinensischen Politik offenbar unfähig sind.

Palästinensische Aktivisten, die die israelische Politik ebenso plakativ wie falsch als »Apartheid« bezeichnen, könnten vom südafrikanischen Befreiungskampf des ANC einiges lernen. Denn unabhängig von den konkreten Bedingungen kann der Kampf gegen einen militärisch überlegenen Feind nur dann Erfolg haben, wenn Gewalt als politisches Mittel zur Erreichung spezifischer Ziele eingesetzt und versucht wird, auf der Gegenseite Verbündete zu gewinnen.

Die bewaffneten palästinensischen Organisationen haben nie eine Strategie entwickelt, die über die vage Vorstellung hinausging, Israel durch Gewalt zu Zugeständnissen zu bewegen. Alle Beziehungen zur israelischen Linken oder der Friedensbewegung wurden von palästinensischer Seite abgebrochen. Dass ein mehr und mehr mit terroristischen Mitteln geführter Kampf die israelische Rechte stärkt, scheint auch nach 18 Monaten perpektivloser Auseinandersetzungen nicht reflektiert zu werden.

Die nationalistischen Bewegungen der antikolonialen Epoche hatten eine Vorstellung von Befreiung, die sich nicht in der Staatsgründung erschöpfte. Dies schien zunächst auch bei linken palästinensischen Organisationen wie der PFLP und der DFLP so zu sein, die sich in den siebziger Jahren als Avantgarde einer arabischen Revolution verstanden. Doch schon damals eher radikal nationalistisch als sozialistisch, pflegten sie einen militaristischen Männlichkeitskult, von dem sie glaubten, dass er beim »Volk« gut ankommen würde. Sie agitieren in Wort und Tat gegen die angeblich zu große Kompromissbereitschaft der palästinensischen Bourgeoisie gegenüber Israel. Der Klassenkampf aber wurde hinter die gemeinsame Vertretung der nationalen Sache zurückgestellt, und an gesellschaftliche Themen wie eine Kritik der repressiven Familienstrukturen wagte man sich nicht heran.

So konnte die Linke der erstarkenden islamistischen Bewegung wenig entgegensetzen, nachdem diese sich 1987, zu Beginn der ersten Intifada, für den offensiven Kampf gegen Israel entschieden hatte. Die Kompromisslosigkeit und die Opferbereitschaft der Islamisten waren unschlagbar, und gegen die Korruption der palästinensischen Bourgeoisie und die USA waren sie auch. Mitte der neunziger Jahre verbündeten sich die Linksnationalisten dann mit den Islamisten. Heute ist mit der Al Aqsa-Moschee ein religiöses Bauwerk zum zentralen Symbol des palästinensischen Kampfes geworden.

Sharons Politik hat zur Eskalation beigetragen, und die öffentliche Demütigung Arafats dürfte nationalistische Emotionen weiter anheizen. Dass es auf palästinensischer Seite nur wenig öffentlichen Widerspruch gibt, wenn alle Israelis, und immer häufiger alle Juden, zu Feinden erklärt werden, ist jedoch vor allem eine Folge innergesellschaftlicher Entwicklungen. Und erst wenn diese »Verschwörung des Schweigens« gebrochen und der nationalistische Burgfrieden aufgekündigt wird, können die Palästinenser jene Partner in der israelischen Gesellschaft finden, die einen Frieden möglich machen.