Eurolied-Wettbewerb I

Blind gewählt

Georg K. hat seit Ende des vorangegangenen Jahrtausends keine Freundin mehr, davor waren's aber auch nicht viele. Georg ist meistens schlecht gelaunt. Vor dem Grand Prix d'Eurovision hat er die Stunts für Corinna May gemacht (niedersetzen, Mikro fangen, zwinkern). Doch beim Song Contest blüht er auf und setzt aufs Schärfste, was er seit seinem letzten Besuch im Freibad gesehen hat: Ira Losco, besser bekannt unter »Malta: twelve points«. Fünf Euro sind ihm in unserer kleinen Tippgemeinschaft, bestehend aus rund 40 musikalischen Modernisierungsverlierern, die weißen Zähne, das bittersüße Lächeln und vor allem die attraktive Gardine um die Hüften wert.

Wir dagegen als frankophil-skandinavisch geprägte Studienabbrecher wissen: Frankreich muss es sein, denn dieses Lied verstrahlt so schlechte Laune, wie sie Georg meist hat. Und wenn nicht Frankreich, dann die femininen Hünen aus Schweden: eine Gruppe, die Olof Palme nicht besser hätte zusammenstellen können. Aber wir alle setzen voll daneben, verlieren jeweils fünf Euro und spätestens beim Voting für Lettland unsere Besinnung.

Auf den letzten Platz hatten die meisten von uns Griechenland gesetzt, weil singende Michelin-Männchen mit motorischen Störungen bereits Ende der siebziger Jahre Geschichte waren. Dennoch hatten wir die politischen Verquickungen im europäischen Schlagerkrieg einkalkuliert. Das zypriotische Punktegeschenk an Griechenland war absehbar. Was wir jedoch bei weitem unterschätzten, war die ungenierte Blockfreudigkeit des musikalischen Südosteuropa-Stabilitäspaktes.

Unsere Tippgemeinschaft war so international wie das europäische Geträller selbst. So spinnt etwa eine russische Tipperin die sowjetisch geprägte Theorie, dass die baltischen Staaten den russischen Spaßbären von Prime Minister schon aus Unabhängigkeitsnostalgie niemals Punkte geben würden. Weit gefehlt. Total vertippt hat sich auch unser tschechischer Freund Premysl J., ein gescheiterter Jazzpianist und Computerexperte, der knappe zwölf Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer fasziniert ist von so viel Europa. Er setzt Zypern auf den letzten Platz, weil er Zypern mit Griechenland verwechselt. Unter dem Joch der politischen Korrektheit litten auch unsere französischen Tipp-Partner Thierry und Anita, die vermuteten, man würde Frankreich schon alleine wegen Le Pen in diesem Jahr den Sieg nicht gönnen.

Tage später mussten wir entstetzt in den Gazetten lesen: Le Pen ist total egal beim Song Contest, und dass die Balten die Russen nicht mögen, wird höchstens militärisch ausgetragen. Vielmehr hatten einige Staaten offenbar ordentlich gemogelt. So überprüfte der dänische Delegationsleiter Morten Carlsson Gerüchte über geografische Allianzen, nachdem die Dänin Marlene Mortensen nur auf dem letzten Platz gelandet war.

Die Schmach muss groß gewesen sein, denn vor zwei Jahren gewannen die Olsen Brothers, eine offensichtlich in der Psychiatrie gecastete Gruppe alternder Rechtsbrecher mit Vorliebe für modischen Dänenrock. Die Dänen vermuten eine Verschwörung hinter der Tatsache, dass in diesem Jahr Russland, Mazedonien, Bosnien, Rumänien und die Türkei nicht mehr per Ted abgestimmt haben, sondern mit einer Jury. Und die konnte man angeblich kaufen.

Manuel Ortega, Fleischhauer und Halbspanier aus Oberösterreich, erhielt nur von den Türken zwölf Punkte. Womit die Theorie der Dänen wohl bewiesen ist. Außerdem dürfte es in Lettland in den nächsten Monaten zu einem Musikputsch kommen. Lettische Zeitungen befürchten, dass die Regierung wegen des Finanzierungsbedarfs des nächsten Song Contest zusammenbrechen könnte. Acht Millionen Euro kostet der Singsang nämlich.

Nur eines haben wir nicht durchschaut: Wer hat damals eigentlich für die Olsen Brothers gestimmt?