Im falschen Film

Kolonien des Blicks

Louis Brody und die schwarze Präsenz im deutschsprachigen Kino vor 1945.

Die Geschichte von Menschen afrikanischer Herkunft hat auch im deutschsprachigen Kino deutliche Spuren hinterlassen. So »unsichtbar« Schwarze in Deutschland lange Zeit zwangsweise blieben, so deutlich sichtbar waren sie auf der Leinwand. Doch gerade diese Sichtbarkeit trug dazu bei, ihnen jegliche Individualität abzusprechen. Waren schwarze Schauspieler im Kino zu sehen, dann hatten sie immer für ein Bild einzustehen, das schon lange vor ihnen existierte. Ihre Kino-Geschichte ist eine Geschichte weißer Phantasien und Projektionen: Pagen, Barmänner, Butler, Musiker, Matrosen, Tänzer, Boys, Portiers, Chauffeure, »Wilde« - es waren immer die gleichen Stereotype, die schwarze Menschen im deutschsprachigen Kino zu erfüllen hatten. Es waren Bilder, die von einem weißen Überlegenheitsanspruch kündeten, oft auch von Neid oder Verachtung. Zugleich sind diese Bilder aber auch historische Dokumente sowohl der Alltagsrealität wie der Präsenz Schwarzer in Deutschland.

Es gibt kaum schwarze Berliner vor 1945, die wegen des vorherrschenden Rassismus innerhalb der deutschen Bevölkerungsmehrheit und ökonomischer Ausschlussmechanismen nicht die gelegentliche oder hauptberufliche Beschäftigung als »Artist« in der Unterhaltungsindustrie oder in der Gastronomie aufzuweisen hätten. Mit der Dominanz männlicher Rollen bildet sich wiederum die geschlechterspezifische Mobilität innerhalb der kolonialen Migration filmisch ab.

Welche Rolle das Kino in seiner über hundertjährigen Geschichte dagegen für schwarze Deutsche spielte, ob als Darsteller oder als Zuschauer, darüber sind kaum Zeugnisse erhalten. Es ist vermutlich zu spät, die Rolle des Kinos als Teil einer subjektiven Erfahrung zu rekonstruieren. Und auch zur konkreten Interaktion zwischen Filmindustrie und nichtweißen Darstellern existieren nur wenige Quellen; frei von rassistischen Vorurteilen sind sie selten. Dass jedoch nichtweiße Schauspieler eine Rolle nicht zuletzt im Bewusstsein des weißen deutschen Kinopublikums spielten, steht außer Frage. Anders als in den USA, Großbritannien oder Frankreich kam dieses Bewusstsein weitgehend ohne einen Bezugspunkt in der Realität aus. Konkrete Namen findet man in den Zensurkarten, Kritiken und anderen Quellen nur wenige; im Bereich der Komparserie ebensowenig wie bei den Einzelrollen. Die Stereotypisierung der Rollenbilder setzte sich so in der Verweigerung einer mit einem Namen verbundenen Identität fort.

Eine »unerhörte Echtheit«

Umso erstaunlicher ist es, was die Zeitschrift Film-Kurier zu Beginn der zwanziger Jahre in einer vehement rassistischen Glosse vermeldete. In einem als »Groteske« gekennzeichneten »Feuilleton« erzählt dort Martin Proskauer die Geschichte des »Herrn Neger Mpumpu«: »Ein Filmregisseur suchte 20 Neger, wo sie zur Erzielung unerhörter Echtheit als dunkle Ehrenmänner mitwirken sollten. Beim Absuchen der Friedrichstraße stieß der Filmmann auch auf Mpumpu. Nun war sein Glück gemacht. Von jetzt an gab es fast täglich Aufnahmen. Mpumpu hatte nichts zu tun als in schönen Kleidern mit goldenen Tressen herumzustehen, einmal langsam durch lauter weißes Sonnenlicht (die leuchtende Zukunft - die Prophezeihung!) zu spazieren und wieder zu warten. (...) Aber noch weiter aufwärts führte Mpumpus Weg. Er hatte manchmal Einzelrollen zu spielen, ließ sich Visitenkarten drucken, trug hohe Kragen, rote Schlipse und hellgelbe Schuhe und war bald als der fesche Mpumpu bekannt. Auch filmte er nicht mehr unter 200 Mark pro Tag, Überstunden extra (Außenaufnahmen weiterer Extrazuschlag, weil die Luft seinem Teint schaden konnte).

Und eines Tages verliebte sich eine Dame in sein Filmbild. Frau Witwe Dietsch, Schlachtereibesitzerin (in Kollegenkreisen mit dem Spitznamen 'Das-achtzig-Taler-Pferd' hochachtungsvoll zubenannt) sah ihn im Filmpalast, verliebte sich in seine edel männliche Erscheinung (weitere Erklärung der diesbezüglichen Gefühle siehe sämtliche Werke der Frau Courts-Mahler), forschte seine Adresse aus, suchte ihn auf und heiratete Mpumpu vom Fleck weg. Mpumpu war eine Seele von Mensch, behandelte seine Frau zärtlich, war ihr treu und wartete, bis er endlich das Versteck für die Tageskasse heraus hatte. Es war das zweite Kopfkissen in Frau Mpumpus Bett. In der nächsten Nacht trat Mpumpu an die Ruhestatt seiner Gattin, betrachtete liebevoll die sonst so sympathischen Züge, griff ihr mit der linken Hand an den Hals, um die Schlafende vor Erschütterungen zu bewahren, mit der rechten in das Kopfkissen Nummer zwei und entschwand in dem zu seiner Hautfarbe passenden Dunkel der Nacht. Als Frau Dietsch (gewesene Frau Mpumpu) das Krankenhaus wieder verließ, war Herr Mpumpu längst in seine tropische Heimat zurückgekehrt.

Er begab sich stracks (...) in den Urwald von Ruanda und gründete dort mit dem schwer erworbenen Geld ein großes Filmunternehmen, die Mittelafrikanische-Urwald-Film-Aktiengesellschaft (kurz: Mufa genannt). Leider florierten die Kinos nicht so recht. Die Neger gingen nicht hinein, weil sie die Zwischentitel nicht verstanden, die Orang-Utans gingen prinzipiell nicht ins Kino, die Mandrille fürchteten auf den harten Bänken für ihre schön bunten Sitzflächen - kurzum, es ging kein Affe ins Kino und Mpumpu machte elend Konkurs, in der Negersprache pleite. Das ist die Geschichte von Herrn Mpumpus Glück und Ende.« (1)

Proskauers Auslassungen sind hinsichtlich der Konstruktionsweisen von »Rasse« in der Filmkultur der frühen zwanziger Jahre aufschlussreich. In ihnen wird deutlich, dass der gefilmte schwarze Körper für weiße Zuschauer vor allem ein Authentizitätsversprechen darstellte und somit schwarze Darsteller nicht »Schauspiel«, sondern »Natur« anzeigten, deren reproduzierte »Echtheit« das neue Medium feierte; dass das Kino als »Lichtbild« selbst auf Seiten der »Kultur« gegen diese »dunkle Natur« in Anschlag gebracht wird; dass der gefilmte schwarze Körper als männlicher eine sexuelle Drohung formulierte, die mit allen rhetorisch zur Verfügung stehenden Mitteln gebändigt werden musste.

»Das Fernrohr nach Afrika wurde von Weißen aufgestellt, aber es zeigt auch durch Afrika wieder auf kannibalisch heiße Wünsche der Weißen«, so formulierte es Ernst Bloch 1930 pointiert in einer Filmkritik, die vielleicht als erste die imaginäre Funktion von blackness im Kontext der Weimarer Filmrezeption analysierte. (2) Zugleich aber erlaubt sich Proskauer eine für den Diskurs dieser Jahre ungewöhnliche Individualisierung, auch wenn sie sich allein aus den literarischen Notwendigkeiten des Formats begründen mag. Seine fiktive Figur »Mpumpu« wird immerhin als Person dargestellt; von Gagen und Visitenkarten ist die Rede. Ob Proskauers Polemik verschiedene Biografien synthetisiert oder auf einem realen Vorbild basiert, ist unklar.

Obgleich sich verschiedene schwarze Deutsche anhand von Fotos im Kino der Weimarer Republik identifizieren lassen, Anjo Diek, Theodor Wonja Michael, Volde Tadek oder der Kinderdarsteller Willy (Mac) Allan, kann von Proskauer jedoch nur einer gemeint sein: der unter seinem Künstlernamen bekannte Schauspieler, Musiker, Tänzer, Ringer und Sänger Louis (Lewis) Brody (1892-1951). Eine ähnliche Prominenz, die sich in Filmkritiken oder der Namensnennung im Vorspann und in Presseheften niederschlug, erlangten nur sehr wenige nichtweiße Schauspieler, etwa die Asiaten Henry Sze und Nien-Sön Ling oder die »Kreolin« (3) Madge Jackson.

Brody ist jedoch der einzige, der in »Grenzdorfs Internationalem Film-Lexikon« von 1960 erwähnt wird. Die Eintragung lautet knapp: »Schauspieler (Neger)«. Seine über 50 Filmrollen stellen somit eines der wichtigsten Zeugnisse vom Bild Schwarzer in der deutschsprachigen Populärkultur dar. Ein geradezu »manichäischer Gegensatz« zeichnet sie gegenüber den weißen Figuren aus, der kaum Platz für eine Alternative zwischen den Polen »Feind« und »Knecht« lässt. (4) Mit Brody lässt sich, um eine bekannte Formulierung Sander L. Gilmans umzukehren, »blackness with blacks« schreiben, um stellvertretend all denen einen Namen zurückzugeben, die lediglich als dekoratives Element in die Geschichte des deutschen Kinos eingingen.

»Von einem riesenhaften Neger getötet«

Am 15. Februar 1892 in Duala/Kamerun als (Ludwig) M'bebe Mpessa geboren, kommt Brody unter bislang ungeklärten Umständen nach Deutschland und spielt bereits 1915 im Alter von 23 seine erste Rolle in Joe Mays Detektiv-Serie Joe Deebs, und zwar in der Episode »Das Gesetz der Mine«. Ein zeitgenössischer Rezensent berichtet über die Handlung des verschollenenen Films, dass eine der Hauptpersonen »unterwegs, als er den Kopf zum Wagenfenster herausstreckte, von einem riesenhaften Neger getötet worden war, und dass die Blutrache den Schwarzen dazu veranlasst hatte. Der Ermordete war nämlich Inspektor in einer Diamantenmine gewesen und hatte dort dem Vater des Negers, der Diamanten verschluckt hatte, nach dem Gesetz der Mine die Steine bei lebendigem Leibe herausschneiden lassen.« (5)

Ähnlich bedrohlich-dämonische Typen spielt Brody in der Folgezeit häufig. Sie alle folgen der Ikonografie des schwarzen Henkers, die sich über Franz v. Stucks symbolistische »Salome«-Darstellung bis in die christliche Malerei des Mittelalters zurückverfolgen lässt. (6) Auch in Robert Wienes expressionistischem Film »Genuine« (1920) wird »das gute Ensemble« durch »den Neger Lewis Brody vervollständigt.« (7) In der Tradition der Schauerromantik und des Fin-de-siècle-Exotismus erzählt der Film von der Vampirin Genuine (Fern Andra), die als »Sklavin« im Haus eines Sonderlings vom »riesigen Neger« Louis Brody bewacht wird. Als sich der Barbierlehrling Florian in sie verliebt, bändigt er mit einem »geheimnisvollen Ring die Rachegelüste des Negers«. Doch Genuine kann »ohne Blut nicht leben. Sie fordert Florians Tod. Sie hat ihm den Ring der Macht geraubt. Der Neger gehorcht. Trägt aber ein weißes Herz in seinem schwarzen Busen, stößt Florian in die Freiheit (...) öffnet sich selbst eine Ader und reicht sein Blut Genuine (...). Ihr Rausch aber ist verflogen: sie schleudert entsetzt den Becher von sich.« (8)

In der Figur Brodys findet sich hier fast programmatisch die rassifizierte Imagination des frühen deutschen Kinos: der sensationalistisch ausgekostete, sexualisierte Thrill der Begegnung einer weißen Frau mit einem »riesigen« schwarzen Mann. Der Thrill entsteht nicht zuletzt deshalb, weil in den zeitgenössischen medizinischen Diskursen sowohl die Frau als auch der Schwarze als »Natur« erscheinen; der white slavery-Topos; die »schwarze Gefahr«, die entlang der Achse Feind-Knecht domestiziert werden muss (»weißes Herz«), um in einem Blutopfer die weiße Vorherrschaft zu besiegeln; die obsessive Metaphysik des »Bluts«, das bei Strafe des »Entsetzens« nicht »vermischt« werden soll. Schließlich bringt Brody ein zweites, letztes Opfer. Der Mob kommt auf seine Kosten, die aufgebrachte Dorfbevölkerung dringt in das verwunschene Haus ein: »Der Neger fällt unter Sensenstreichen.« (10)

Ähnlich auch Brodys Rolle in der venezianischen Episode von Fritz Langs allegorisiertem »Balladenfilm« »Der müde Tod« (1921): Wieder spielt er einen Henker, diesmal den des Geliebten (Walter Janssen) der Heldin (Lil Dagover), die ihn sogar durch einen tragischen Irrtum zum Morden selbst bestellt hatte. Durch einen Filmtrick verstärkt Lang die Assoziation von »schwarz« und »Tod«. Dieser spielt, dargestellt von Bernhard Goetzke, die eigentliche Hauptrolle in Langs an romantischen »Volkslied«-Traditionen orientiertem Episodenfilm; durch eine Überblendung verwandelt Lang »den Mohr« (Zwischentitel) nach seiner Mordtat in den archaischen Sensenmann Goetzkes - Brody ist zur Verkörperung des Todes geworden. In »Der Dolch des Malayen« (1919) und »Genuine« wurde der Kameruner Brody als »Malaye« eingeführt, in Joe Mays achtteiliger Monumental-Serie »Die Herrin der Welt« (1919/20) tritt er als »Chinese« auf. Ungewöhnlich im Orientalismus-Komplex des frühen Weimarer Kinos ist das keineswegs. Das meist vor heimischen Kulissen inszenierte Film-Indien oder -Asien jener Jahre - ob in »Das Indische Grabmal« (1921), in dem Louis Brody ebenfalls zu sehen ist, oder in »Die Jagd nach dem Tode« (1920) - ist bevölkert von afrikanischstämmigen Komparsen in arabisierter »Mohren«-Ausstattung. Als reine Schauwerte nehmen sich diese monumentalen Bilder in ihrer Opulenz wie ein spätes Echo der mittelalterlichen Begegnung von Europa und Afrika in einem sagenhaften »Morgenland« aus.

Zugleich aber ist die Tendenz zur Zusammenfassung verschiedener Formen ethnischer Differenz in einem einzigen Bild des exotisierten »Anderen« Ausdruck eines ethnozentrischen Überlegenheitsgefühls, das Differenz als plurale, heterogene, nichthierarchische Kategorie verleugnet und mit zeitgenössischen weißen Ängsten vor einer »farbigen Gefahr« korrespondiert. (11)

Die Dreharbeiten zu Mays auf verschiedenen Kontinenten spielendem Abenteuerfilm wurden in der Presse sensationalistisch verfolgt, als handele es sich um die kinematografische Rache für Versailles. Betont wurde dabei auch immer wieder die vergleichsweise große Anzahl nichtweißer Komparsen, die die Dreharbeiten selbst zu einem Völkerschau-ähnlichen Spektakel machten: »In der Chinesenstadt wohnen 72 Chinesen und Chinesinnen, die aus Skandinavien, Norwegen und der Schweiz importiert wurden, und in den Baracken, die hinter einem Stacheldraht gelegen sind, wohnen Neger aller Stämme, an die hunderte, die auch den afrikanischen Kral bevölkern«. (12)

Im Gegensatz zu den meisten von ihnen spielte Brody jedoch tragende Nebenrollen, und zwar mehrere in derselben Filmhandlung. Im ersten Teil, »Die Freundin des gelben Mannes«, stellt er den Wächter der Heldin Mia May dar, die in ein chinesisches Bordell verschleppt wurde. »Chinesisch« ist dabei allenfalls Brodys Verkleidung. Im fünften Teil, »Der Schatz von Ophir«, spielt er einen »gutmütigen« Anführer eines afrikanischen Sklavenvolkes, das von den weißen Helden mittels überlegener Technik befreit wird. Eine Rolle, für die ihn das NS-Kino immer wieder einsetzen sollte. Im sechsten Teil, »Die Frau mit den Milliarden«, flieht er mit seinen Befreiern in einem Flugzeug aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika. Auf dem Flug wird ihm eine Mahlzeit angeboten, die er aber nicht verspeisen kann, weil er Messer und Gabel nicht zu benutzen weiß. Quälend lang kostet die Kamera dieses Bild aus.

Die verschiedenen Teile von »Die Herrin der Welt« starteten im wöchentlichen Abstand. Es mag sein, dass sich die Zuschauer nach vier Wochen an Brodys markante Züge nicht mehr erinnern konnten. Doch die Praxis, ihn als offensichtlich »exotisches« Gesicht gleich mehrfach im selben Film einzusetzen, findet sich genauso in seinen Tonfilmen aus den dreißiger und vierziger Jahren.

Was Brody über derartige Rollen gedacht haben mag, lässt sich nicht mehr in Erfahrung bringen; zu vermuten ist, dass er sie mit professioneller Distanz anging. Dass derartige Bilder jedoch von Beginn an umkämpfte Zeichen waren, geht aus folgender Zeitungsmeldung des Berliner Börsen-Couriers hervor: »Ein bemerkenswertes Verbot hat der Reichskommissar für Ein- und Ausfuhr getroffen. Er untersagte, wie die Berliner Kinozeitschrift Lichtbildbühne berichtet, die Ausfuhr verschiedener Teile des Filmwerks 'Die Herrin der Welt' nach dem Ausland - angeblich auf Beschwerde von zwei chinesischen Studenten hin, mit der Begründung, dass in einigen Szenen die Herabsetzung des chinesischen Volks (!) gefunden werden könnte. (...) Die Filmindustrie bereitet gegen dieses Verbot, dessen Rechtsgültigkeit sie bestreitet, aus prinzipiellen Gründen eine Beschwerde vor.« (13) Offensichtlich erfolgreich. Zwei Jahre später feierte der Film seine New Yorker Premiere.

Rassismus, Kolonialismus, Modernismus

Über Brodys Lebensumstände in jenen frühen Jahren ist wenig bekannt. Er wohnte in Berlin in der Kurfürstenstraße 40 und gehörte neben Bonifazius Foli, dem Unternehmer Ernst Wilhelm Anumu, dem »Schiffsclerk« Joe Metziger, dem Kaufmann Peter Mukuri Makembe und anderen zu den Mitgliedern des »Afrikanischen Hilfsvereins«, der sich 1918 in Hamburg gegründet hatte, um afrikanische »Landsleute« bei Auseinandersetzungen mit Behörden und Arbeitgebern zu unterstützen. (14) Aus einer gemeinsamen Diaspora-Erfahrung heraus konnte nach der Vereinssatzung jeder »Angehörige unserer schwarzen Rasse und jeder Farbige« Mitglied werden. Zusätzlich zum klassisch-expansionistischen Kolonialrassismus wurde diese Diaspora-Erfahrung während des Kriegs durch einen neuen, völkischen Nationalismus verstärkt, der die Debatten um »Rassereinheit« aus der Kolonialgesetzgebung fortsetzte. »Der Boden des Reiches«, so Heinrich Claß für den Alldeutschen Verband 1917, »soll saubergehalten werden; deshalb dulden wir keine Farbigen mehr in ihm, auch wenn sie aus unseren eigenen Kolonien stammen. (...) Der Unfug der schwarzen, braunen und gelben Reklamepförtner muss ein Ende haben. Auch die im Auslande aufgebrachten Moden wollen wir abschütteln und daran denken, wie unwürdig es ist, den Unsinn und die Geschmacklosigkeiten der Fremden nachzuäffen.«

Im Namen des Vereins wendet sich Brody 1921 an die Presse, um in diplomatischen, an den Patriotismus der weißen Deutschen appellierenden Worten gegen die rassistische »Schwarze Schmach«-Kampagne zu protestieren, mit der das gesamte politische Spektrum rechts von der KPD gegen die französische Besetzung des Rheinlands durch nordafrikanische Soldaten zu Felde zog. Unter der Überschrift »Die deutschen Neger und die 'schwarze Schmach'« konstatiert Brody: »Die aus den ehemaligen deutschen Kolonien stammenden, jetzt in Deutschland ansässigen Schwarzen haben viel unter den in gewissen Zeitungen über die 'Schwarze Schmach' veröffentlichten Schilderungen zu leiden. Die Deutschen scheinen sich absolut nicht Rechnung zu tragen, dass sie selbst auch einmal Kolonien hatten und dass bis heute keine Entscheidung über das Schicksal der Eingeborenen der ehemaligen Kolonien getroffen worden ist [...] Wir bitten also die Deutschen, doch zu berücksichtigen, dass wir ebenso sehr wie sie zu leiden haben und uns nicht von oben herab zu behandeln. Ganz besonders wollen wir noch bemerken, dass wir keine sittenlose und wilde Rasse sind, wie man augenblicklich allgemein in Deutschland behauptet. Wir müssen ferner die Deutschen daran erinnern, dass Lettow-Vorbeck nicht allein Krieg in Afrika geführt hat, sondern dass auch die Eingeborenen daran teilgenommen und ihr Leben für die deutschen Fahnen eingesetzt haben. Die in Berlin und im unbesetzten Gebiet Deutschlands lebenden Schwarzen sind nicht die Gelben und Schwarzen im besetzten Gebiet, deshalb bitten wir die Deutschen, auf diese Schwarzen Rücksicht zu nehmen und nicht durch Nachrichten über die 'Schwarze Schmach' gegen sie beständig Propaganda zu treiben. Unser Aufruf ist durch folgenden Vorfall veranlasst: Einer unserer Landsleute wurde vor circa 14 Tagen plötzlich in der Straße von Passanten überfallen und ernstlich verprügelt, die Leute hatten ihn für einen Schwarzen aus dem besetzen Gebiet gehalten.« (16)

1926 ist Brody im »Kolonial-Spielfilm« »Ich hatt' einen Kameraden - Ein Drama aus den Heldentagen unserer deutschen Kolonien« zu sehen, der seine Premiere auf der von der »Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft« (Korag) veranstalteten Kolonialwoche 1926 in Hamburg erlebte. Die von einer beispiellosen Kampagne in der Presse begleitete Propagandaveranstaltung begann mit einem »Festzug«, an dem sich eine von der Firma Hagenbeck gestellte »Massai-Gruppe« und »Kolonialfreunde« beteiligten: Viele hatten sich nach blackface-Manier geschminkt, um das Leben in den deutschen Kolonien »darzustellen«. Die Jämmerlichkeit dieser postkolonialen Nostalgie bemerkte selbst die ansonsten wohlwollende bürgerliche Presse: »Die Vermummung auch der Jungen und Mädel in schwarze Trikots und die dicke braune und schwarze Bemalung hätte unter die Aufsicht eines Künstlers gestellt werden sollen«, urteilte der Hamburger Anzeiger. (17)

Optisch flankiert wurde die Bilderwelt des Films während der Kolonialwoche zudem von einer »Tarzan«-Zirkusshow und der Aufführung von »Kulturfilmen« wie »Verlorenes Land« und »Tierfang in Abessinien«. Der musikalisch vom »Deutschlandlied« untermalte Film zeigt Brody an der Seite der weißen Schauspielerin Andja Zimowa. Sie tritt darin als »Afrikanerin« auf. Die Premierengäste begrüßte sie mit einer Tanzeinlage.

Die Filmhandlung selbst rekapituliert mit chauvinistisch-kolonialer Note den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Deutsch-Ostafrika und bildet in der Gegenüberstellung einer »weißen« und einer »farbigen« Frau ein ideologisches Bindeglied zwischen rassistischer Kolonialmentalität und völkisch-nationalen Männerphantasien: Der Begriff der whiteness, mit dem Klaus Theweleit die idealisierten, entsexualisierten Frauen der Freikorpsliteratur kennzeichnet, bekommt darin eine ganz unmetaphorische, rassifizierte Bedeutung. (18) Brody tritt als schurkischer Gegenspieler der »Schutztruppler« und als enttäuschter Liebhaber Zimowas auf.

Seine Rolle gerät gerade in ihrer vollständig negativen Zeichnung aber zugleich zur kollektiven Erinnerung an die lange Geschichte des afrikanischen Widerstands gegen die deutschen Herren. Mit den Worten »Es wird ein Tag kommen, da wird er den Kopf nicht mehr hoch tragen, der weiße Mann!« stellt er sich den Besatzern entgegen - und wird sensationslüstern »echten« Alligatoren zum Fraß vorgeworfen.

Über die Lebensumstände und das Umfeld Brodys in den späten zwanziger Jahren geben einige Fotografien Aufschluss. Die jüdische Avantgarde-Fotografin Yva (Else Neulaender-Simon, 1900-1942) fotografiert ihn mehrfach. Eine in ihrem Studio hergestellte Postkarte zeigt ihn als eleganten Dandy mit Hut und Stock. Auf einer »Revue, Revue« betitelten Doppelseite in Das Magazin ist Brody 1926 im Smoking als Tenorsaxophonist neben der Revuetänzerin Inez G. zu sehen. Im Kontext der modernistischen Jazzbegeisterung enstand auch das Foto »Charleston«, das Brody in derselben Pose zeigt. »Wie die Girls«, so ein Ausstellungskatalog, »war auch das Saxophon stereotypes Zeichen der erotisierten und in Bewegung geratenen Zwanziger.« (19) Aber nicht nur das Saxophon erfüllte diese Funktion: In einem um 1927 entstandenen Einzelbild porträtiert Yva »den Schauspieler Lewis Brody« erneut, mit nacktem Oberkörper und auch durch das Licht deutlich erotisiert.

Ende der zwanziger Jahre nimmt Brody bei Bühnenauftritten gelegentlich auch den Künstlernamen »Brody-Alcolson« an: als Hommage an den jüdisch-amerikanischen Schauspieler Al Jolson, der in einer berühmten blackface-Performance im Film »The Jazz Singer« (1927) mit einem »You ain't heard nothing yet!« den Ton im Kino einführte. (20)

Den modernistischen Diskurs über den schwarzen Körper als visuelle Ikone eines technischen und kulturellen »Amerikanismus« spiegelt sich auch in Brodys Auftritt im romantischen Willy Fritsch und Lilian Harvey-Film »Nie wieder Liebe« (1931) wider. In einer technisch furiosen Montagenummer, die ähnlich Yvas Fotografien das Großstadttempo mittels Doppelbelichtungen einzufangen sucht, erscheint Brody in einer Matrosenrolle zusammen mit einer schwarzen Frau in einem Liebesreigen verschiedener Paare.

Weiter entfernt von den Stereotypen seiner sonstigen Rollen ist sonst allenfalls noch Kurt Gerrons »Der weiße Dämon« (1932), der als vielleicht erster Film die Existenz schwarzer Deutscher positiv anerkennt. Als Page in einem Pariser Hotel begegnet Brody darin einem verdutzten Hans Albers, der ihn in verschiedenen Sprachen, u.a. in einer »afrikanischen«, anspricht, worauf Brody entgegnet: »Ich bin en gebürtiger Hamburger!« Albers antwortet darauf: »Menschenskind, Hummelhummel! Du bist mein Landsmann, warum hast du das nicht gleich gesagt!« Und Brody beendet das Gespräch nonchalant mit einem: »Tja, ich wusste doch nicht, was isí der Schnack. Französisch und Englisch und dann kam am Schluss was, das war so unverständlich!«

Überleben in der Traumfabrik

Für Brodys Filmkarriere bedeutet die nationalsozialistische Machtübernahme keinen wesentlichen Bruch. Zwischen 1933 und 1945 dreht er mindestens 23 Filme. Brody lebt als Untermieter bei seiner weißen Geliebten - einer »Frau Dehmel« - in der Kaiser-Friedrich-Straße 232. In einem Schreiben des Auswärtigen Amts an das Reichsinnenministerium zur »Beseitigung schädlicher Rückwirkung der Rassepolitik auf die in Deutschland lebenden Eingeborenen aus den früheren deutschen Kolonien« taucht er 1935 mit dieser Adresse und dem Vermerk »drei uneheliche Kinder« auf, ein halbes Jahr zuvor in einem Schreiben des Auswärtigen Amts an das Kolonialpolitische Amt der NSDAP, in dem um die Unterstützung arbeitssuchender Afrikaner ersucht wird. Zusammen mit Viktor Bell und Benedikt Gambe wird er dort in einer angefügten Liste als »Artist« mit der Standardbemerkung »hat den Wunsch, in seinem Artistenberuf bleiben zu dürfen« geführt. (21)

Lange »arbeitssuchend« dürfte er nicht geblieben sein. Aus einer Reihe von ihm signierter Autogrammkarten geht hervor, dass er in den dreißiger Jahren als Ringer arbeitete: 1935 in Berlin, Stettin und Magdeburg, 1936 wieder in Magdeburg und im Winterlager des Zirkus Krone in München; im Berliner Sportpalast trat er gegen die Lokalgröße »Zehe« an. 1938 wird der als »strahlender Frauenheld« bekannte Brody als Sänger in Riga gefeiert und tourt als Ringer in Danzig. Am 9. März 1938 heiratet er in Berlin die schwarze Danzigerin Erika Diek, die bei ihm und Frau Dehmel einzieht. Wirtschaftlich ging es dieser menage à trois überdurchschnittlich gut; alle drei Beteiligten standen in Lohn und Brot. Brody plante sogar, mit dem gemeinsamen Geld ein Geschäft zu eröffnen.

Im »Anhang Exoten« des »Almanachs der Reichsfilmschaffenden 1938/39« taucht Brody neben 37 anderen »Mongolen, Malaien, Negern, Mulatten usw.« als »Ausländer im Sinne der Film-Kontigentverordnung« auf. »Exoten«, heißt es darin, »werden nicht als Mitglieder der Reichsfilmkammer, Fachschaft Film, sondern dort und in der Vermittlungsabteilung Film-Bühne des Arbeitsamts Berlin nur listenmäßig geführt. Der Anhang 'Exoten' erscheint also lediglich, um dieses Nachschlagewerk vollständig zu machen.« (23) Tatsächlich jedoch konnte die Vermittlungsabteilung Film-Bühne ihrer Aufgabe in Goebbels' zentralisierter Traumfabrik nur schwer nachkommen. Vor allem bei größeren Produktionen stieß sie auf Schwierigkeiten, ausreichend nichtweiße Gesichter vor die Kameras zu bekommen. Deshalb »müsse in letzter Zeit sogar auf Kriegsgefangene zurückgegriffen werden.«(24)

In den meisten Fällen wurde die Beschaffung und Betreuung von nichtweißen Komparsen für die Studios tatsächlich vom Kunsthändler Hans von Hellfeld übernommen. Da jedoch in der filmischen »Volksgemeinschaft« managerähnliche »Vermittlungstätigkeiten« unzulässig waren, befand sich Hellfeld, der ein uneheliches Kind mit der schwarzen Deutschen Soja Akwa gehabt haben soll, in einer ständigen legitimatorischen Zwickmühle allen sich zuständig fühlenden Institutionen gegenüber: der Reichsfilmkammer, dem Arbeitsamt, der Deutschen Arbeitsfront. 1940 wendet sich so auch die »Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde« an die Reichsfilmkammer, um sich über die Tätigkeit eines »uns im übrigen unbekannten Herrn Hans von Hellfeld« zu beschweren, »dem die von ihm vermittelten Neger 10 v.H. ihrer Gage als Provision abführen müssen. Hierdurch tritt eine durchaus unerwünschte Schmälerung des an sich schon kümmerlichen Arbeitsverdienstes der Farbigen ein, die unter Umständen dazu führt, dass wir helfend eingreifen müssen, wenn der Farbige in wirtschaftliche Not gerät.« (25) Trotz seiner Beliebtheit bei vielen Komparsen sind die Vorwürfe gegen von Hellfeld berechtigt. 1937 wendet sich der Koreaner Chang Yuon Ling im Namen anderer ostasiatischer Darsteller an die Reichsfilmkammer: Hellfeld habe bei verschiedenen Produktionen jeweils 40 Reichsmark pro Kopf erhalten, aber nur 20 ausgezahlt. (26)

Louis Brody scheint in dieser meist telefonisch nach dem hire and fire-Prinzip ablaufenden Vermittlungspraxis jedoch eine Sonderstellung eingenommen zu haben. Weil er für tragende Nebenrollen engagiert wurde, existieren von ihm auch schriftliche Verträge. Auch ist seine Gage drei- bis viermal so hoch wie die anderer schwarzer Deutscher. Bei der Produktion des Kolonial-Spielfilms »Carl Peters« (1941) erhält Brody so 100 RM für jeden Drehtag für die Darstellung eines »Negerhäuptlings«; nur der wegen seiner Renitenz 1944 im KZ Sachsenhausen ermordete Sprachlehrer Mohamed Husen erhält für die Rolle »eines Negerhäuptlings und Beraters für die Suaheli-Sprache« immerhin 75 RM pro Drehtag. (27) Für die meisten schwarzen Komparsen waren derartige Produktionen nicht nur eine willkommene Verdienstmöglichkeit, die bei »staatspolitsch wertvollen« Filmen Prestige bei Bekannten, Nachbarn und Arbeitgebern versprach, sondern sie boten auch in Zeiten von Zwangsausbürgerung und -sterilisation, »Rasse«-Gesetzen und der Verschleppung in Konzentrationslager eine seltene Gelegenheit, andere schwarze Deutsche in einem Umfeld zu treffen, das relativ frei von rassistischer Diskriminierung war. (28) Anders als die Komparsen taucht Brody gelegentlich auch im Vorspann oder in Presseheften auf, manchmal wird sogar in Filmkritiken die schauspielerische Leistung des »bekannten Negerdarstellers Louis Brody« gewürdigt. (29)

Brodys Rollen in den dreißiger und vierziger Jahren sind weitgehend frei von der Ambivalenz des Weimarer Kinos gegenüber dem schwarzen Körper, der im NS-Kino nur mehr als Faustpfand einer nur noch abstrakten Weltläufigkeit diente. Genrefilme wie »Der unmögliche Herr Pitt« (1937/38), »La Habanera« (1937), »Dr. Crippen an Bord« (1943), »Kautschuk« (1938), »In geheimer Mission« (1938), »Wasser für Canitoga« (1938/39) lassen keinen Zweifel an seiner subalternen, entdämonisierten Position. Die Rollen, die er darin spielt, sind die von Barmännern, Portiers oder Matrosen, die mit zackigem »Jawohl!« parieren, manchmal tanzen oder sich in einen Ringkampf verwickeln lassen. Diese Vielseitigkeit seiner Talente samt seiner guten Sprachkenntnisse ließ Brody bis zum Kriegsende Arbeit finden. Damit rettete er vielleicht sein Leben. Seine bekanntesten Rollen spielte Brody in NS-Kolonialfilmen wie »Carl Peters« (1940/41), »Ohm Krüger« (1941), »Vom Schicksal verweht« (1941/42), »Germanin« (1942/43), »Quax in Fahrt« (1943/44). In ihnen ist Brody stereotyp als »Häuptling« zu sehen.

Wo die koloniale Herrschaftspraxis, auch als imaginierte, stets von »jenen Schrecken erregenden Stereotypen der Barbarei, des Kannibalismus, der Lust und Anarchie, den Szenen der Furcht und des Begehrens« (30) traumatisch erschüttert werden kann, ist das NS-Kino in seiner Tendenz bestrebt, ein komplett domestiziertes Afrika zu entwerfen, in dem die Drohung in keinem Bild mehr zu finden ist. Nicht zuletzt dies unterscheidet es von britischen und amerikanischen Produktionen desselben Zeitraums.

In »Vom Schicksal verweht« lässt sich der »Voodoo-Priester« Brody, dessen Macht zwar erzählt, aber niemals gezeigt wird, von einem billigen Taschenspielertrick überwältigen. In »Ohm Krüger« muss Brody nur von Emil Jannings mit einem väterlichen Wort überredet werden, und aller Eigensinn weicht aus seiner Figur. In einer Schlüsselszene von »Germanin«, die alle Züge eines Bekenntnisses trägt, spricht er, als er sich von den britischen Mandatsverwaltern unbeaufsichtigt fühlt, mit den deutschen »Tropenmedizinern« wehmütig über die Zeit der deutschen Kolonisation. In ihrem durchgehend antibritischen Gestus nehmen diese Filme propagandistisch an einer imperialen Aufteilung der Welt teil, deren Front real in Europa verläuft; in ihrem Desinteresse am dramatischen Potenzial der Figuren Brodys illustrieren sie die These, dass der deutsche Kolonialismus weniger an Konzepten von race als von space orientiert sei. Im Versuch der Denunziation der Weimarer »Systemzeit« schlug diese mit Hans Grimms Roman »Volk ohne Raum« zum völkischen Schlagwort gewordene Obsession ins Paranoide um: in die Vorstellung, Deutschland sei selbst eine Kolonie - der Westmächte, einer »jüdischen Weltverschwörung«, der schwarzen französischen Kolonialtruppen während der Rheinlandbesetzung.

»Blutsbrüderschaft« (1939/40), eine Art semidokumentarischer Entwicklungsroman der nationalsozialistischen »Kampfzeit«, orientiert sich an diesem Muster und stellt retrospektiv die Kampagne gegen die »Schwarze Schmach« als wichtige Sammlungsaktion völkischer Kräfte dar. Brody gibt darin singend eine deutschsprachige »Jazz«-Nummer im Stile der damaligen Unterhaltungsmusik zum Besten. Ihre propagandistische Funktion erhält diese Szene in der Montage: Sie folgt direkt auf dokumentarische Aufnahmen von schwarzen tireilleurs sénégalais, die ins Rheinland einziehen, und soll den kulturell »degenerierenden« Einfluss Schwarzer auf die Weimarer Kultur verdeutlichen.

Den Zusammenbruch der NS-Diktatur erlebt Brody in Berlin, unter der Bettdecke heimlich »Feindsender« hörend. Nach dem Krieg setzt er seine Schauspielerkarriere bei der Defa mit Filmen wie »Der Läufer von Marathon«, »Sonja - Nächtlich am Nil« und »Die letzte Heuer« fort. Von beiden Frauen schließlich verlassen, zieht er in die Naunynstraße in eine kleinere Hinterhofwohnung und arbeitet zugleich weiter als Zirkusartist und Musiker. So auch 1947 als Solosänger im Leipziger Kabarett Perner und im Zirkus Barley für einen Monat mit der Revuetruppe »Südseezauber«. In dem von schwarzen Deutschen betriebenen »Pinguin«, »Berlins einziger Negerbar«, in der Bülowstraße tritt Brody als Sänger und Schlagzeuger mit der Mac Allen Band auf, der Jazz-Band des schwarzen Weimarer Kinderdarstellers Willy (Mac) Allen (zu der auch Gottlieb Kinger, Kwasi Bruce, die Brasilianerin Nelly Pirado und Volde Tadek gehörten). (31)

Am 11. Februar 1951 stirbt Louis Brody eines natürlichen Todes in Berlin und wird in Berlin-Hohenschönhausen im Beisein seiner Freunde und Bekannten beerdigt. Einen deutschen Pass besaß er nie. Sein Grab existiert nicht mehr. Auch eine Straße ist nicht nach ihm benannt.

Dank für Unterstützung und wertvolle Hinweise an: Beryl Adomako, Herbert Reiprich, Herta und Manga Ngando, Katharina Oguntoye, Fatima El-Tayeb, Peter Martin, Theodor Michael, Marie Nejar, Martin Beer, Ursula Trüper, Olia Lialina, Florian Schneider, »Make World«/München, Merz-Akademie/Stuttgart, Kanak Attack, Metropolis-Kino/ Hamburg, Eiszeit-Kino/Berlin, Cinegraph e.V., Stiftung Deutsche Kinemathek/Berlin (Herr Theis), Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Frau Weiß), Bundesarchiv/Filmarchiv (Frau Schütz, Evelyn Hampicke), Staatsarchiv Hamburg.

Eine ausführliche Version dieses Texts erscheint im Mai 2002 in der 36. Lieferung von CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film, München,edition text + kritik.

Anmerkungen

(1) Film-Kurier, Nr. 164, 28. Juli 1920

(2) Ernst Bloch: Trader Horn in Afrika (1930), in: ders., Literarische Aufsätze, Frankfurt/M. 1985, S. 480

(3) So eine Anzeige zu John Hagenbecks Film Darwin, in: Der Film 38/1919. Eine mit Jackson vergleichbare afro-deutsche Schauspielerin gab es nie.

(4) Siehe auch: Abdul R. Jan Mohamed: The Economy of Manichean Allegory: The Function of Racial Difference in Colonialist Literature, in: Henry Louis Gates, Jr. (Hrsg.): 'Race'í Writing, and Difference, Chicago/London 1986, S. 78-106

(5) Der Kinematograph, Nr. 441, 9. Juni 1915

(6) Zur mittelalterlichen Ikonografie: Jean Devisse: The Image of the Black in Western Art, Vol. 2, Part 1, Lausanne 1979, Abb. S. 63-75

(7) Film-Kurier, 3. September 1920

(8) Ebd.

(10) Film-Kurier, a.a.O.

(11) Ella Shohat/Robert Stam: Unthinking Eurocentrism: Multiculturalism and the Media, London-New York 1994

(12) Die illustrierte Filmwoche, 7/39 (1919)

(13) Berliner Börsen-Courier, Nr. 80, 17. Februar 1920

(14) Statut des Afrikanischen Hilfsvereins, Hamburger Staatsarchiv SA 2819/331-1. Dazu auch: Peter Martin, »Der afrikanische Hilfsverein von 1918«, in: Kölner Appell e.V. (Hrsg.), Köln International - Ein Handbuch gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus, Köln 2002 (voraussichtl. Erscheinungsdatum).

(16) B.Z. am Mittag, 24. Mai 1921.

(17) Hamburger Anzeiger, 2. August 1926. Der Artikel findet sich neben einer Reihe von Archivalien zum Verlauf der Veranstaltung in: Hamburger Staatsarchiv 4319/135-1.

(18) Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2 Bände, Frankfurt/M., 1977 und 1978

(19) Marion Beckers/Elisabeth Moorgat: Yva - Photographien 1924-1938, Berlin 2001, S. 45

(20) Al Jolsons Minstrel-Auftritte waren eines der Hauptangriffsziele der NS-Propaganda gegen die »Kulturpest« des Amerikanismus der »Systemzeit«. Siehe: Geschmacklosigkeit oder Rassevergessen?, in: Neues Volk - Blätter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, Heft 7, Juli 1936 (4. Jahrgang), S. 22-27

(21) Bundesarchiv Berlin , RKA, Akte Nr. 7562, Bl. 106 und 115; allgemein dazu auch: Elisa Forgey: 'Die große Negertrommel der kolonialen Werbung': Die Deutsche Afrika-Schau 1935-1943, in: Werkstatt Geschichte 1994, S. 24-33, und Marianne Bechhaus-Gerst: Afrikaner in Deutschland 1933-1945, in: 1999, Heft 4/97, S. 10-28

(23) Almanach der Reichsfilmschaffenden 1938/39, o.A., S. 196

(24) Dr. Röber an Abteilung Filmbühne des Arbeitsamts Berlin, Brief vom 26.5.1941, Bundesarchiv Berlin (ehemaliges Document Center), RKK, Akte Nr. 26000, Box 82, File 05.

(25) Brief v. 16.6.194o, ebd.

(26) Brief vom 5.3.1937, ebd.

(27) Verträge vom 23. August 1940 und vom 3. August 1940. Bundesarchiv Berlin, R 109I, Akte Nr. 2139 . Zum Vergleich: Spitzenverdiener strichen in den frühen Vierzigern ein Gehalt von 200 RM monatlich ein.

(28) Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz: Farbe bekennen - Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Frankfurt/M. 1992, S. 77f

(29) Undatierte Tageszeitungskritik zu »Vom Schicksal verweht«, Privatsammlung Harry Heps

(30) Homi Bhabha: The Location of Culture, London-New York 1994, S. 72

(31) Zur »Pinguin«-Bar siehe auch: Von Kamerun nach Schöneberg, in: Der Abend, 22. Oktober 1949