War Jodie Foster in Hannover?

Jodie mitnehmen

Eine Begebenheit aus der Welt der Filmstars und Fans.

Irgendwann reicht es. Einmal muss Schluss sein. Ich meine, fast alle ihre Theorien darüber, welche Rolle »Jodie« im Schöpfungsplan spielt, hätten wir noch wegstecken können. Und dass sie sich auf diesen David-Fincher-Film mit einer Vehemenz gefreut hat, als wäre Kubrick auferstanden, obwohl sie im Kino während »Fight Club« dauernd geflüstert hat, Helena Bonham-Carter sei »ein gezielter Rückfall in eine Weiblichkeitswelt, in der die titularische Unterscheidung zwischen Frau und Fräulein noch Sinn gemacht hat, eine üble Provokateurin«, war vorhersehbar.

Denn: »In dem neuen Film spielt Jodie mit! Jodie!«

Auch dass sie uns dauernd weismachen will, »Jodie« (unangenehm, diese projektive Intimität, wenn Leute ihre Lieblings-Stars beim Vornamen nennen!) könne einfach nichts falsch machen, ist letztlich annehmbar. Die beiden Spitzenleistungen in dieser Hinsicht waren bislang ihre Thesen, 1.) Fosters Verlangen danach, ausgerechnet Leni Riefenstahl in einer geplanten Verfilmung von deren Leben zu spielen, sei ein raffinierter Akt der »Aufhebung der ideologischen Spaltung politischer und künstlerischer weiblicher Biografien als von ganz verschiedenen Widerspruchs-Strata durchzogen, insofern die Konfrontation von Riefenstahls rassistischer Film-Ethnomethodologie und Jodies kühler Mimik diese Trennung einfrieren und objektivieren würde« (Heiliger Roland Barthes auf Toastbrot; wer erfindet nur immer die ganzen Wörter?) und 2.) »Jodies« Weigerung, in »Hannibal« zum zweiten Mal die FBI-Agentin Clarice Starling zu spielen, basiere auf »der Überlegung, dass die Irritationskraft des Roman-Endes bei einer Verfilmung in jedem Fall einer falschen Vereindeutigung als simple romantische Erfüllungsmythe zum Opfer fallen musste, ob man es ändert oder so lässt, wegen der Dialektik.« (Ach so).

Das hätten wir alles auch weiterhin gefressen. Wir wären d'accord damit gewesen, dass sie behauptet, man könne durch bloßes Anschauen von Foster-Filmen innere Verkrampfungen und Psychosomatosen auflösen: »Ehrlich, ist so. Besonders die frühen Sachen, dieser total süße Tom Sawyer-Film, aber auch 'Flucht in die Wildnis', diese blinzelnden Kinderstar-Erzeugnisse. Und als Gipfel dann der Moment, wo es entgegen allem, was Schelling und Hegel gedacht haben, völlig vermittlungsfrei umschlägt in hohe, frappierende Kunst, beim 'Mädchen am Ende der Straße', Sechsundsiebzig, Bang! Das anzugucken heilt jedes Nierenleiden!«

Von uns aus gern. Waren schon okay, diese endlos in Abschweifungen und überspannte Hymnen auslaufenden Bemerkungen über das, was wir anderen seufzend »ihren schrecklichen Jodie-Komplex« nennen. Aber als sie uns dann plötzlich erzählen wollte, sie hätte Jodie Foster zwischen Einbeck und Hannover nachts am Rande eines Ackers aufgelesen, per Anhalter mitgenommen, sich mit ihr über die Rolle der Frau im sich zersetzenden Popkapitalismus Spät-Hollywoods unterhalten (»Auf Deutsch?« »Auf Deutsch. Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber ich habe nie dran gedacht, dass das nicht stimmen kann. Sie hatte sogar ihre Synchronstimme, das ist anscheinend ihre echte, wenn sie deutsch redet!«) und sie anschließend mitten in der Nacht bei einer Stehpizzeria in der Hannoveraner Innenstadt abgesetzt ... das war dann doch zu viel.

Cat himmelt Jodie Foster schon seit der Schulzeit an - zirka seit der achten Klasse, 1984, als diese verunglückte John Irving-Verfilmung, »Hotel New Hampshire« mit »ihr« und Nastassja Kinski ins Kino kam. Die hat Cat sich mit 14 angeschaut, da war sie offiziell noch gar nicht »reif« dafür, wegen der ganzen Sexualscherze in dem Film. Jedenfalls hat es sie damals augenblicklich erwischt, richtige Liebe auf den ersten Blick, als würden wirklich von den Dingen, wie in Epikurs Philosophie, so kleine Bildchen ausgesandt, »Eidola«, die sich dann im Auge und im Hirn festsaugen.

Das Eidolon »Jodie« hat sich also in Cats Herz reingebissen, und da hockt es jetzt, wackelt mit den Ohren und grinst schlau. Vielleicht war's legitimes Sich-Unterscheiden-Müssen für Cat. Die anderen Mädchen bei uns fanden ja eher Barbara Streisand oder diese Flashdance-Tante das Größte; Cat stand oft draußen, auch wegen ihres prätentiösen Vornamens, für den sie nichts kann - was sind das für Eltern, Literaten hin oder her, die ein Kind 1970 in Südbaden mal eben »Catriona« nennen? (Wie anders wäre die Medienkarriere von Florian Illies doch verlaufen, wenn er mit Vornamen »Winnetou« heißen würde!)

Seitdem also müssen wir, Cats Freundinnen und Freunde, dieses Kreuz tragen: Jodie dies, Jodie jenes.Sie räuspert sich vor solchen Sätzen immer, ganz leise, aber davon wird es auch nicht besser: »Ich meine das ganz wörtlich, dass Jodie ein Engel ist. Überlegt doch nur mal, wofür die Engel im Neuen Testament stehen, was die da machen. Sie erfüllen die Gerechtigkeit, gießen die Schale aus, geben die Signale, sie weisen hin auf die sternenbekränzte Frau, die auf dem Mond steht, öffnen dem Seher die Augen - ist das nicht genau das, was Jodie gemacht hat, wenn man sich anschaut, wie sie die Rolle in 'Angeklagt' gespielt hat, und dann wird sie selber die Gerechtigkeit, im 'Schweigen der Lämmer', habt ihr euch da diese Zeichnung mit dem Lamm genau angeschaut, die Lecter gemacht hat, und danach musste Jodie logischerweise im nächsten Schritt auf Carl Sagans sternenbekränzte Ellie Arroway in 'Contact' hinweisen, also, ich meine, ist das nicht alles sowas von klar?«

Nicht ganz, um ehrlich zu sein. Aber wir trauen uns schon gar nicht mehr zu widersprechen. Nicht seit der Anhaltersache.

Man muss sich das nur mal vorstellen: Cat fährt da also nachts in ihrem dunkelblauen VW Polo die Landstraße lang, hat ein Klassik-Tape im Kassettenfach (das nervt auch immer, Cats Waldstein-Sonaten und Kammerkonzerte und so; meint sie denn, sie wär' was Besseres als wir, die im Auto die Pet Shop Boys oder Master P oder Right Said Fred hören?), und da steht also eine Frau mit einem riesigen schwarzen Rucksack am weißen Kilometerstein.

Signalgelbe Jacke, angeblich. Cat hält an, als sie das Pappschild sieht, das die Frau hält: »Hannover«. Die Frau guckt misstrauisch rein (»Nur vernünftig«, sagt Cat, »wenn ich Jodie wäre, würde ich auch nicht zu jedem x-beliebigen Til Schweiger ins Auto steigen.«)

Cat erkennt, dass es Jodie ist (»Ich war gar nicht aufgeregt. Mir war immer klar, dass ich sie mal treffen würde. Und sie kann überall hin, wo sie hin will. Ist schließlich ein Engel«), klopft auf den Beifahrersitz, ganz vorsichtig: Magst du einsteigen?

Jodie lacht, nimmt den Rucksack ab, während Cat den Sitz nach vorn klappt, zusammen schieben sie das Riesenteil nach hinten. Jodie steigt ein. Es ist dunkel, und die zwei fahren die lange, gerade Straße durch die Nacht, reden dabei wie alte Freundinnen miteinander. Keine weiß, im Grunde, wo die andere hin will, abgesehen von »Hannover«. Cat stellt ihre Fragen, vorsichtig und höflich: Ob de Niro nicht eigentlich ein ziemlich dummer Tannenzapfen ist, über Harvey Keitels Haare (»War das die echte Farbe?«), und irgendwann ...

»Irgendwann reden wir über alles Mögliche. Politik. Angst. Filme allgemein. Darüber, dass die Herrschsucht der Reize im Hollywoodkino nicht mal mehr eine Maske hat, sondern immer mehr aussieht wie die Harmlosigkeit von Tom Hanks. 'Da spielen immer mehr Stumme mit immer mehr Tauben über nichts für niemanden', hat Jodie gesagt. Sie wollte sogar meine Telefonnummer.« Im Ernst, kann das Leben so sein? Dermaßen hübsch, ganz und gar unglaubwürdig?

Klar, ich war auch da, bei Cat, neulich Abend. Als sie uns allen das Anrufbeantworterding vorgespielt hat. Es war wirklich diese Stimme, die man aus den deutschen Fassungen der Filme kennt. Sie hat Cat eingeladen. Das Ticket wollte sie ihr schicken. Mal so eine Woche drüben, bisschen rumziehen. Aber was würde das beweisen, wenn wirklich so ein Ticket in Cats Briefkasten liegt? Wenn sie in die USA fliegt? Wie viel Aufwand treibt man für das bisschen Sternenhimmel in so einem ganz normalen Fan-Leben, wegen dessen komisch besessenem Funkeln die besten Freunde schon langsam beunruhigt sind?

Sie will natürlich allein fliegen. Wir beraten schon, ob wir jemand heimlich hinterherschicken wollen. Und versuchen dabei zu verstehen, was da passiert, ohne mit irgendwelchen Ärzten und Therapeuten Kontakt aufzunehmen, dadurch würde es sicher schlimmer.

Vielleicht ist es letztlich doch harmlos. Aber wir müssen es verstehen, deshalb treffen wir uns jetzt öfter, ohne Cat. Wir reden, essen, trinken. Und schauen uns Filme mit Jodie an.

Die meisten sind wirklich gut, das macht es leicht.