Hamburger Senat vertreibt Dealer und Obdachlose

In Schills Welt

Der Hamburger Senat ist dabei, die Drogenszene und andere unerwünschte Subjekte aus dem Stadtzentrum zu vertreiben.

Wer öfter am Hamburger Hauptbahnhof vorbeikommt, hat sich bereits an den Anblick des uniformierten Personals gewöhnt. Auf Schritt und Tritt trifft man neben BGS-Beamten vor allem auf die blauen Uniformen der privaten Sicherheitsgesellschaften. Verlässt man den Hauptbahnhof und macht sich auf den Weg zur U- oder S-Bahn, wird man von klassischer Musik begleitet, die aus Lautsprechern säuselt. Ausdacht hatte sich das der ehemalige rot-grüne Senat, um Dealer zu vertreiben, weil die angeblich nicht auf Klassik stehen. Und auch unter dem neuen Senat, den die CDU, die FDP und die Schill-Partei bilden, soll die Berieselung diesem Zweck dienen.

Dass jedoch wegen der klassischen Musik am Hamburger Hauptbahnhof seit geraumer Zeit weit weniger Dealer zu finden sind als in der Vergangenheit, muss bezweifelt werden. Vielmehr liegt der »dealerfreie Glanz« (Welt am Sonntag) am erhöhten Verfolgungsdruck, der vom Innensenator Ronald Schill erzeugt wird. »Wir setzen auf sofortige konsequente Verfolgung«, sagt Thomas Model von der Pressestelle der Innenbehörde.

Vor knapp fünf Monaten kündigte Schill an, die Hamburger Drogenszene zu zerschlagen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt werde das Drogenelend ernsthaft bekämpft, dröhnte er. Zu glücken scheint ihm bislang vor allem die Zerstörung der Drogenselbsthilfe. Knapp 1,5 Millionen Euro sollen in diesem Bereich eingespart werden, viele Einrichtungen stehen deshalb vor dem Aus. »Diese drastischen Mittelstreichungen werden dazu führen, dass im Selbsthilfebereich bald nichts mehr läuft«, sagt Norbert Dwoersky vom Projekt Freiraum, das von illegalen Drogen Abhängigen Räume zur Verfügung stellt und Beratung anbietet.

Angesichts der neuen Taktik der Innenbehörde betrachten Abhängige nach Ansicht von Dwoersky die Räume im Augenblick jedoch als »Fluchtburgen«. Und mit dem neuen Senat sei keine Kommunikation möglich. Dwoersky beklagt, dass die neue Regierung mehrere Gesprächsvorschläge zur Drogenpolitik nicht wahrgenommen hat: »Mit uns hat niemand über die Mittelkürzung gesprochen.«

Schills Konzept zeichnet sich in erster Linie durch Repressalien gegen vermeintliche Dealer und Abhängige sowie drastische Mittelkürzungen im Hilfebereich aus. Seit dem August des letzten Jahres sind 110 Brechmitteleinsätze vor allem gegen Menschen mit schwarzer Hautfarbe angeordnet worden. Daran änderte auch der Tod des jungen Achidi J. aus Kamerun im Dezember des vergangenen Jahres nichts, der nach einem solchen Einsatz ums Leben kam (Jungle World, 52/01). Abhängige und Obdachlose werden von der Polizei und von privaten Sicherheitsdiensten von öffentlichen Plätzen vertrieben. Auf die Frage nach dem Wohin gibt es von Schill keine Antwort. »Wenn ich Junkies wegjage, muss ich wissen wohin«, meint der SPD-Sicherheitsexperte Michael Neumann. Das Problem werde nur optisch bekämpft, in Wirklichkeit jage man die Junkies »in den Tod«.

Tatsächlich hat sich die Drogenszene in Hamburg mittlerweile verlagert, weg vom Hauptbahnhof und hinein ins Schanzenviertel, nach Hamm und an die Horner Rennbahn. Gleichzeitig hat sich die Situation der Abhängigen drastisch verschlechtert.

Schills Drogenpolitik ist typisch für seine Art und Weise, »Probleme« anzugehen. Menschen, die nicht in seine Vorstellung von der Gesellschaft passen, werden Repressalien ausgesetzt und systematisch ausgegrenzt. Auf dem Parteitag seiner Rechtsstaatlichen Offensive am 11. Mai in den Hamburger Messehallen machte Schill in seiner Begrüßungsrede deutlich, worin er das Hauptübel sieht. Mit der Aufnahme von Flüchtlingen werde der »im Schweiße unseres Angesichts verdiente Wohlstand verfrühstückt«. Diese Äußerung veranlasste den Anwalt und früheren GAL-Abgeordneten Mahmut Erdem zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung.

»Ich bin entsetzt, aber nicht erstaunt«, kommentierte die geschasste Ausländerbeauftragte des Senats, Ursula Neumann. Ihr Amt war erst wenige Tage zuvor vom Senat abgeschafft worden. Unter der zynischen Überschrift: »Koalition schafft Senatsbeauftragte ab. Sichtbare Stärkung der Drogen-, Behinderten- und Integrationspolitik«, hatte der Senatssprecher Christian Schnee am 8. Mai diesen Schritt angekündigt. Neumann fordert nun zusammen mit zahlreichen MigrantInnenverbänden die Erhaltung ihres Amtes. Nihat Ercan von der Türkischen Gemeinde Hamburgs spricht von einem weiteren Angriff auf Menschen, die sich nicht wehren können, in diesem Fall auf solche, die nicht einmal den Stimmzettel als Druckmittel haben.

Das eingesparte Geld kann der Hamburger Senat gut gebrauchen. Schließlich plant Schill zum Beispiel die Verstärkung der Hamburger Polizei und eine Ausweitung der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen. Diese Ideen sind Teile eines neuen Polizeigesetzes, das Schill bereits vor einigen Wochen dem Senat präsentierte. Es enthält auch die Verlängerung des Polizeigewahrsams von 48 Stunden auf zehn Tage, die Einführung eines so genannten Verbringungsgewahrsams - »Unruhestifter« können am Stadtrand ausgesetzt werden -, verdachtsunabhängige Personenkontrollen sowie Platzverweise im gesamten Stadtgebiet. Schließlich will er dem »finalen Rettungsschuss«, also dem gezielten Todesschuss bei Geiselnahmen und Entführungen eine gesetzliche Grundlage geben.

Kritik kam auch aus den Reihen der eigenen Koalition. Die FDP lehnte die meisten Vorschläge Schills rigoros ab. Das Festhalten von Personen ohne konkreten Verdacht sei nahezu »Freiheitsberaubung«, hieß es. Der Verbringungsgewahrsam wurde bereits 1994 nach einem Hamburger Polizeiskandal von der Staatsanwaltschaft kritisiert.

Schill gab sich zunächst geschlagen. Bis zum vergangenen Freitag. An diesem Tag versandte die Innenbehörde einen Entwurf zur Novellierung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) an die Fraktionen der Regierungskoalition, wie ihr Sprecher Hartmut Kapp der Presse bestätigte. Ergänzt wurde der Entwurf vor allem mit der Forderung nach einer verstärkten Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Jetzt sind wieder die Koalitionspartner gefragt. Sie müssen sich erneut Schills Vorlage stellen und ihre Positionen klären. Der FDP ist zuzutrauen, einen Rückzieher zu machen, wenn damit ein Koalitionsstreit vermieden werden kann. So oder so läuft die Vertreibung von Obdachlosen und Drogenabhängigen auch ohne ein neues Polizeigesetz wie geschmiert.