Auseinandersetzung um Möllemann in der FDP

Ein Schritt zurück, zwei Schritte vor

Die FDP distanziert sich nicht eindeutig von Jürgen Möllemanns Attacken und setzt weiterhin auf die rechtspopulistische Option.

Ein Zeichen staatsmännischer Weltläufigkeit wollte der »Kanzlerkandidat« der FDP, Guido Westerwelle, setzen, doch seine Reise in den Nahen Osten wurde zur Gratwanderung am politischen Abgrund. Zwar blieb ihm ein Absturz erspart, aber hinter der Fassade der Gastfreundschaft erwarteten ihn Misstrauen und Ablehnung.

Obwohl die politischen Eskapaden seines Stellvertreters im Amt des Parteivorsitzenden, Jürgen Möllemann, sicher nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit in Israel stehen, ließen insbesondere Gesprächspartner aus der zweiten Reihe eine Distanz erkennen, die sich führende israelische Politiker gegenüber einem potenziellen Partner aus Berlin in dieser Offenheit bisher nicht erlaubt hatten.

Entsprechend gequält agierte Westerwelle. Bemüht, ein Fiasko zu vermeiden, übte er sich in Statements, die wie auswendig gelernt klangen. Beeindrucken konnte er damit nicht. Die weiteren Stationen seiner Reise in Ramallah und Kairo interessierten kaum mehr jemanden. Seine Aussage, es sei besser, Parteien der Mitte kanalisierten antisemitische Tendenzen in der Bevölkerung als die Spezialisten von Rechtsaußen, ließen da schon eher aufhorchen.

Zugleich konnte er aus der Distanz miterleben, wie sein Stellvertreter den Spaß mit der Geschichte und der Zukunft weiter trieb. Natürlich war Möllemann dabei klar, dass, wer die Segel voll setzt, sie bei starkem Wind nicht zerreißen lassen darf. In einem Brief an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, erklärte Möllemann deshalb, es sei ein »Fehler« gewesen, »Herrn Friedman für die Entstehung von antisemitischen Ressentiments mitverantwortlich zu machen«.

Doch weder ließ er sich darüber aus, worin denn dieser Fehler genau bestehe, noch war er zu einer Entschuldigung bereit. Denn wenn Möllemann mal etwas einräumt, relativiert er es meist im selben Atemzug und attackiert wieder. In einem Interview mit dem WDR sagte er, es hätte vielleicht gereicht, auf die Reporterfrage zu antworten: »Schauen Sie sich doch selbst an, wie Herr Friedman mit seiner intoleranten Art wirkt.« Es war also alles nur ein Problem der »Wortwahl«.

So überraschte es nicht, dass sich der Zentralrat der Juden in Deutschland auf dieses zwielichtige Spiel nicht einließ und eine unmissverständliche Entschuldigung verlangte. Doch Möllemann dachte nicht daran, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, den er mit der Behauptung, Juden wie Michel Friedman und Ariel Sharon hätten das Aufkommen des Antisemitismus selbst zu verantworten, mit Kalkül verlassen hatte.

Aus dem Nahen Osten zurückgekehrt, wäre es deshalb Westerwelles Pflicht gewesen, diese Einübungen in den Rechtspopulismus zu beenden. Eine Gruppe von FDP-Mitgliedern hatte bereits begonnen, hierfür mit einer Unterschriftensammlung den Boden zu bereiten. 300 Liberale unterzeichneten den Apell, darunter Prominente wie der Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms und die hessische Landesvorsitzende Ruth Wagner.

Mit seiner »Berliner Erklärung« kam der FDP-Bundesvorstand dem am vorigen Freitag dann aber nur halbherzig nach. Denn bei näherem Hinsehen ist die Erklärung von ähnlichem Lavieren geprägt wie die Äußerungen Möllemanns. Um ein Missverständnis habe es sich gehandelt, lautet der Tenor. »Wir missbilligen und bedauern, dass durch Äußerungen von Jürgen Möllemann Anlass für Missverständnisse entstanden ist«, verkündete die FDP-Spitze, von einer Entschuldigung war keine Rede.

Die Reaktionen waren entsprechend. Hildegard Hamm-Brücher, die Wortführerin der Gegner der neuen Parteilinie, vermochte in dieser Erklärung nur »heiße Luft« zu erkennen und forderte Möllemann zum Rücktritt von seinem Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender auf. Michel Friedman sprach von einer verpassten Chance Westerwelles, Verantwortung für sich, Möllemann und die Partei zu übernehmen. Paul Spiegel blieb es überlassen, die Erwartung der FDP, jetzt müsse der Zentralrat einen Schritt auf sie zugehen, zu enttäuschen. Denn der FDP-Bundesvorstand sei »nicht in der Lage oder willens, die Äußerungen von Jürgen Möllemann eindeutig zu verurteilen«.

Doch Möllemann erfuhr auch Unterstützung. »Kopf hoch und nicht gleich in Deckung gehen«, rief ihm Jörg Haider aus Kärnten zu. Möllemann selbst bekräftigte seine Position noch einmal. Der Bild am Sonntag sagte er: »Für mich war's das jetzt. Ich werde mich bei Herrn Friedman nicht entschuldigen.« Und im Focus offenbarte er milieugerecht seinen Ehrenkodex: »Vor Friedman werde ich nicht kriechen.«

Für seine aggressive Hartnäckigkeit erntet Möllemann nicht nur jenseits der Grenzen Unterstützung. Nach dem ZDF-Politbarometer stimmen 28 Prozent der befragten Wählerinnen und Wähler Möllemanns Vorwurf zu, Friedman fördere durch sein Auftreten und seine Äußerungen antijüdische Haltungen. 42 Prozent sind nicht dieser Meinung. Unter den FDP-Wählern halten sogar vier von zehn Befragten diese Behauptung für richtig, fast ebenso viele erklären sie für falsch. Der Stimmenanteil der FDP stieg nach derselben Befragung von acht auf neun Prozent.

So schlecht stehen Möllemanns Chancen also nicht, das von ihm gerade erst begonnene Spiel zu gewinnen. Dabei hat er nicht alle taktischen Finessen, die er anwendet, selbst entwickelt. Etwa wenn er zu Protokoll gibt, dass er angesichts von Menschen wie Michel Friedman, der ihm bei seiner Israel-»Kritik« auf die Finger sah, »irgendwann aus der Haut fahren« wolle. Dieses Motiv, sich endlich frei machen zu müssen, tauchte auch schon in einer Kontroverse auf, die vor einiger Zeit für Furore gesorgt hat.

Es sei, als würde »ein Fenster aufgestoßen« kommentierte damals die Frankfurter Allgemeine Zeitung die unbegründeten Angriffe Norman G. Finkelsteins auf den Jüdischen Weltkongress und traf damit eine weit verbreitete Stimmung. Die von der Weltöffentlichkeit erzwungenen Zahlungen an NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nicht als notwendige Folgen eigenen Fehlverhaltens nach 1945 begriffen, sondern als ein erzwungenes Eingehen auf angeblich nicht legitime Forderungen (Jungle World, 8/01).

Die Finkelstein-Debatte, aber auch die Diskussion um die Rede Martin Walsers in der Paulskirche, beförderten einen Paradigmenwechsel im deutschen Verhalten gegenüber den NS-Opfern, die Verwandlung des lange vorherrschenden offiziellen Philosemitismus in einen immer offener auftretenden Antisemitismus. Der wichtigste Anstoß für diesen Wandel ist das Bedürfnis, sich trotz aller wohlfeilen Bekenntnisse unter dem Stichwort der Normalisierung der historischen Verantwortung zu entledigen. Das Phänomen ist also bekannt, überraschend ist allenfalls die Vehemenz seiner gesellschaftlichen Durchsetzung.

Dementsprechend geht es nicht einfach nur um Möllemann oder die FDP, sondern um einen Prozess, in dessen Verlauf immer häufiger führende Protagonisten dieser Gesellschaft im Wechselspiel mit hinreichend vorhandenen Claqueuren den alten bundesrepublikanischen Konsens aufkündigen. Unter dem Vorzeichen des »Tabubruches«, bei dem ebenfalls das Moment der Befreiung mitschwingt, wird diese Entwicklung von vielen mit Sympathie begleitet.

Aber es gibt auch Gegenbewegungen. Selbst in der FDP ist die Entscheidung, ob der von Möllemann forcierte Richtungswechsel auch vollzogen wird, nicht endgültig gefallen. Noch halten die Vertreter der alten FDP, wie Hildegard Hamm-Brücher, aber auch ehemalige Bundesminister wie Gerhart Baum oder Hans-Dietrich Genscher, dagegen. Ihre Bereitschaft, den politisch-ideologischen Erosionsprozess in ihrer Partei zu stoppen, ist ehrenwert und durchaus ernst zu nehmen.

Jedoch liegt das Problem dieser liberalen Politiker in der Unterschätzung der Dynamik dieses Prozesses und in der damit einhergehenden Hilflosigkeit, die in der Forderung nach Grenzen im Augenblick ihres Fallens zum Ausdruck kommt. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Möllemänner auch weiterhin erfolgreich sein können.